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Er packte gerade einen Umzugskarton, als es an der Haustür klingelte. Der Postbote, mit einem Einschreiben. Eine vergessene Rechnung? Ein Blick auf den Absender genügte. Das zwanzigseitige Schreiben kam von einer Anwaltskanzlei in Köln und forderte Leo auf, bestimmte, auf Twitter/X geäußerte Aussagen über ihren Mandanten mit sofortiger Wirkung zu unterlassen. Um einer Klage zu entgehen, sollte er eine Unterlassungserklärung unterzeichnen und die Anwaltskosten von knapp 2000 Euro bezahlen.
"SLAPPs" heißen derartige Schreiben in Fachkreisen: Strategic Lawsuits against Public Participation, also strategisch eingesetzte Abmahnungen. Politisch Andersdenkende sollen eingeschüchtert und mundtot gemacht werden. Seit 2015, so zeigen es Studien, wächst die Anzahl der SLAPPs aus politisch rechten Kreisen kontinuierlich. Im Visier sind Menschen wie der Student Leo, aber auch Künstlerinnen, Aktivisten und Medien.
Ich habe zwei Minijobs und keine 2000 Euro auf der Hand
Leo Schneider aus Hamburg hat beim AStA mitgearbeitet und ist in der SPD politisch aktiv. Er twittert gegen soziale Ungleichheit und kämpft gegen rechts. Gegenwind ist er gewohnt, doch die Abmahnung mit ihren scharfen Formulierungen und den angedrohten hohen Folgekosten versetzte ihn in eine "Schockstarre": "Ich habe zwei Minijobs und keine 2000 Euro auf der Hand." Trotzdem empfahl ihm eine Anwältin im ersten Beratungsgespräch, lieber zu zahlen als zu widersprechen: "Sie meinte, ein Rechtsstreit könne mich finanziell ruinieren."
Umfragen unter Menschen, die von SLAPPs betroffen sind, haben gezeigt: Mehr als drei Viertel der Betroffenen, die sich nicht juristisch gewehrt haben, führen dafür finanzielle Gründe an. Und viele schweigen im Anschluss.
Leo Schneider nicht. Er twitterte seine Geschichte und erhielt viel öffentliche Unterstützung. Und er bekam ein Angebot von "Gegenrechtsschutz" zur Übernahme seiner Anwalts- und Prozesskosten. Das ist ein Rechtshilfefonds, der sich im Juni 2023 gründete und zu "FragDenStaat" gehört, einer NGO, die in Form verschiedener Kampagnen für den Erhalt der Informationsfreiheit kämpft. Leo Schneider steht jetzt kostenlos ein Anwalt zur Seite. Zusammen haben sie der Abmahnung in vielen Punkten erfolgreich widersprochen.
Leo Schneider und die Mitarbeitenden bei "Gegenrechtsschutz" betonen zugleich: Abmahnungen sind nicht immer schlecht. Sie ermöglichen, Auseinandersetzungen über ungerechtfertigte und nicht bewiesene oder unklar formulierte Vorwürfe in der Öffentlichkeit ohne Gerichtsverfahren beizulegen. Doch wenn sie strategisch ein- gesetzt werden, um Andersdenkende einzuschüchtern, dann seien sie, so Leo Schneider, "einfach nur Missbrauch". Und dagegen wehrt er sich.
Eine erste Version des Textes erschien am 27. September 2023.
"Frag den Staat" bezeichnet sich selbst
als "zentrale Anlaufstelle für Informationsfreiheit"
in Deutschland und finanziert
sich durch Spenden. Eine Rechtsberatung,
wie Leo Schneider sie bekam, kostet 1000 Euro.
Spendenkonto: Frag den Staat
IBAN: DE36 4306 0967 1173 8932 00
Verwendungszweck: chrismon