Hass und Polarisierung schwächen die gemeinsame Front gegen Islamismus
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Islamismus
Nein, nicht jede Kritik am Islamismus ist Rassismus!
Das Bundesinnenministerium hat einen Beirat zur Islamismusprävention berufen. Seitdem wird über dessen Besetzung gestritten. Ich bin Mitglied und halte die Kritik für gefährlich - sie stärkt die Islamisten
Peter Grewer
08.12.2025
3Min

Das Bundesinnenministerium hat einen neuen Beirat für Islamismusprävention berufen – ein längst überfälliger Schritt, um Radikalisierung in Deutschland fachlich fundiert und nachhaltig zu bekämpfen. Wissenschaft, Sicherheitsbehörden, Sozialarbeit und Theologie arbeiten hier zusammen, um Radikalisierungsprozesse zu verstehen und praktische Maßnahmen zu entwickeln: Prävention in Schulen, Aufklärung im digitalen Raum, Bekämpfung islamistischer Propaganda und solide sicherheitspolitische Expertise. Wer mit Betroffenen islamistischer Gewalt gesprochen hat, weiß, wie nötig das ist.

Umso irritierender ist der Ton, mit dem zuletzt über dieses Gremium diskutiert wurde. Es wurde behauptet, im Beirat säßen "keine Muslime". Das ist falsch. Mehrere Mitglieder – auch ich – sind Muslime, einige leben seit Jahren unter Polizeischutz, weil sie sich öffentlich gegen islamistische Ideologien stellen. Wenn ein Imam der Ahmadiyya-Gemeinschaft trotzdem von einem "fast muslimfreien" Gremium spricht, ist das nicht nur unzutreffend, sondern gefährlich: Solche Aussagen können Fanatikern als Rechtfertigung dienen, genau diejenigen zu attackieren, die Islamismus bekämpfen.

Doch die Kritik kam nicht nur aus religiösen Kreisen. Auch politische Stimmen und einzelne Medien zeichneten ein verzerrtes Bild – vom "Kulturkampf" war die Rede, von "umstrittenen Figuren". Ein Journalist schrieb sogar, "die meisten Muslime dürften diese Personalien als Kampfansage verstehen". Doch woher kommt diese Feststellung? Wo ist die empirische Grundlage? Solche Formulierungen schaffen künstliche Fronten und suggerieren Muslimen, sie müssten sich provoziert fühlen. So wird nicht analysiert, sondern Lagerdenken erzeugt. Betroffen sind Menschen, die seit Jahren wissenschaftlich oder praktisch in der Islamismusprävention arbeiten und aus muslimischen Communities stammen.

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Damit geraten die zentralen Fragen aus dem Blick: Wie schützen wir Menschen vor Radikalisierung? Und wie stärken wir die demokratische Mitte? Es geht um die Sicherheit dieses Landes. Die paradoxe Folge dieser Debatte ist: Je mehr man das Gremium diskreditiert, desto mehr stärkt man jene, die es eigentlich bekämpfen soll. Islamisten profitieren, wenn Parteien, Religionsgemeinschaften und Medien sich spalten lassen und über Personalien statt über Inhalte reden. Wie bei einem Fußballspiel, bei dem man fragt, auf welcher Seite man steht. aber Islamismus betrifft uns alle – Muslime wie Nichtmuslime, Religiöse wie Nichtreligiöse.

Dazu gehört auch eine klare Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus. Der Begriff "Islamismus" ist hier notwendig, um eine Ideologie zu benennen, die demokratische Werte im Namen der Religion angreift. Nicht der Begriff stigmatisiert – sondern die Gewalt, die er beschreibt. Islamismus verzerrt eine spirituelle Religion zu einem politischen Herrschaftsprojekt. Ihn zurückzudrängen schützt nicht nur die freiheitliche Gesellschaft, sondern auch die Integrität des Islam und die Sicherheit der Muslime selbst. Deshalb sollten Muslime Prävention nicht als Misstrauen, sondern als Verbündete verstehen.

Ebenso wichtig ist: Prävention richtet sich nicht gegen Muslime insgesamt. Niemand im Beirat verfolgt solche Ansätze. Doch wer jede Kritik am Islamismus reflexhaft als "antimuslimischen Rassismus" deutet, verschiebt die Debatte vom Problem weg und blockiert Lösungen.

Die eigentliche Gefahr der aktuellen Diskussion ist deshalb nicht inhaltliche Kritik, sondern Polarisierung. Wenn politische Akteure Stimmung machen, wenn Medien unpräzise Narrative verstärken, wenn religiöse Autoritäten Fehlinformationen verbreiten, wird die gemeinsame Front gegen Islamismus geschwächt. Davon profitieren nicht die Präventionsarbeitenden – sondern Extremisten.

Der neue Beirat ist ein notwendiges Instrument. Ein Anfang ist gemacht. Nun braucht es den Willen, nicht reflexhaft Fronten aufzubauen, sondern gemeinsam an Lösungen zu arbeiten. Denn wer die Schützer angreift, schwächt nicht sie – sondern den Schutz aller.

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Kolumne

Mouhanad Khorchide

Für den islamischen Theologen Mouhanad Khorchide ist die Freiheit des Glaubens sehr wichtig. Er tritt ein für einen Glauben, der die Menschen frei macht und die Liebe Gottes vermittelt. Für chrismon blickt er auf Gott und die Welt, mal religiös, mal politisch, immer pointiert.