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Ruth Sommerhoff weiß noch, dass sie dachte: "Oje, hoffentlich bekommen wir genug Menschen zusammen, die helfen!" Ende April 2024 war das. Es regnete in Strömen. Trotzdem kamen 50 Kinder und 30 Eltern. Und alle packten an.
Als ich Ruth Sommerhoff eineinhalb Jahre später am Telefon spreche, wächst wenige Gehminuten von ihr entfernt auf dem Gelände des Evangelischen Friedhofs Pferdebachstraße in Witten ein "Tiny Forest", ein kleiner Wald heran. Er gedeiht auf einer Fläche von 500 Quadratmetern. Zum Vergleich: Ein Fußballfeld ist ungefähr 7000 Quadratmeter groß.
Tiny Forests haben, so winzig sie auch sein mögen, einen großen Nutzen für Mensch und Natur. Die Bäume schlucken Lärm und reduzieren die Staubbelastung. Das Mikroklima verbessert sich, denn Wälder erhöhen die Luftfeuchtigkeit und strahlen an heißen Tagen eine angenehme Kühle aus. Tiere finden Nahrung und einen Lebensraum, auch mitten in Städten.
Friedhöfe sind besonders geeignet
Aber wie kommt es, dass so ein Tiny Forest in Witten nun ausgerechnet auf einem Friedhof gedeiht? "Auf der Fläche waren früher Gräber, deren Liegezeit abgelaufen war und die wir geräumt haben", erklärt mir Ruth Sommerhoff, die in der Friedhofsverwaltung arbeitet. Neue Gräber werde es dort nicht geben, denn Witten bilde keine Ausnahme von einem bundesweiten Trend: "Das Bestattungsverhalten hat sich verändert. Wir haben 200 Bestattungen pro Jahr, der weit überwiegende Teil der Menschen findet in einer Urne die letzte Ruhe." Urnengräber sind viel kleiner als Erdgräber. In Witten kann man sich beispielsweise unter großen Bäumen bestatten lassen, 16 Urnen finden rund um einen Baum Platz. Auch gibt es - wie bereits auf vielen anderen Friedhöfen auch - Kolumbarien, die viele Urnen aufnehmen können. Durch diese Veränderungen werden überall in der Republik auf den Friedhöfen Flächen frei.
Auf vielen davon wächst Rasen. "Aber die Rasenpflege macht sehr viel Arbeit", sagt Ruth Sommerhoff, "und in den langen Trockenphasen im Frühjahr und im Sommer wird aus dem Grün schnell ein Braun, das ist nicht schön." Der Chef des Friedhofs, Joachim Utke, sah zufällig einen Fernsehbeitrag über Tiny Forests und erzählte seinen Kolleginnen und Kollegen davon. Der Rest ist schon Geschichte: Die Fundraisingbeauftragte des Kirchenkreises beriet die Verwaltung, welche Förderungen es gibt und wie man Spenden sammeln kann. In kurzer Zeit war genug Geld da.
Mit dem Konzept gewann das Team um Ruth Sommerhoff, zu dem auch Joachim Utke und Manuel Lopez gehören, zwei Preise, das half auch. Und die Kinder aus einem Tanztheater ließen sich nicht zweimal bitten, ob sie beim Pflanzen helfen würden. "Die packen gern mit an, wenn sie wissen, dass sie damit der Umwelt helfen", sagt Ruth Sommerhoff. Die entsprechenden Gartengeräte gab und gibt es auf dem Friedhof sowieso. Beraten wurden die Mitarbeitenden von Citizens Forests, einem Verein aus Bönningstedt in Schleswig-Holstein, der das Ziel hat, möglichst viele lokale Gemeinschaften in möglichst vielen Regionen dazu zu bringen, kleine Wälder anzulegen.
Witten ist nur ein Beispiel von vielen, weit über 50.000 Bäume wachsen in Deutschland schon, weil Citizens Forests Pflanzaktionen angeleitet und begleitet hat. Der Verein orientiert sich dabei an der Methode des japanischen Pflanzensoziologen Akira Miyawaki. Boris Kohnke, der zweite Vorsitzende von Citizens Forests, erklärt mir, was es damit auf sich hat: "Wir setzen drei Setzlinge auf einen Quadratmeter. So haben die jungen Bäume Konkurrenzdruck und wachsen besonders schnell, etwa einen Meter pro Jahr. Schnell entsteht ein dichter und natürlicher Wald mit einheimischen Arten." Auf Dauer werde es nicht jeder Baum schaffen, meint Kohnke. Das sei aber nicht schlimm, als Totholz erfüllten die Stämme dann eine wichtige Funktion für den Wald, speicherten etwa Nährstoffe.
Entstanden ist Citizens Forests, weil Menschen der Flut an schlechten Nachrichten etwas entgegensetzen und konkret etwas für den Klimaschutz tun wollten. Ein Rechenbeispiel von der Internetseite des Vereins: Eine 35 Meter hohe Buche könne etwa 3,5 Tonnen Kohlendioxid speichern. Der aktuelle Flottengrenzwert für Neuwagen beträgt 95 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer. Ein einziger Baum binde damit den CO2-Ausstoß von über 36.000 Kilometern.
Boris Kohnke weiß, dass Aufforstung allein kein Patentrezept gegen die menschengemachte Erderhitzung ist. "Mit dem, was wir machen, können wir kaum der weltweiten Abholzung entgegenwirken", sagt er mir. Das sei aber auch nicht das Ziel. "Bei unseren Aktionen kommen Menschen zusammen, die sich vorher nie gesehen haben und dann die gemeinsame Erfahrung machen, einen Unterschied zu machen, etwas verbessern zu können in einer Welt voller Schreckensnachrichten. Der wichtigste Baum ist der, der im Herzen wächst", sagt Boris Kohnke.
Baumquiz: Erkennen Sie die Bäume?
Ruth Sommerhoff ist immer noch begeistert von der Beratung des Vereins, der der Friedhofsverwaltung eine Setzliste für die Baumschule empfahl: Eschen, Bergahorn, Rotbuchen, Traubeneichen, Holunder und viele Baumarten mehr wetteifern in Witten nun um den Platz an der Sonne. "Es ist ein richtiges Dickicht entstanden, in sehr kurzer Zeit." Auf dem Evangelischen Friedhof Pferdebachstraße gibt es schon Gedankenspiele, noch einen Tiny Forest anzulegen. Freuen würde sich das Team auch, wenn andere Friedhofsverwaltungen dem Wittener Beispiel folgen.
Die Zeit dafür ist nun gekommen: Die Setzsaison hat begonnen und geht noch bis Ende April.
Citizens Forests informieren auf ihrer Internetseite über Hintergründe zur Miyawaki-Methode und auch darüber, wie man vor Ort eigene Aktionen anstoßen kann. Der Verein nimmt auch Spenden entgegen, man kann auch gezielt Geld geben für - zum Beispiel - einzelne Setzlinge oder Wildschutzzäune.
Der Tiny Forest in Witten ist auch ein Best Practise-Beispiel des Infoportals Kirche+Klima.



