Nur wenige Bilder aus Gaza dringen ins Bewusstsein der Israelis: Öffentliche Fernsehsender werden entweder direkt von der Regierung gelenkt, oder sie sorgen sich um die Quote, wie die Zeitung "Ha’aretz" anprangert – sie ist das einzige große Medium, das auch aus palästinensischer Sicht berichtet. Dass die Mehrheit der Israelis immer noch hinter dem Krieg gegen die Hamas steht, scheint sich in Umfragen zu spiegeln. Selbst auf den wöchentlichen Protesten in Tel Aviv geht es in erster Linie um die Rückkehr der israelischen Geiseln. Erst in den letzten Wochen wagten einige Aktivisten das Unerhörte: Sie gingen mit den Fotos der vielen Kinder auf die Straße, die bislang in Gaza umkamen.
Yaakov Godo trägt ein Porträt seines Sohns auf seinem T-Shirt. Der 75-Jährige sitzt vor einem Zelt direkt am Kreisverkehr vor der Knesset – dem israelischen Parlament in Jerusalem. Seit Dezember 2023 verbringt er hier den größten Teil seiner Zeit, protestiert auf den Stufen der Knesset skandierend gegen den Krieg oder nimmt an einer der öffentlichen Parlamentssitzungen teil. Immer finden sich ein paar Mitstreiter, die meisten sind Rentner wie er. Der pensionierte Tierarzt gönnt sich nur selten eine Auszeit in seinem Kibbuz. Auch von den täglichen Anfeindungen der rechtsextremen Politiker auf ihrem Weg zur Knesset – einmal wurde sogar das Zelt angezündet.
Sein Sohn Tom war 2023 gerade erst mit der Familie in den Kibbuz Kissufim gezogen, als die Terroristen die Orte am Gaza-Streifen überfielen. Bis in die Morgenstunden des 8. Oktober stemmte Tom sich gegen die Tür ihres Schutzraums. Dann hörte er Stimmen, die auf Arabisch riefen: "Wer ist da?" Bevor er antworten konnte, schossen Kugeln durch die Tür. Tom starb, seiner Frau gelang es noch, die drei Töchter aus dem Fenster zu werfen und hinterherzuspringen – sie überlebten.
Yaakov Godo war die Nachricht vom Tod seines Sohns damals von einem Offizier der Armee überbracht worden. Doch erst im Jahr 2025, ausgerechnet als die Familie zur Gedenkfeier an Toms 54. Geburtstag zusammenkam, klopfte die israelische Armee ein zweites Mal an Godos Haustür. Ein anderer Offizier erklärte ihm, dass es nicht Terroristen waren, die seinen Sohn erschossen hatten, sondern Soldaten seiner Einheit. Sie hatten eines der Mädchen schreien hören und dachten an eine Geiselnahme. "Sie feuerten einfach drauflos", sagt Godo. "Wie konnten sie wissen, dass meine Enkelin nicht in der Schusslinie sitzt?" Es fühlte sich an, als sei sein Sohn ein zweites Mal gestorben.
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