Zehn Gebote
"Ich habe das düsterste Gottesbild"
Der Schriftsteller und Dichter Friedrich Ani schreibt für chrismon Gedichte über die Zehn Gebote der Bibel. Im Gespräch erklärt er, wie religiös er ist und warum er ohne Lyrik gar nicht durch den Tag käme
Friedrich Ani
Der Schriftsteller und Dichter Friedrich Ani
Alessandra Schellnegger
Tim Wegner
23.06.2025
2Min

chrismon: Herr Ani, Sie schreiben für chrismon plus Gedichte über die Zehn Gebote. Zum Ersten Gebot ("Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.") steht in einem Vers: "Töte für mich!" Klingt wie ein Imperativ. Nicht Ihr Ernst, oder?

Friedrich Ani: Ja, Imperativ. Aber man kann es auch als Aussage interpretieren, denn der Mensch, der tötet – auch der hat eine Verantwortung. Mir ist das erste Gebot unheimlich, es ist ein herrisches Gebot. Meine erste Assoziation ist: Hier spricht ein menschlicher Herrscher. Ich will die Gebote ja ins Urmenschliche transponieren.

Susie Knoll

Friedrich Ani

Friedrich Ani, geboren 1959 in Kochel am See, ist vor allem bekannt für seine Krimireihe rund um den Ermittler "Tabor Süden", für die er zahlreiche Preise erhalten hat. Neben Kriminalromanen schreibt er auch Jugendbücher, Gedichte, Hörspiele, Theaterstücke und Drehbücher. Sein Werk wurde in bisher zehn Sprachen übersetzt. Ani lebt in München. Ani schreibt exklusiv für 10 "chrismon plus"-Hefte je ein Gedicht über eines der 10 Gebote.

Muss Kunst nicht genau dagegen anschreiben, gegen das Töten im Namen Gottes?

Dass meine Grundhaltung immer gegen Willkür und die Herrschenden ist, das ist doch klar. Aber Kunst kann auch etwas widerspiegeln und zum Nachdenken anregen.

Haben Sie ein düsteres Bild von Gott?

Ich habe das düsterste Bild, das man von Gott haben kann. Es fällt mir schwer, einen Gott zu akzeptieren, der über diese Welt wacht. Ich will mich wehren gegen diese Düsternis mit der einen oder anderen Funzel.

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Welche Bedeutung haben für Sie die Zehn Gebote?

Sie sind zwar in Stein gehauen, aber es hält sich niemand dran. Für mich stellen sie immer wieder eine Herausforderung dar. Was wollen uns die Texte sagen? Das beschäftigt mich als Dichter.

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Sind Sie religiös erzogen worden?

Ich bin in einem urbayerischen Dorf unehelich geboren und flugs getauft worden, damit nichts schiefgeht. Als Ministrant und Lektor waren die Inszenierungen der katholischen Kirche für mich berührend. Später bin ich ausgetreten. Aber es ist völlig unmöglich, dem Christentum zu entkommen. Man lehnt vieles ab, aber die Grundempfindung bleibt – die Hoffnung auf Erlösung und Trost.

Wie kamen Sie auf die Idee, Gedichte für chrismon zu schreiben?

Gedichte sollten zum Grundwortschatz gehören. In chrismon werden Grundwerte des Menschseins verhandelt. Auch Gedichte sind Reflexionen über Werte und Menschlichkeit.

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Was gewinnen wir durch Lyrik?

Eine Erkenntnis über unsere Ängste, unser Zaudern, unsere Sehnsüchte. Gedichte bringen etwas zum Schwingen in uns. Sie bringen mich dazu, bei mir zu sein, Ruhe und Stille zu erfahren. Abseits von allem Krach,

Welche Gedichte lesen Sie selber?

Von Hölderlin über Mayröcker bis Rilke, der ja auch viel Religiöses verarbeitet hat. Ich verehre die amerikanische Lyrikerin Mary Oliver. Ohne Lyrik käme ich gar nicht durch den Tag.

Wir kennen Sie als Autor langer Krimis – wie sind Sie selber zum Gedichteschreiben gekommen?

Ich habe mit Gedichten angefangen. Mit zehn, elf habe ich die ersten Verse geschrieben. Ich habe Bob Dylan gehört, vermutlich gar nicht kapiert, was der meint. Aber ich habe gespürt, das hat mit der Welt zu tun, in der ich lebe. Und dann habe ich nie wieder aufgehört, Gedichte zu schreiben.

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