Vor kurzem ist meine Freundin Petra* gestorben. Bei ihrer Trauerfeier wäre ich am liebsten davongerannt. An den Blicken der paar Freunde, die auch da sind, kann ich sehen, dass es ihnen ähnlich geht.
Das Foto, mit dem die Familie an Petra erinnert, ist mindestens zwanzig Jahre alt. Das Bewerbungsfoto einer attraktiven Frau im Businesslook, Seidenbluse, Perlenohrstecker, strahlendes Lachen. Es passt perfekt zu dem, was der Trauerredner über Petras Leben vorträgt. "Doktor der Archäologie, renommierte Kuratorin, Autorin mehrerer Standardwerke, redegewandt, beliebt, setzte ihre Karriere nach Stationen in Frankfurt und Berlin seit 2012 erfolgreich in Hamburg fort, war dort mit ihrem langjährigen Lebensgefährten glücklich, bis das Schicksal . . . "
Dass der "langjährige Lebensgefährte" Petra bereits vor Jahren verlassen hat, weiß der Trauerredner offenbar nicht. Er weiß auch nicht, dass Petra schon seit langem keine Erfolge mehr hatte. Noch nicht mal mehr Arbeit, oder jedenfalls keine mehr, die ihrer Ausbildung entsprochen hätte. Die letzten Jahre hielt sie sich mit einem Job im Callcenter über Wasser.
Mir dämmert: Ihre Familie möchte, dass die Trauergäste diese Petra in Erinnerung behalten. Die Vorzeigetochter mit dem Vorzeigewerdegang. Die Phase ihres Werdegangs, die nicht mehr vorzeigbar war, soll genauso im Verborgenen bleiben wie alle späteren Fotos von ihr.
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