chrismon: Aus der jüngsten Wahl in Österreich ging die rechtspopulistisch bis rechtsextreme FPÖ als stärkste Kraft hervor. Es sieht so aus, dass der Vorsitzende Herbert Kickl bald Bundeskanzler wird. Wie ist das Verhältnis der evangelischen Kirche zur FPÖ?
Michael Chalupka: Die FPÖ in Österreich ist anders als die deutsche AfD schon nach dem Zweiten Weltkrieg unter anderem von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern gegründet worden und seit langem Bestandteil der österreichischen Politik. Aber erst seit 1992 wurde die Fremdenfeindlichkeit zum zentralen Thema der Partei. Das ist natürlich nicht im Sinne des Evangeliums. Wir als Kirche halten zu allen Parteien Äquidistanz. Das bedeutet, die Parteien definieren durch ihr Parteiprogramm, wie nahe sie der Kirche und ihren Positionen stehen.
Und wie nahe steht die FPÖ ihrem Programm nach der Kirche?
Gott hat den Menschen nach seinem Bild geschaffen. Das bedeutet, alle Menschen haben die gleiche Würde und müssen entsprechend behandelt werden. Wenn die gleiche Menschenwürde aller relativiert oder in Abrede gestellt wird, ist das mit dem Evangelium nicht vereinbar. Das sehen wir bei der FPÖ. Sie stellt "das Volk" über das gemeinsame Menschsein.
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Geschichte der evangelischen Kirche in Österreich
Rund drei Prozent der österreichischen Bevölkerung sind protestantisch. Nach der Reformation im 16. Jahrhundert waren rund 90 Prozent protestantisch. Die Herrscherfamilie, die Habsburger, blieb jedoch katholisch. Im Zuge der Gegenreformation wurden die Evangelischen gezwungen, katholisch zu werden, mussten das Land verlassen, wurden deportiert oder ermordet. Bis zum Toleranzpatent Josephs II. (1781) überlebten viele im Untergrund ohne Pfarrer und Kirchen.
Neben diesen sogenannten Toleranzgemeinden, die sich 1781, als das erlaubt war, öffentlich zum Protestantismus bekannt haben, gab es aber auch eine Reihe von Übertrittsbewegungen. Der Protestantismus galt beispielsweise als deutsch-nationale Alternative zum internationalen Katholizismus, aber auch als Alternative für Sozialdemokraten, die in der Zeit des Ständestaats (1934-1938) nicht katholisch bleiben wollten. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen protestantische Migranten aus Siebenbürgen und den Sudentengebieten dazu.
In der NS-Zeit war die evangelische Kirche eng mit dem Nationalsozialismus verbunden. Mehr als die Hälfte der Pfarrer waren schon vor dem sogenannten Anschluss Österreichs, als die NSDAP in Österreich noch verboten war, illegale NSDAP-Mitglieder. Nach 1945 hat sich die evangelische Kirche in Österreich ganz aus der Politik zurückgezogen. Heute herrscht große Distanz zwischen Kirchen und Politik. Es gibt in der katholischen und evangelischen Kirche in Österreich ein Verbot für Amtsträger und Funktionäre, sich politisch in Parteien zu engagieren. Gleichzeitig setzt sich die evangelische Kirche für das demokratische Zusammenleben und für Minderheiten ein.