"Helden", "Blutzoll", "Tapferkeit", "Ehre", "Soldateska", "Schergen" – solche Begriffe sind inzwischen Teil des alltäglichen Sprachgebrauchs in den Medien geworden. "Sprache schafft Wirklichkeit" – so lautet ein dem Philosophen Ludwig Wittgenstein zugeschriebenes Zitat. Und hier, in der Sprache, beginnt die Veränderung der Zivilgesellschaft: Bei Wahlen ist in den Kommentaren von "Bollwerk" und "Zweifrontenkrieg" die Rede. Der Begriff "Verhandlungen" wird mitunter in Anführungszeichen gesetzt. Außenministerin Annalena Baerbock erklärt sinngemäß, wir dürfen nicht "kriegsmüde" werden.
Verteidigungsminister Boris Pistorius meint gar, wir müssten "kriegstüchtig" sein. "Kriegstüchtig" – gerade von der Gesellschaft für Deutsche Sprache zu einem der Wörter des Jahres 2024 gekürt.
Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 hat sich unsere Gesellschaft spürbar verändert. Es gibt verschiedene Anzeichen für eine schleichende Militarisierung. Schauen wir zum Beispiel auf die Bundeswehr. Die Zahl der rekrutierten Minderjährigen steigt. Verteidigungsminister Pistorius wirbt für "Schnupperpraktika" und fordert den ungehinderten Zugang von Jugendoffizieren zu Schulen, um Jugendlichen den Dienst in der Bundeswehr schmackhaft zu machen. Ein neues Gesetz in Bayern verpflichtet Schulen und Hochschulen künftig zur Zusammenarbeit mit der Bundeswehr.
Die ehemalige Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger sagte, die Schulen sollten ein "unverkrampftes Verhältnis zur Bundeswehr" entwickeln. Die Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht ist in dieser Logik nur folgerichtig. Aber das Militär ist nicht die "Schule der Nation". In seiner Antrittsrede als Bundespräsident sagte Gustav Heinemann am 1. Juli 1969: "Nicht der Krieg ist der Ernstfall, in dem der Mann sich zu bewähren habe, wie meine Generation in der kaiserlichen Zeit auf den Schulbänken lernte, sondern der Frieden ist der Ernstfall." In diesem Sinne wäre eine Bildungspolitik sinnvoll, die Friedenserziehung, Mediation und gewaltfreie Konfliktbewältigung in den Lehrplänen verankert.
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Margot Käsmann möchte ich…
Margot Käsmann möchte ich mit einem Schiller Zitat entgegnen: "Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt" (aus Wilhelm Tell).
Genau in dieser Situation sind wir. Es gibt keine Friedensbewegung in Russland, Käsmanns "Zwischenruf" würde dort ungehört verhallen, so bleibt der hiesige Pazifismus einseitig und ja, naiv. Es geht nicht darum agressiv auszuholen, sondern verteidigungsfähig zu sein. Und so ist Aufrüstung dringend geboten, für die Sichherheit der Enkelkinder. Leseempfehlung : Joschka Fischer, Die Krieg der Gegenwart und der Beginn einer neuen Weltordnung, Kiepenheuer und Witsch, 2025.
Elisabeth Tielsch
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Ich danke Margot Käßmann von…
Ich danke Margot Käßmann von Herzen für diesen Artikel, dem ich in allen Punkten zustimmen kann.
"Kriegstüchtig", welch ein Unwort! Als ich es zum erstenmal aus dem Munde unseres Verteidigungsministers (oder Kriegsministers?!) hörte, stockte mir der Atem! Worte sind so verräterisch! NEIN! Wir müssen friedenstüchtig werden! Aber das Wort FRIEDEN wird immer kleiner in unserer Welt. Es gilt, Kriege zu ächten, zu verhindern, zu beenden.
Meinen Grundschulkindern vermittelte ich als Religionslehrerin schon früh, dass sie, statt Fäuste und Füße im Streit einzusetzen, ihren Verstand und Worte zu gebrauchen. Das kann man lernen und muss eingeübt werden. Wenn Annalena-Baerbock meint, "unsere Waffen helfen, Menschenleben zu retten", dann irrt sie. Waffen töten!!!
Und wenn die Milliarden Summen, die zur Vernichtung eingesetzt wurden und werden, zum Wohl der Menschen verwendet würden, hätten wir soziale Gerechtigkeit und Frieden. Denkt denn niemand darüber nach?
Monika Hader
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Käßmanns Geschichtsvergessenheit
Sehr geehrte Damen,
mit völliger Perplexität habe ich die Chrismon-Nummer vom Februar gelesen.
Kontroverser könnte eine Herangehensweise an den Ukraine-Krieg nicht sein.
Was hat die Redaktion bewogen, dieses völlig geschichtsvergessene Meinungsbild von Frau Käßmann ohne jede kritische Einordnung zu veröffentlichen?
Käßmann ist Theologin, auch wenn hier ihr Stern schon weitgehend gesunken ist.
Was bewegt sie daher, geschichtliche Einordnungen vorzunehmen, von denen sie offensichtlich keine Ahnung hat, aber sich als nach außen wahrzunehmende Autorität geriert, was auch bei Lesern offenbar so ankommt, siehe Leserbrief.
Z.B. bei Schlaglichtern wie Douaumont hätte sie ja nur einige hundert Kilometer weitergehen können bis Omaha Beach. Dort haben viele Alliierte Soldaten ihr Leben gelassen, ein wesentlicher Schritt zur Niederringung des deutschen Naziterrors. Oder ein Weg nach Stalingrad/Wolgograd, dasselbe im Osten.
Was würde Käßmann schreiben, wenn das kleine Mädchen, das zum Schutz vor russischem Bombenhagel im U-Bahn-Schacht Lesen und Schreiben lernt, wenn es eine ihrer geliebten Enkelinnen wäre?
Wo waren Käßmann und ihre Gesinnungsgenossen, als Deutschland über fast drei Jahrzehnte seinen (krankhaften) Energiehunger aus russischen Quellen stillte und damit mit Milliardenbeträgen die russische Aufrüstung wesentlich finanzierte bis hin zu Rüstungskooperationen?
Alle diese Punkte und noch viel mehr werden von den Wagenknechts, Weidels, Krone-Schmalzs, Gansers, Käßmanns, Schwarzers, ja auch Prechts etc. einfach ignoriert oder - umso schlimmer - vielleicht gar nicht gekannt. Diese armen Leute fühlen sich als Putin-Versteher beschimpft. Schön wäre, sie wären wirkliche Putin-Versteher, d.h. durchschauten ihn. Nein, tun sie nicht! Sie sind vorrangig Putin-Apologeten und blenden alles (Historische) aus, schlimmer:
verschweigen,
was nicht in ihre Argumentation passt. Geben aber selbstgefällig vor, dass (ja nur) sie die Entwicklung 'historisch' einordnen (können), was dann z.B. darin kulminiert, dass der Maidan allein vom CIA gesteuert war und, überhaupt, die Nato und die USA an allem Schuld haben.
Käßmann geriert sich nicht nur als historische Autorität, sondern ganz besonders auch als theologische. Ich selber bin zwar kein Theologe, aber kenne meine Bibel
einigermaßen: Jesus wendet sich immer (vorrangig) an den Nächsten, bezieht ihn in seinem '11. Gebot' ein, zum großen Teil an die Underdogs der damaligen Zeit, die Ehebrecherin, den Zöllner, den Samariter, aber auch den Hauptmann von Kapernaum, ja sogar Pilatus. Aber sagt er, wenn es um die großen Strukturen geht, nicht auch: gebt dem Kaiser was des Kaisers ist? Einem Kaiser, der ein ähnliches Weltimperium mit Kriegen, Unterdrückung und Versklavung gepusht hat, wie heute der Imperialist Putin, der jedoch nicht ganz so erfolgreich.
Für mich jedenfalls ist aus dem Neuen Testament und schon gar nicht aus dem Alten abzuleiten, dass die Ukraine sich dem russischen Imperialismus ergeben soll um des 'lieben Friedens' willen und um das zu verhindern, sie unser aller Unterstützung dringend braucht, ja, auch mit (viel mehr) Waffen. Hätten Deutschland (Merkel, Steinmeier) und Frankreich (Hollande), die gescheiterten Friedensverhandler von Minsk, sich nicht gegen Bush durchgesetzt gegen einen Nato-Beitritt der Ukraine, und hätte Deutschland nicht einen wesentlichen Anteil der russischen Aufrüstung
finanziert: Die Welt sähe heute mit Sicherheit anders aus.
Auch das Münchner Abkommen und der Hitler-Stalin-Pakt waren das Resultat diplomatischer Verhandlungen. Wir erleben derzeit ja einen ähnlichen
Hitler-Stalin-
Pakt 2.0 zwischen Trump und Putin; das zu erkennen benötigen wir keinen Rosenmontag-Umzug.
Jetzt müssen sie sich freilich beeilen, die USA als Erzfeind und die NATO aus der Schusslinie zu nehmen, im Gleichschritt mit der gleichgeschalteten russischen Propaganda.
Die Begriffe Diplomatie, Verhandlungen, Frieden verkommen dabei zu mantraartig wiederholten Worthülsen ohne jedes realistische eigene Konzept.
Schließlich: Wir erhalten zwar Chrismon als Beilage vordergründig kostenlos, bezahlen aber nolens-volens dafür, auch mit Kirchensteuern.
Und hier noch einige Infos, die helfen könnten, die offensichtlichen Geschichtskenntnislücken etwas zu schließen:
https://www.youtube.com/watch?v=6GqWDhHzRdo
https://www.youtube.com/watch?v=dexssCXSTzI
Hermann Meuth
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