Von nichts kommt nichts
Dirk von Nayhauß
Dirigentin Joana Mallwitz
Von nichts kommt nichts
Ein neues Stück zu lernen, dauert. Da braucht es viel Disziplin, sagt die Dirigentin Joana Mallwitz. Toll, wenn sich dann das Göttliche in der Musik zeigt
Dirk von Nayhauß
19.12.2024
3Min

chrismon: In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

Joana Mallwitz: Im Konzert blende ich alles andere aus. Steht man auf der Bühne, kann man nur genau in diesem Moment sein. Ich habe sofort vergessen, wenn ein Ton gepiepst hat, ich kann auch nicht darüber nachdenken, dass drei Partiturseiten später eine schwere Stelle kommt. Es gibt kein Davor und Danach. Das ist die Befreiung von allem. Musikmachen in einem Orchester ist sehr komplexe Kommunikation! Man kann gar nicht beschreiben, wie schnell Impulse hin- und hergehen zwischen den Musikern und mir, es ist ein ­Geben und Nehmen. Ich brauche vorher die klare Idee: So wird es klingen. Gleichzeitig muss ich in mich ­reinlassen, was kommt, vielleicht hat eine Sololinie einen etwas ­tragenderen Tonfall, als ich mir vorgestellt habe. Trotzdem braucht ein Orchester eine gewisse Ordnung und Hierarchie. Bei schlechter Führung wartet man nur ab, ­jeder macht irgendwas, und am Ende hat alles keine Form.

Joana Mallwitz

Joana Mallwitz, 1986 geboren, kam mit 13 Jahren an das "Institut zur Früh-Förderung musikalisch Hochbegabter" in Hannover. 2014 wurde sie mit nur 27 Jahren in Erfurt die jüngste Generalmusikdirektorin Europas. Von 2018 bis 2023 war sie in Nürnberg an der Staatsphilharmonie, wo sie mit Standing Ovations und als Ehrendirigentin verabschiedet wurde. Heute ist sie Chefdirigentin und künstlerische Leiterin des Konzerthausorchesters Berlin. Gerade ist ihre CD mit Werken von Kurt Weill erschienen. Joana Mallwitz ist verheiratet mit dem Tenor Simon Bode, die beiden haben einen Sohn und leben in Berlin.

Haben Sie eine Vorstellung von Gott?

Ich glaube an Gott. Ich glaube an die Wissenschaft. Und ich glaube an die Idee der Nächstenliebe, sie ist die ­Antwort auf alles im Leben. Tut jemand etwas Böses, dann frage ich mich vor allem: Was müssen wir als Gesellschaft tun, damit diese Person zur Nächstenliebe findet? Manchmal habe ich eine Idee von Göttlichkeit, wenn ich Meisterwerke studiere. Dann habe ich oft das Gefühl: Das hat sich der Komponist nicht ausgedacht, der hat etwas am ­Universum freigekratzt und rausgeholt. Man spürt es, wenn ein Stück größer ist als man selbst. Schubert zum Beispiel hat es geschafft, das Jenseits oder das, was wir nicht begreifen können, in Musik zu übersetzen. Und natürlich Bach, das ist eine göttliche Harmonie, die ­anscheinend irgendwo existiert und die Bach in Form seiner Fugen uns klingend auf die Welt gebracht hat.

Musik kann uns das Sterben, den Tod nahebringen

Joana Mallwitz

Fürchten Sie den Tod?

Ja, seit ich meinen Sohn habe. Seinen Tod fürchte ich. Und den Tod meines Mannes oder meinen, weil wir dann nicht mehr für ihn da wären. Musik kann uns das Sterben, den Tod nahebringen. In Tschaikowskys "Pathétique" erlebt man im vierten Satz das Sterben eines Menschen. Bei Schuberts "Unvollendeter" erfahren wir etwas über einen Menschen, der vielleicht am kalten Grab eines geliebten Menschen steht. Solche Erzählungen durchbrechen die Barriere zwischen uns Menschen, so dass wir uns öffnen und uns in andere hineinversetzen können.

Wie viel Arbeit tut Ihnen gut?

Ein neues Stück zu lernen, braucht viel Zeit, die man in keinster Weise irgendwie reduzieren kann. Eine ­Mahler 5 dauert 150 Stunden, die muss ich irgendwo hernehmen. Aber ich könnte heute gar nicht entscheiden, dass ich ­morgen weniger machen will, der Kalender für die ­nächsten drei Jahre ist voll. Alles, was ich heute entscheide, betrifft erst das Jahr 2027 oder 2028. Aber ich bin kein Workaholic, ich muss nicht arbeiten um der Arbeit willen, dann bleibe ich lieber auf dem Sofa, bei meiner Familie.

Wie viel Erfolg brauchen Sie?

Das ist ein komisches Thema, weil ich in den letzten zwei, drei Jahren so viel Aufmerksamkeit bekommen habe. Menschen sprechen mich einfach auf der Straße an, der Erwartungsdruck ist deutlich gestiegen. Wenn auf dem ­Plakat steht: Joana Mallwitz dirigiert, dann ist ganz klar, dass ich an dem Abend erscheine, egal, was ist. Das macht mir manchmal Angst. Der Moment des Applauses, wenn die Leute jubeln – das nehme ich nicht richtig wahr. Ich höre das, aber wie durch Watte, und durch die ­Scheinwerfer sehe ich das Publikum oft gar nicht. Ich bin keine, die ­Applaus als Lebenselixier aufsaugt. Bei jedem einzelnen Stück, das ich dirigiere, bin ich vor allem aufgeregt um des Stücks willen. Ich möchte dem Stück gerecht werden.

Wie wäre ein Leben ohne Disziplin?

Nicht möglich. Es würde in Beliebigkeit verfallen – ganz schlimm. Man muss arbeiten, für das, was einem wichtig ist. Die guten Sachen kommen nicht mühelos.

Welchen Traum möchten Sie sich unbedingt erfüllen?

Das Leben mit der Musik und das Leben mit meiner ­Familie in jedem Moment so sehr wie möglich zu ­genießen und auszukosten und mit Dankbarkeit zu nehmen. Ja, das ist wirklich mein Traum.

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