Jesusvorstellungen
Hatte Jesus Brüste?
Nein. Er war ein Mann – vor 2000 Jahren hätten die Menschen eine Erlöserin wohl kaum anerkannt. Aber Jesus war auch eine Geschichte. Und in Geschichten identifizieren wir uns mit denen, die uns ähnlich sind. Da mussten schon unsere Vorfahren kreativ werden
Juan Jose Barboza-Gubo & Andrew Mroczek - aus der Serie: Virgenes De La Puerta
Dieser Jesus, diese Christa stammt aus einer Fotoserie, mit der die Künstler Barboza-Gubo & Mroczek die Transfrauen von Lima ehren wollen
Juan Jose Barboza-Gubo & Andrew Mroczek - aus der Serie: Virgenes De La Puerta
16.12.2024
12Min

Was sich nicht alles ändert, wenn man Vater ­einer Tochter wird. Woran man früher ­keinen Gedanken verschwendet hat, wird plötzlich zum Grund, nicht nur den Kopf zu schütteln, sondern wütend zu werden, ja – ehrlich gesagt – die Vernunft des Menschen an sich infrage zu stellen. Zum Beispiel, dass auch im Jahr 2024 immer noch die allermeisten Kinderbücher und Fernsehserien von männlichen Helden handeln. Es ist zum ­Verzweifeln und natürlich ebenso zum Schämen – denn warum war es einem eigentlich nicht früher aufgefallen?

Zum Glück ändert sich das langsam. Neue Heldinnen werden erfunden, und wer sich ein bisschen Mühe gibt, kann seiner ­Tochter ­heute Bücher vorlesen, bei denen sie das Gefühl bekommt, im Leben eine Hauptrolle ­spielen zu dürfen. Langsam wirft die ­Kulturindus­trie diesen Ballast des Patriarchats ab. Das ­Christentum hat es da nicht so leicht. Denn es basiert auf einer Geschichte, die vor ­beinahe 2000 Jahren aufgeschrieben wurde und so "natürlich" von einem männlichen Helden handelt: Jesus.

Aber ist das Geschlecht Jesu nicht egal? Es geht doch nicht darum, dass er ein Mann war, sondern um die Erlösung aller Menschen durch sein Leben und Sterben – keiner ist ausgeschlossen. Stimmt, so die heutige Idee, und trotzdem ist die Jesusgeschichte eben auch eine Geschichte. Und in Geschichten identifizieren wir Menschen uns mit Figuren, die eine gewisse Ähnlichkeit mit uns haben.

Jesus war Mensch und Gott

Genau deswegen ist es auch wichtig, dass ­Jesus ein Mensch war und nicht einfach nur Gott. Das macht ihn ja so besonders. Gott ­wurde in Jesus Mensch, damit die Menschen Gott auch verstehen können. Die Grundidee des Christentums ist also eine Art antike ­Identitätspolitik: Um uns in Gott hineinversetzen zu können, muss er so sein wie wir und andersherum.

Es ist also nicht ganz so banal, dass Gott sich in einem Mann offenbart hat. Hätte der Gottessohn nicht auch eine Gottestochter sein ­können oder am besten divers, damit alle etwas von sich in ihm finden? Wer jetzt laut "Nein!" rufen möchte, sollte kurz aufstehen, sich einen Beruhigungstee machen und dann noch mal über diese intuitive Antwort nachdenken.

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Produktinfo

Buchtipps

Anselm Schubert: Christus (m/w/d). ­Eine Geschlechter­geschichte. C.H. Beck. 396 Seiten, 32 Euro.

Simone und Claudia Paganini: Der unbekannte Messias. Die Ecken und Kanten des Jesus von Nazareth. Gütersloher Verlagshaus. 176 Seiten, 18 Euro.

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