Das Baurecht lockern
Bauen ist zu teuer? Das muss nicht sein
Bauen ist zu teuer. Jan O. Schulz ist Mitglied im Präsidium des Bundes Deutscher Architektinnen und Architekten und fordert mehr Flexibilität und Experimentierfreudigkeit im Baurecht. Seine Botschaft: Runter mit den Vorschriften!
Konrad-Adenauer-Straße 10-24, Büdelsdorf, Bauherr: bgm; Architekt: bsp-architekten, kiel
Günstig und gut bauen geht. In Kiel Büdelsdorf erbauten BSP-Architekten 48 preisgünstige aber trotzdem hochwertige Wohnungen. Heute leben hier 150 Menschen aus 8 Nationen, davon 50 Kinder.
Bernd Perlbach
Tim Wegner
10.10.2024
5Min

Jan, warum ist das Bauen in Deutschland so teuer geworden?

Jan O. Schulz: Neben den allgemeinen Gründen, Inflation, Krieg, usw. spielen in der Baubranche vor allem die viel zu hohe Anzahl von Normen eine große Rolle. Sie machen das Bauen unverhältnismäßig teuer.

Sind Normen Baugesetze?

Nein, eben nicht. Viele Menschen denken, dass uns das Baugesetz juristisch klare Vorgaben gibt, nach denen zum Beispiel ich als Architekt planen muss. Doch das tut es nicht. Die meisten Vorschriften im Bauen sind keine Gesetze, sondern sogenannte "Ausführungsnormen"; und das heißt in der Regel: Mehr oder weniger freiwillige Empfehlungen und gerade im Baurecht ist ihre Einhaltung Auslegungssache.

Das hört sich kompliziert an – bitte ein Beispiel

Wenn ich als Architekt "hochwertige" Wohnungen baue, dann gibt es die Regel, dass diese Wohnungen mit einem "erhöhten" Schallschutz gebaut werden müssen. Der Schallschutz ist recht genau definiert. Doch wann ist eine Wohnung hochwertig? Vielleicht wollte die Bauherrin zunächst eine große, aber kostengünstige Wohnung - und man kann eine Menge Kosten sparen, wenn man die Decken etwas schlanker plant und dafür in Kauf nimmt, dass man dann nur den "normalen" Schallschutz bekommt. Der übrigens schon ganz gut ist, aber man hört es eben, wenn der Nachbar laut Klavier spielt. Und dann findet die Bauherrin später, dass die Wohnung eigentlich doch sehr hochwertig ist, dass ich deswegen ja "erhöhten" Schallschutz hätte bauen müssen und verklagt mich. Und der Richter darf dann ziemlich frei entscheiden, was genau "hochwertig" eigentlich heißt.

Und um das zu vermeiden, planst Du als Architekt, um bei dem Beispiel zu bleiben, vermutlich den maximal höchsten Schallschutz immer gleich ein?

Genau. Aber Du kannst gar nicht so blöd denken, und alles ausschließen, was vielleicht doch mal zu einer Klage führen könnte. Schallschutz ist der "klagefreudigste" Grund, aber es gibt zahllose andere Normen, die sehr breit auslegbar sind und das Bauen am Ende so teuer machen, weil ja nicht nur ich als Architekt, sondern auch die Fachplaner, die Baufirmen und auch die Wohnungsunternehmen so sicher wie möglich vor späteren Schadensersatzklagen sein wollen.

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Warum gibt es denn überhaupt so viele Normen?

Weil prinzipiell jeder eine Norm schreiben kann. Und wenn sich genügend Leute finden, die nach ihr arbeiten, dann gilt sie irgendwann. Da geht es auch oft um Interessenspolitik.

Ich kenne nur DIN-Normen und dachte immer, die seien sozusagen "staatlich"?

Es gibt das deutsche DIN-Institut, alle kennen das Format DIN A 4. Doch das ist nicht staatlich, sondern ein Verein. Und jeder, der oder die sich berufen fühlt, kann eine neue Norm beantragen. Das geht dann durch viele Gremien und es ist sehr teuer. Aber es ist möglich. Und daneben gibt es noch zahllose andere Organisationen, die Normen entwerfen.

BDA-Präsidium, Jan O. SchulzKlaus Hartmann/Bund Deutscher Architekten

Jan O. Schulz

Jan O. Schulz ist Architekt in Kiel und führt dort mit zwei Partnern das Büro BSP Architekten, das vielfach für qualitätvollen Wohnungsbau auszeichnet wurde, u. a. mit dem BDA-Preis und dem Landespreis für Baukultur. Er ist seit 2019 Mitglied im Bundespräsidium des BDA Bund Deutscher Architektinnen und Architekten und kümmert sich dort u. a. um Wohnungsbaupolitik, Nachhaltigkeit und um Zukunftsvisionen für das Bauen. Zurzeit engagiert er sich mit zahlreichen Vorträgen für eine Vereinfachung des Bauens und Umbauens im Sinne des vieldiskutierten "Gebäudetyp E".

Wer stellt solche Anträge?

Wir hatten beim BDA neulich die Anfrage eines Natursteinverbandes. Die wollten unsere Unterstützung für eine neue Norm für Natursteine. Das haben wir abgelehnt. Es gibt schon genug zu Natursteinen, niemand braucht eine weitere Vorschrift.

Ihr vom BDA fordert seit Jahren, dass die Zahl der Normen im Baurecht sinken soll. Warum klappt das nicht?

1995 tagte die erste staatliche Baukostensenkungskommission. Damals gab es 600 Normen. Viel zu viel, sagte die Kommission: "Die Zahl muss runter." Die Kommission gibt es noch heute, wenn auch unter einem anderen Namen und immer noch sagt sie: Wir müssen runter von den Normen – dabei ist die Zahl auf 3700 gestiegen. Ich finde, das sagt eigentlich alles, wo wir gerade stehen.

Soll es denn gar keine Normen mehr geben?

Doch natürlich, wir brauchen Standards. Dächer müssen dicht sein, Steckdosen sicher. Aber es müssen nicht acht Steckdosen pro Kinderzimmer sein, wie jetzt vorgeschrieben. Hier brauchen wir mehr Flexibilität und Öffnungsklauseln, dies es möglich machen, dass so ein Standard in bestimmen Bereichen gesenkt werden kann.

In der Bauwelt reden alle jetzt von einem neuen "Gebäudetyp E", der bald gelten soll. Was ist das?

"E" steht für "einfach" und "Experiment" und genau das brauchen wir, damit wir Best-Practice-Bauten schaffen können. Dafür haben wir vom BDA lange gekämpft und ich hoffe sehr, dass wir dadurch ganz generell die Baukosten werden senken können.

Ihr selbst habt genau das vor ein paar Jahren schon mal gemacht und zwar in dem Projekt, zu dem es oben auch das Foto gibt.

Ja, das ist ein Projekt in Kiel/Büdelsdorf. Unser Auftrag lautete, "kostengünstige" Wohnungen zu bauen, für eine Baugenossenschaft, die eben auch Wohnungen für Geflüchtete anbieten wollte. Die durften aber maximal nicht mehr als 2000 Euro pro qm kosten. Wir lagen am Ende bei 1850 Euro.

Kurzer Einschub: Wenn Du von Baukosten redest, dann umfasst das immer alle Erstellungskosten, aber ohne den Grundstückspreis. Richtig?

Ja, das war auch schon damals extrem wenig. Der Durchschnittspreis lag in Deutschland zu diesem Zeitpunkt bei 3000 Euro, heute sind wir bei über 4300 Euro.

Wie habt Ihr es geschafft, so günstig zu bauen?

Das war eine Ausnahme, weil es in Schleswig-Holstein ein Sonderprogramm mit dem Namen "Erleichtertes Bauen" gab. Und so konnten wir schon damals einige Dinge anders machen: Wir haben die tragenden Wände und Decken so schlank ausgeführt, wie es eben ging und auf alles verzichtet, was nicht wirklich nötig war. Außerdem haben wir viele gleiche Elemente eingesetzt wie Treppen, Fenster und Wandverkleidungen. Trotzdem haben wir eine sehr gute Qualität geschaffen. Man sollte den Häusern nicht ansehen, wie günstig sie waren. Deswegen sind sie auch mit Ziegeln verblendet und haben wirklich hochwertige Außenanlagen. Denn trotz aller Kostendiskussion – Gebäude müssen dauerhaft sein, gut altern und vor allem: Menschen, die dort wohnen, müssen sich wohlfühlen!

PS:
Jan und ich haben uns letztes Jahr auf einem Kongress der Europa-Universität in Flensburg über Nachhaltigkeit im Bauen kennengelernt, bei dem wir beide auf dem Podium saßen. Dabei war nicht nur das Thema "nachhaltig", sondern auch meine "Ausbeute" an Themen für die Wohnlage: Ich sprach über tolle Ideen für Genossenschaften in der Schweiz, das Einfamilienhaus als "Blinder Fleck in der Stadtentwicklung" und Umnutzung von Kirchen, Büros oder gar Tankstellen...

Kolumne

Dorothea Heintze

Wohnen wollen wir alle. Bitte bezahlbar. Mit Familie, allein oder in größerer Gemeinschaft. Doch wo gibt es gute Beispiele, herausragende Architekturen, eine zukunftsorientierte Planung? Was muss sich baupolitisch ändern? Wohnlage-Autorin Dorothea Heintze lebt in einer Baugemeinschaft in Hamburg und weiß: Das eigene Wohnglück zu finden, ist gar nicht so einfach. Alle zwei Wochen.