Liebe Leserin, lieber Leser,
es gibt Geschichten in chrismon, die mir noch lange nach Redaktionsschluss im Kopf herumschwirren, weil ich nicht weiß, was ich davon halten soll. Die aktuelle Titelgeschichte gehört dazu: Die Schwedin Lolita Carlerup kommt ohne Gebärmutter auf die Welt und fühlt sich dadurch "nicht komplett": "Mein Traum war immer, selber Kinder zu bekommen." Da sagt ihre große Schwester: "Du kannst meine haben." Das Organ wird von der großen in die jüngere Schwester transplantiert, ausgetauscht "wie ein Pullover", so sagen sie es selber. Heute ist Lolita glückliche Mutter eines kleinen Sohnes.
Ich finde das aus mehreren Gründen fragwürdig. Warum soll eine Frau, die keine Kinder bekommen kann, nicht "vollständig" sein? Müssen im Leben wirklich alle Träume erfüllt werden - oder gehört zum Erwachsenwerden nicht auch dazu, sich den Dingen zu stellen, die man nicht verändern kann? Und sehr ernsthaft beschäftigt mich die Frage, ob das Gesundheitssystem, das massiv unter Kostendruck steht, wirklich diesen teuren Eingriff bezahlen muss. Auch wenn es in Deutschland nur drei- oder viermal im Jahr gemacht wird - ich finde nicht richtig, dass die Krankenkasse das bezahlt. Mir wäre lieber, das Geld würde in ebenfalls extrem teure Krebstherapien investiert.
Andererseits: "Wer bin ich denn, einer anderen Frau vorzuschreiben, was sie machen darf?", sagt die Gynäkologin und Psychosomatikerin Katharina Lüdemann im chrismon-Interview und trifft auch da einen Nerv bei mir. "Mein Bauch gehört mir" ist eine immer noch aktuelle Parole der Frauen, denn weltweit sind Reproduktionsrechte unter Druck, nicht nur in den USA. Stoff für viele Debatten. Und ganz ehrlich - ich hätte besser gefunden, Lolita wäre eine superaktive Tante geworden und hätte sich um das Kind ihrer Schwester gekümmert, anstatt sich deren Gebärmutter einzupflanzen.
Ganz sicher bin ich mir bei einer ähnlich umstrittenen ethischen Frage: der Leihmutterschaft. Ich bin dagegen. Ich finde ungeheuerlich, dass Frauenkörper, meist in sehr armen Ländern, für Geld vermietet werden. Sie sagen vielleicht: Das machen die Ukrainerinnen, Brasilianerinnen und Kolumbianerinnen aber freiwillig? Ich antworte: Ungefähr so freiwillig, wie sich für Geld zu prostituieren. Klar treibt die Armut Frauen in diese Jobs. Dann müssen wir die Armut bekämpfen und nicht die Frauenkörper kommerzialisieren.
Schwanger werden können und Mutter sein, für alle Frauen ein Rieseneinschnitt im Leben. Manche werden nach der Geburt richtig schwermütig. Ich kann mich erinnern, dass mein Gynäkologe bei der ersten Schwangerschaft sagte: "Das Kind wird Ihr Leben so verändern wie nichts sonst." Das stimmt, ich bin sehr glücklich und dankbar für meine beiden Söhne. Aber ich bin sicher, mein Leben hätte, wenn es mit dem Schwangerwerden nicht geklappt hätte, auch einen guten Lauf nehmen können.
Ich wünsche Ihnen eine nachdenkliche Woche!
Ihre
Ursula Ott
Chefredakteurin