chrismon: Was hat Sie bei dem Projekt am meisten überrascht?
Stefanie Lieb: Dass in Westdeutschland eine größere Hilflosigkeit im Umgang mit der neuen Nutzung von Kirchengebäuden herrscht, obwohl es dort viel mehr Christen gibt. Die Menschen in Ostdeutschland waren motivierter und innovativer. Dort ist Spannendes entstanden, zum Beispiel Zirkus- oder Fahrradkirchen.
Stefanie Lieb
Sie prognostizieren, dass die Kirchen absehbar rund 30 Prozent ihres Bestandes aufgeben müssen. Was soll aus den Gebäuden werden?
In Deutschland gibt es circa 50.000 Kirchengebäude, je zur Hälfte katholisch und evangelisch. Noch sind weniger als ein Prozent umgenutzt. Aber das wird sich in den nächsten 20 Jahren ändern. In Zeiten, in denen wir aus ökologischen Gründen mehr im Bestand bauen müssten, könnte man die "graue Energie" der Kirchengebäude nutzen, also die vorhandene Architektur und das Material – aber auch die spirituelle Energie.
Manche Kirchen sind heute Kletterhallen. Ist es nicht seltsam, wenn man dort klettert, wo die Beerdigung der Oma stattgefunden hat?
Bei der Kletterkirche in Mönchengladbach gab es vor der Umnutzung einen Aufschrei der Katholiken. Die Kirchengemeinde selbst findet das inzwischen aber gut und geht dort beispielsweise mit ihren Firmgruppen klettern. Für die Denkmalpflege war es nie ein Problem, weil man die Umbauten rückgängig machen kann. Wenn Kletterwände vor die historischen Wände geschoben und verankert werden, ist das okay.
Was spricht gegen Umnutzungen?
Die Denkmalpflege möchte, dass bei einer Umnutzung erkennbar bleibt: Das war mal eine Kirche. Da hat man gebetet, getrauert oder sich gefreut, weil das Kind getauft wurde. Die Emotionen, die Menschen in die Kirche hineintragen, stecken noch drin. Bei einem Umbau sollte man den ursprünglichen Raumeindruck nicht so verfremden, dass er nicht mehr zu spüren ist.
Zum Beispiel?
Ich fände es doof, wenn Supermärkte oder Schnellrestaurants in Kirchengebäude ziehen würden. Kommerz und Konsum widersprechen der besonderen Architektur. Das sollte man bei einer Umnutzung beachten. In Hannover etwa ist eine Kirche zum Studierendenwohnheim umgebaut worden. Der große Kirchenraum ist durch ein hölzernes Deckengewölbe noch immer erkennbar. Im Untergeschoss sind die Wohnräume mit Gemeinschaftsküche. Der Gemeinschaftsgedanke, der in dem Gebäude steckte, ist so erhalten geblieben.
Was verbinden die Menschen in den Gemeinden mit den Kirchengebäuden?
Selbst Menschen, die nicht zur Gemeinde gehören, sondern nur in dem Ort wohnen, lässt eine Kirche nicht kalt. Häufiger resignieren die Leute: Sie kennen die Kirche und würden gern reingehen, aber die ist immer zu. Das ist schade. Wenn man die Bewohner des Orts mit einbezieht, kann man dieses Potenzial nutzen. Kirchengebäude sind Ankerpunkte der Kultur. Wir sollten sie lebendig erhalten – nicht nur als Denkmal.
Welche Umnutzung finden Sie besonders gelungen?
Die Böhm-Chapel in Hürth: eine Nachkriegskirche, die vor ein paar Jahren zu einer Kunstgalerie umgebaut wurde. Altar, Taufbecken und Tabernakel wurden ausgeräumt, aber der Raum blieb erhalten. Die Künstler spüren die sakrale Atmosphäre.