Zu den wenigen erfreulichen Folgen der Corona-Pandemie gehören die Freiluft-Gottesdienste, die viele Kirchengemeinden seither im Sommer feiern. Was als Notmaßnahme begann, ist inzwischen eine beliebte Gewohnheit geworden. Mit Gottesdiensten im Pfarrgarten, auf dem Kirchvorplatz oder im städtischen Park öffnen sich Kirchgemeinden. Sie lassen die Kirchenmauern hinter sich – und siehe da, es kommen Menschen, denen die Schwelle zu einem Indoor-Gottesdienst zu hoch wäre. Einige Menschen scheinen Kirchengebäude gerade nicht zu brauchen.
Auch das frühe Christentum kam sehr lange ohne Gebäude aus. Die ersten Gemeinden trafen sich am Sonntagmorgen im Freien, um Gottes Wort zu hören, zu beten und zu singen, oder in Privathäusern von Gemeindegliedern, um Abendmahl zu feiern. Für mehr hatten sie weder Bedarf noch Mittel. Erst als die Kirchen – beginnend im 3. und 4. Jahrhundert – zu gesellschaftlichen Größen heranwuchsen, fingen sie an, geräumige, öffentlich zugängliche, anspruchsvoll gebaute und künstlerisch gestaltete Sakralbauten zu errichten.
Eben noch war es der Stolz der jungen Christenheit gewesen, im Unterschied zur religiösen Umwelt keine Tempel zu besitzen. Jetzt ließen Kaiser, Fürsten, Bischöfe und Äbte heilige Orte bauen. Über diesen epochalen Umschwung hat es keine größeren theologischen Debatten gegeben, jedenfalls ist nichts überliefert. Galt es nun, da die Kirchen in der Mitte der Gesellschaft angekommen waren, als selbstverständlich, dass Kirchbauten gebraucht wurden?
Es folgte eine ungeheuer kreative Geschichte des Bauens und Gestaltens – bis in die Gegenwart –, deren Vielfalt und Reichtum selbst Fachleute nicht mehr überblicken können. Auch wenn Christenmenschen eigentlich wissen, dass sie auf dieser Welt keine feste Bleibe haben (Hebräerbrief 13,14), haben sie offenkundig das Bedürfnis, religiös und ästhetisch bedeutsame Immobilien zu besitzen. Wo sonst ließen sich sorgfältig geplante Liturgien durchführen, könnten größere Menschenmengen längere Predigten hören, sollten einzelne Gläubige zur Besinnung kommen? Über lange Zeit dienten monumentale Kirchbauten allerdings auch politischen Zwecken. Mit ihnen konnten die Kirchen ihre Macht öffentlich ausstellen.
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Ja, wozu brauchen wir…
Ja, wozu brauchen wir Kirchengebäude? Der moderne Mensch kann mit Kirchengebäuden nicht viel anfangen, er hat gelernt und ist gewohnt, auf Bildschirme und Displays zu glotzen, hier spielt sich die Welt ab, wozu braucht man da noch Kirchen und das ganze Zeug? „Religionen sind Versuche, den Menschen mit Hilfe einer Bildsprache auf den Weg der Philosophie zu bringen“. Philosophie spielt sich im Kopf ab (Info: Kopf steht hier für Denken, Herz und Unterleib sind Funktionen des Denkens), und aus dem Kopf kommt das Handeln. Eigentlich bräuchte man tatsächlich kein spezifisches Gebäude, denn die „Gemeinde“ ist eine Gemeinschaft im Geiste, es ist die Idee der Emanzipation des Menschen.
Friedhelm Buchenhorst
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Herr Claussen hat Recht…
Herr Claussen hat Recht.
Kirchengebäude sind unverzichtbare Bestandteile unserer christlichen Kultur.
Sie sind nicht nur Orte liturgischer Veranstaltungen, sondern zunehmend Kulturorte allgemein.
Ich als Nichtchrist sehe in Ihnen auch Geschichtsorte, die Architektur, die künstlerische Ausgestaltung,
das Erhabene und doch auch das Insichgehen dort.
Wir, das sind der Staat, die Kirche als Organisation, die Gläubigen, die nichtchristlichen Nutzer
und auch die Spender müssen sie erhalten.
Zu den Spendern gehören meine Frau und ich über die Deutsche Stiftung Denkmalschutz.
Wolfgang Schlenzig
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Sehr geehrte Damen und…
Sehr geehrte Damen und Herren,
Ihr Magazin Chrismon 09/2024 habe ich mit Interesse gelesen. Auch den Beitrag "Wozu brauchen wir Kirchengebäude?". Gestolpert bin ich über den Begriff "zivilgesellschaftliche(r) Denkmalschutz", der wohl neben einem staatlichen existiert. Gibt es neben einem zivilen auch noch einen unzivilen Denkmalschutz. Vielleicht kann mich der Autor Herr J.H. Claussen in meinem Unwissen aufklären und die Verwendung des Eigenschaftswortes erläutern.
Besten Dank für Ihr Bemühen.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Voss
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