"Ich möchte es zurückgeben"
Annette Hauschild / Ostkreuz
Geerbte Kolonialgüter
"Ich möchte es zurückgeben"
Speere, Geweihe, Kopfschmuck, Schildkrötenpanzer: Anne Schönharting hat über 120 Objekte aus der kolonialen Vergangenheit ihres Urgroßvaters geerbt. Und begriffen: im Wohnzimmer können sie nicht bleiben.
29.07.2022

Mein Urgroßvater Willy Klare war von 1908 bis 1914 Kakaoplantagenverwalter auf der Insel Fernando Póo in Spanisch-Guinea, heute Äquatorialguinea. Zeit seines Lebens, er starb 1973, glorifizierte er den Kolonialismus. Ob er die Objekte, die er heim nach ­Dresden schickte oder mitbrachte, unrechtmäßig besaß, weiß ich nicht. In den Geschichten, die im Familienkreis erzählt wurden, war Willy ein "Abenteurer".

Als Kind dachte ich, so ein "Afrikazimmer" hat jede Familie. So nannten wir unser Gästezimmer, das mit den Erbstücken dekoriert war. Seit vier Generationen wandert ­diese koloniale Sammlung durch die Wohnungen und Häuser meiner Familie. Es wurde alles aufgehoben: Fotos, Briefe, Urkunden, Elfenbein, zwei geschnitzte Holzhocker . . . Mit der Zeit kamen auch andere Objekte dazu, die Figuren unten in der Mitte etwa brachte eine Tante aus dem Kenia­urlaub mit. Das Schränkchen ist aus Indien. Zu DDR-Zeiten war das Zimmer identitäts­stiftend, ein Symbol für Reisefreiheit. Die große Welt im ­kleinen Zimmer. So konnten meine Eltern sich dem kommunistischen System ­entziehen. In meiner Jugend begann ich, die von meiner Großmutter überlieferten und teils ­verklärenden Erzählungen zu hinterfragen.

Ich habe die Fotos von Urgroßvater Willy hoch­auflösend eingescannt – und plötzlich sah ich deutlich die Emo­tionen in den Gesichtern. So eine Traurigkeit! Dass der ­Urgroßvater während der ­Kolonialzeit zu der weißen, herrschenden Klasse gehörte und diese Haltung auch lebte, wurde mir bewusst, als ich ­seine Briefe und Postkarten las. Einmal schrieb er über die Einheimischen: "Das sind alles meine Kinder." Da war er selbst 22 Jahre alt! Die Büste rechts trägt den Kopfschmuck der Pangwe-Frauen. Ob sie in Kamerun gefertigt wurde oder nachträglich in Europa?

1919 kehrte Willy Klare nach Deutschland zurück. Er gründete einen Kolonialwarenladen und eine Kohlenhandlung in Zittau in der Oberlausitz. 1938 organisierte er als Mitglied des Reichskolonialbundes die "Mitteldeutsche Kolonialschau" in Zittau, zu der er auch Exponate beisteuerte. Die Speere auf dem Foto oben zum Beispiel oder die Geweihe könnten aus seiner Sammlung stammen.

Eine meiner frühen Erinnerungen ist, wie mein Bruder und ich uns mit den Speeren durch die Wohnung meiner Oma gejagt haben. Nach dem Tod meiner Eltern habe ich mich mehrere Wochen in ihrem Haus zurückgezogen. Ich habe die Objekte auf den Boden gelegt und mich gefragt, wo sie hinwollen. Dann habe ich die Speere rausgetragen, raus aus dem Reihenhaus, an die Orte meiner Kindheit. Sie in diesem Weizenfeld aufzustellen, fühlte sich richtig an. Kraftvoll, wie sie in den Himmel zeigen.

Die Echse ist ausgestopft. Ich habe sie 2017 im Hausflur meiner verstorbenen Oma fotografiert, in einem ­alten Stadthaus in Döbeln. Die Echse wirkt, als ­wäre sie auf dem Sprung. Viele Menschen fragen sich heute, was der ­Kolonialismus noch mit ihnen zu tun hat. Sehr viel, ­finde ich: Als Europäer, als Deutsche sind wir geprägt durch die ­Erzählungen der Familien, durch Bilder und Geschichten. Wir haben nicht nur Objekte geerbt. Wir haben als Gesellschaft auch diesen kolonialen Blick ­geerbt. Ein Überlegenheitsgefühl, das es immer noch gibt. Darum müssen wir uns auch mit unseren Sichtweisen ­befassen. Wie kann man ­Gerechtigkeit schaffen? Wie die Schäden kolonialer Gewalt heilen? Mich interessiert es nicht, an Dingen festzuhalten. 2018 bin ich auch nach Äquatorialguinea gereist. Aber ich kann ja schlecht irgend­jemandem auf der Straße diese Echse oder die Speere in die Hand drücken.

Dieses Foto ist aus Fernando Póo, es zeigt sehr wahrscheinlich ­meinen Urgroßvater. Am 4. Juni 1909 notierte er in sein Tagebuch: "Nachdem eine gute Passage (Anm.: durch den Urwald) ­gefunden war, nahm mich mein boy auf die Schulter und los gings durch dick und dünn hinüber auf das ­andere Ufer. ( . . . ) Unter einer Liane hinwegkriechend verlor ich meinen Tropenhelm. Meine boys mußten natürlich gleich wieder hinunter ihn zu holen, was ihnen auch nach einigem Suchen gelang."

Anne Schönharting

Anne Schönharting, geboren1973, wurde für ihre fotografischen Arbeiten vielfach ausgezeichnet. Sie ist Mitglied der Agentur Ostkreuz und lehrt zurzeit Fotografie an der Muthesius-Kunsthochschule in Kiel.

Das Elfenbein war in einer speziell angefertigten Vorrichtung im "Afrikazimmer" ausgestellt. Ich brachte es an ­einen anderen Ort meiner Kindheit: das alte Schwimmbad in Meißen. Diesen seltsam brachliegen­den Ort empfand ich als ­genau richtig, um symbolisch von der verdrängten vorherigen Existenz zu ­erzählen. Gerade ist in Eschborn eine Ausstellung der Deutschen Börse Photography ­Foundation zu Ende ­gegangen, auf der ich eine ­Installation des "Afrikazimmers", meine Bilder und das Buch gezeigt habe. Die ­geerbten Objekte sind erst mal in meiner Wohnung ­eingelagert. In Seidenpapier gewickelt. Ein Transit – bis ich sie vielleicht irgendwann zurückgeben kann. Nun ­suche ­ich ein Museum, das mir hilft, die ­Herkunft der Sammlung zu erforschen.

Protokoll: Mareike Fallet

"Der weiße Blick" – deutsche Kolonialgeschichte und Rassismus. Darüber spricht chrismon- Chef­redakteurin Ursula Ott mit dem Filmemacher Wilfried Hauke, der Fotografin Anne Schönharting und der Historikerin Dr. Rahab Njeri.
Am 1. September von 12 bis 13 Uhr, in Kooperation mit dem Fernsehsender ARTE. Seien Sie live dabei und ­stellen ­Fragen! Anmelden unter
www.chrismon.de/webinar.

Produktinfo

Anne Schönharting: Das Erbe.
Hartmann Books.
154 Seiten, 38 Euro.

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