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Ist doch kein Wunder, dass sie zögern
Ja, die Pflegekräfte sind nicht Feuer und Flamme beim Impfen. Nun diskutiert man über Prämien für die Willigen. Und über eine Impfpflicht. Das ist der falsche Weg! Der richtige: Hinhören, was wirklich dahinter steckt
Portrait Hanna Lucassen, Redaktion chrismon, Redaktions-Portraits Maerz 2017Lena Uphoff
12.01.2021

Es scheint absurd. Pflegekräfte erleben die ­Folgen der Pandemie hautnah und haben ein ­erhöhtes Ansteckungsrisiko. Nun dürfen sie sich impfen lassen – und wollen nicht, mancherorts nicht einmal fünfzig Prozent. Ist das zu verstehen?
Man kann es zumindest versuchen: Viele Pflegende fühlten sich im Laufe der Pandemie zunehmend wie ­„Kanonenfutter“: Sie mussten teilweise ohne Schutzmasken in die Patientenzimmer. Für sie gelten verkürzte Quarantänezeiten. Sie sollen auch bei positivem Befund weiterarbeiten, „wenn sonst die Versorgung zusammenbricht“, wie Jens Spahn sagt. Wen wundert es, dass sie jetzt skeptisch auf das Angebot (oder Gebot) zur frühen Impfung reagieren. Das Vertrauen ist weg, dass es auch um ihren Schutz geht. Manche fühlen sich wie Versuchskaninchen, die als Erste ranmüssen, während der Rest der Bevölkerung abwartet, wie die Spritzen wirken.
Die Immunisierung wird Pflegekräfte auch nicht von der Schutzmontur befreien. Bislang ist nicht auszuschließen, dass auch Geimpfte den Virus weitergeben.

Mangelnde Fürsorge

Die Impfskepsis der Pflegekräfte ist etwas Hausgemachtes – eine Antwort auf die mangelnde Fürsorge für diese Berufsgruppe. Nicht erst seit Beginn der Pandemie, schon in vielen Jahren davor, in denen die ­Politik die extremen Arbeitsbedingungen in der Pflege billigend in Kauf nahm und jeden Protest überhörte.
Auch wenn sich das manche anders wünschen: Pflegende sind keine Vorbilder in puncto Gesundheitsbewusstsein. So ist die Raucherquote bei ihnen höher als beim Rest der Bevölkerung. Wie andere wägen sie jetzt Nutzen und Risiko einer Impfung ab. Wie andere haben sie Angst vor Impfschäden, Nebenwirkungen und Langzeitfolgen. Aber anders als andere müssen sie sich jetzt sofort entscheiden: Ja oder Nein. Die ­Leiterin eines bayerischen Heimes, in das gleich am 27. Dezember ein Impfteam kam, sagt: „Es ist nicht so, dass die Pflegekräfte es kategorisch ablehnen. Aber viele sagen, sie wollen lieber noch abwarten, bis man in Deutschland mehr Erfahrung gesammelt hat.“ Ist das so unverständlich?

Zeit geben

Statt auf die angeblich uneinsichtigen Pflegekräfte einzudreschen, könnte man ihnen die Möglichkeit ­geben, später geimpft zu werden. Man könnte ihre Ängs­te ernst nehmen, auf Aufklärung setzen und – vor allem! – endlich hinhören, was sie zu sagen haben.

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Den Nagel auf den Kopf getroffen. Und dann ist da natürlich auch wohl ein höherer Anteil von nicht Akademikern die eher an Verschwörungstheorien glauben. Der Knackpunkt ist die fehlende Risikoabschätzung für den Einzelnen zu zeigen wie hoch das Risiko der Krankheit im Vergleich zur Impfung ist. Die Krankheit könnte ich ja nicht kriegen, das Impfrisiko ist aber sicher. Vielleicht hilft es ja den Rumor zu schüren das die Illuminaty die Verschwörungstheorien unterstützen um die Queerdenker auszurotten - aber das ja nicht nötig :-(

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Man fühlt sich in seinen Ängsten nicht wahrgenommen, benutzt, denn im Grunde geht es doch um die Patienten, und man selbst hat NUR zu dienen. Es entsteht ein Dilemma zwischen Selbstwert und Pflichterfüllung , in Kürze gesagt.
Diese Problematik wird kaum wahrgenommen, was im Grunde mit einer vorsorglichen Arbeitshygiene zu bewältigen sein sollte, sicher auch ein Kostenfaktor .
Aber...
Muss das jetzt sein ? Ein Mindestmass an Einsicht sollte doch vorhanden sein, und wenn nicht, dann sollte man innerhalb der Pflegegewerkschaft einander ZUHÖREN !
Für diese Art "Seelsorge " , sind , mit Verlaub, doch nicht die Politiker zuständig.
Die Gewerkschaft scheint immer dann zur Stelle zu sein, wenn es um finanzielle Forderungen, nicht aber, wenn es um zwischenmenschliche Belange geht. Es war schon immer so, dass gerade unter den Pflegenden es an Kollegialität mangelte.
Es mangelte an allem, an Geld, an Zeit, und oft eben auch an Humanität.
Alles nur, weil der Job so schlecht bezahlt wurde ?
Wer soll eigentlich wem zuhören ?
Was soll ein Politiker dort ausrichten ?
Man kann dieses Thema breit diskutieren, aber wenn es in der Pflege um mehr als Routine geht, dann darf auch kritisch die ethisch moralische Einstellung der Pflegekräfte hinterfragt, und auch vorausgesetzt werden.
Tod und Krankheit warten nicht, bis die liebe Pflegekraft bereit ist, entsprechend zu handeln.

Das Dilemma der Pflege ist uralt , aber , bitte, nicht jetzt, mitten in der Pandemie , und so kurz vor deren Ende.
Alle, die gesamte Bevölkerung, wartet auf das Ende dieser schrecklichen Zeit.
Niemand will gezwungen werden, aber es scheint tatsächlich vielen nicht klar zu sein, was das bedeutet, Geduld zu haben und zu warten.
Ich nehme wahr, wie sehr sich der eine oder andere gegen eine Impfung sträubt, weil ihm im Grunde die Folgen nicht klar sind. Er sieht ja über den eigenen Tellerrand kaum hinaus, und versteckt sich lieber hinter dubiosen Gedankenspielen, die ihm vorübergehenden Schutz versprechen.
Aber solange die Impfung nicht schlimmer ist, als die Krankheit selbst, sehe ich keinen Grund, sich dagegen zu sträuben.
Und im Falle der Pflegekräfte empfehle ich, sich auch intern mit dem Thema intensiv auseinander zu setzen, damit nicht unnötig kostbare Zeit verschwendet wird.

" Viele Pflegende fühlten sich im Laufe der Pandemie zunehmend wie ­„Kanonenfutter“"
Wird daraus nun das " Recht" abgeleitet, " quer zu schießen " ?
Das wäre neurotisch und in Bezug auf die übrige Bevölkerung, äußerst unfair.

" Aber anders als andere müssen sie sich jetzt sofort entscheiden: Ja oder Nein. "
Das ist eine konfuse Angst, wie die ganze Situation an sich.
Von " Eindreschen " ist im Artikel die Rede. Die Sprache lässt zu wünschen übrig.
Wie soll man das verstehen ?

Soll da Stimmung für oder wider gemacht werden ?

Alles nicht hilfreich.

" Manche fühlen sich wie Versuchskaninchen, die als Erste ranmüssen, während der Rest der Bevölkerung abwartet, wie die Spritzen wirken."
Wie schon gesagt, das ist auf mangelnde Seelenhygiene zurückzuführen. Psychische Belastung ist keine Bagatelle, und wird möglicherweise eine Langzeitfolge der Pandemie sein, nur gibt es dagegen leider keinen Impfstoff.
Ich wundere mich, wie wenig Einsicht gerade dort herrscht, wo man sich in nächster Nähe mit den Betroffenen befindet.
Danke für diesen Einblick. Ich hoffe, dass sich die Situation bald entspannt.

Ich stimme den Ausführungen von G.L. zu.
Es sollte bei diesem wichtigen Thema in erster Linie um den medizinischen, sachbezogenen Aspekt gehen. In dieser Situation liegt es an einem selber, ob man zielorientiert handelt oder sich *sorry* bockig mit verschränkten Armen in die Ecke stellt und nicht "mitspielt". Diesen Eindruck vermittelt der Blogbeitrag. ..und Gründe zu jammern haben derzeit genug andere Berufsgruppen, die nicht in den Genuss einer frühen Impfung kommen.

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Das ist eine interessante These. Grade bei einer Berufsgruppe die es nicht besser wissen sollte sondern auch Verantwortung trägt (ist das Virus nicht auch von Pflegenden in die Heime gebracht worden) kann und muss mehr erwartet werden. Neu ist das Phänomen übrigens nicht: unter dem Pflegepersonal befinden sich auch viele Impfgegner.

Kolumne

Hanna Lucassen

Schwester, Schwester! Hanna Lucassen erzählt von Streiks, Spritzen und Sonntagsdiensten.