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Zum Beispiel mein liebster Friedhof, der Dorotheenstädtische in Mitte. Dort fiel mir beim letzten Mal besonders auf, dass auf vielen Grabsteinen kleine Steine lagen. Natürlich weiß ich von der alten jüdischen Sitte, einen Stein auf das Grab zu legen, das man besucht. Sie scheint eine lange Geschichte zu haben. Wie lang, weiß man nicht so genau. Mich berührt diese Geste. Sie ist einfach, belegt ein Kommen und Gedenken, kostet nichts und bringt nichts, was – wie verwelkte Blumen – wieder entsorgt werden müsste.
Was mich kurz stutzen ließ, war, dass solche Steine auch auf nicht-jüdischen Gräbern lagen. Offenkundig haben viele Christen und nicht religiös gebundene Menschen diese Sitte angenommen. Wann hat das wohl angefangen? Und ist das nun ein Fall von „cultural appropriation“, also einer illegitimen Inbesitznahme eines fremden Kulturguts? Ach nein, es ist nur ein schlichtes Zeichen: Ich war da, ich habe an die Person gedacht, die hier liegt, ich ehre ihr Andenken. Vielleicht verbindet der eine oder die andere damit auch einen Gedanken an die eigene Endlichkeit: Erde zu Erde, Asche zu Asche, Stein zu Stein. In Corona-Zeiten mag das auch einen Sinn haben.
Auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof liegen bekanntlich berühmte Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Auf einigen dieser Gräber liegen nicht nur Steine, sondern auch – so bei Christa Wolf – Kugelschreiber.