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"Denn wenn das Herrlichkeit hat, was da aufhört, wie viel mehr wird das Herrlichkeit haben, was da bleibt. Weil wir nun solche Hoffnung haben, sind wir voller Freimut", schreibt Paulus (2. Korintherbrief 3, 11 und 12). In diesen Sätzen des Evangelisten und Briefeschreibers überschlägt sich die Lebensfreude. Die Welt ist herrlich. Und vielleicht muss es erst zum wochenlangen Halt des Lebens auf freier Strecke kommen – wie in den Tagen des Lockdown –, dass wir wieder aufmerksam werden auf die Natur, die uns umgibt. Wir drinnen erleben das Draußen ganz neu.
Johanna Haberer
Wer einen Garten hat, bei einem Park wohnt oder den Pflanzen auf dem Balkon beim Wachsen zusehen kann, konnte mit vollen Sinnen erleben, wie herrlich die Schöpfung ist. Die Glückseligkeit eines sonnigen Frühlings und warmen Sommers, die Farben eines leuchtenden Herbstes. Wie ein Kind konnte ich die Welt riechen, spüren und schauend genießen. Dem Spiel der Sonnenstrahlen zusehen, die gebauschten Wolken, der funkelnde Regen. Die Bäume, die Blumen, die Vögel und Schmetterlinge, die Blüten, die Blätter, die Gräser. Kein Verkehr auf den Straßen im Frühjahr, kein Flugzeug am blauen Himmel.
Der Sommer ist das Sinnbild für Farbenpracht und explodierendes Wachstum. Niemals habe ich mich so intensiv um den Garten gekümmert. Gedüngt, gewässert, beschnitten, aufgebunden. Niemals habe ich mich so an den Farben, Formen, Gerüchen und Geräuschen gefreut – mit jedem Schritt vor die Tür.
So herrlich das Wachstum, so unabwendbar der Verfall. Auch dieses merkwürdige Jahr, das eine Ahnung vermittelte, was es bedeutet, wenn die Natur Freigang hat, neigt sich langsam wieder einem Ende zu: Die Blumen verwelken. Die Blätter fallen ab. Der Himmel färbt sich grau. Die Natur ist in all ihrer Herrlichkeit auch Sinnbild der Vergänglichkeit.
Wir sind Teil der Natur
Und dennoch ist dieser Kreislauf des Werdens und Vergehens Grund zum Jubeln darüber, dass existiert, was existiert. In den vergangenen Wochen sind wir Menschen in all unseren kulturellen Ausprägungen und etablierten Schutzmechanismen durch ein um die Welt reisendes Virus unabweisbar an die eigene Naturhaftigkeit erinnert worden. Wir Menschen sind nicht die Herren über das, was lebendig ist.
Das Wort "Herdenimmunität", das wir von den Virologen lernen durften, weist uns den Platz in der engen Schicksalsgemeinschaft mit den Tieren und anderen Lebewesen zu. Wir, die Computer programmieren und Satelliten in den Himmel schicken, wir, die wir Flüsse bändigen und Brücken über Wolkenkratzer in den Himmel bauen, wir gehören mit unseren Leibern zu den Organismen dieser Erde.
Ich habe in den vergangenen Wochen gelernt: Ein solches Virus hat nur eine Lebensaufgabe – die eigene Vermehrung und die Zerstörung alles anderen.
Neben den Bildern der explodierenden Natur sah man im Fernsehen die menschenleeren Städte, die Kühltransporter beim Abtransport der Leichen und die hastig ausgehobenen Massengräber, die an ein Massaker gemahnten. Die Welt ist schrecklich.
Etwas wird bleiben von uns
Paulus ist überzeugt, dass wir Lebewesen in aller Vergänglichkeit eine bleibende Kernexistenz haben. Die Alten nannten es "Seele". Dieses unsichtbare und unmessbare Gottesorgan, dieses Gottesteilchen in jedem Menschen, steht für alles, was bleibt, wenn unsere naturhafte Existenz den Weg alles Irdischen geht. Etwas bleibt, wenn wir vergehen.
Wer in dieser Gottesblase existiert, denkt, fühlt und lebt – davon bin ich überzeugt –, freut sich trotz allem seines Lebens und ist sich seines Überlebens sicher. Der Tod ist schrecklich, aber seine Existenzberechtigung ist limitiert.
In dieser Überzeugung wurzelt die Freiheit des Menschen und, wie Paulus sagt, seine Hoffnung. Hier wurzelt die furchtlose Lebensbejahung und der Lebensmut. Die Welt ist schrecklich – aber es ist herrlich in ihr.
Denn wenn das Herrlichkeit hat, was da aufhört, wie viel mehr wird das Herrlichkeit haben, was da bleibt. Weil wir nun solche Hoffnung haben, sind wir voller Freimut. (2. Korintherbrief 3, 11und 12)