Arnd Brummer ist Chefredakteur von chrismon
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Foto: Sven Paustian
Was gibt es Schöneres als Streit unter guten Bekannten?
Arnd Brummer über "Ossis" und "Wessis" und die Suche nach der Wahrheit in Streitgesprächen
Lena Uphoff
25.01.2016

„Ihr Wessis, ihr Besserwessis“, hat mich jüngst Bärbel, eine ­gute Bekannte aus Thüringen, angefaucht, „ihr kennt doch keine ­gültige Wahrheit mehr! Bei euch hat doch jeder recht, egal, was er behauptet.“ Nach einem tiefen Schluck aus der Kaffeetasse fuhr sie fort: „Alles ist erlaubt. Nur uns wollt ihr verbieten, dass wir unter uns bleiben wollen!“ Meine Frage, ob ihr der Kaffee schmecke, verwirrte sie ein wenig. „Warum antwortest du nicht? Okay, der Kaffee ist sehr lecker. Und nun?“

Sie habe mich ja nichts gefragt, meine ich. Worauf also sollte ich reagieren? „Warum ihr uns zwingen wollt, immer mehr Fremde, Muslime, Verbrecher und sonstiges Kroppzeug in unsere Wohnviertel zu lassen, möchte ich wissen. Ihr, die ihr alles zulassen wollt. Jetzt soll sogar Haschisch legal werden.“ Wen sie mit „ihr“ und „wir“ meine, möchte ich wissen.

Jetzt reicht es ihr. „Ich seh schon, du willst nicht mit mir ­sprechen. Du flüchtest dich in Spitzfindigkeiten!“ Es ist nicht leicht, Bärbel zu erklären, dass ich ernsthaft wissen will, wen sie als „wir“ bezeichnet. Sie könnte doch einfach „ich“ sagen, wenn sie eine Meinung äußert, und „du“, wenn sie mich anspricht.

„Da geht es ja schon los: Ihr wollt also gar keine Gemeinschaft mehr gelten lassen! Nur noch ‚Ichs‘ und ‚Dus‘! Das ist typisch – wie ihr so gerne voller Stolz verkündet – liberal!“ Auf mich bezogen hat Bärbel gar nicht so unrecht. Diese Antwort erzeugt auf ihrem Antlitz Freude. „Also, lieber Freund, du magst kein ‚Wir‘?“

So stimmt das nicht. Ich bin ein Flüchtling, ein Suchender. Ich suche nach einem „Wir“, wie es auf dem Wappen der Vereinigten Staaten von Amerika steht: E pluribus unum – aus vielen eines. Seit meiner Schulzeit suche ich nach Gemeinschaft der Ver­schiedenen. „Dann wärst du in der DDR richtig gewesen!“ Bärbels Spott hat was. „Wir waren Einheit. Nur hinter dem Vorhang waren wir höchst verschieden. Man durfte es halt nur nicht an der falschen Stelle laut sagen.“ Genau das ist der Punkt, warum ich das Kaffeetisch-Wir mit Bärbel schätze. Wie wir uns so am brasilianischen Koffein laben und streiten, das mag ich.

Menschen können der Wahrheit nahekommen, mehr nicht...

Ich bin, teilweise rasch, teilweise erst nach Jahrzehnten aus diversen Gemeinschaften, Vereinen und Verbänden ausgeschieden, wenn ich das Gefühl nicht mehr loswurde, dass Streit in Freundschaft von den herrschenden Kreisen oder gar einer ­breiten Mehrheit nicht mehr geduldet wurde. Dabei ist doch ­gerade der friedfertige Streit, die Diskussion, der beste Weg, der Wahrheit nahezukommen. „Haha“, lacht Bärbel, „du gibst also zu, dass es eine Wahrheit gibt! Sag das mal deinen Kumpels in Hamburg, Frankfurt oder weiß ich wo! Da wirst du ganz schön aufs Maul kriegen!“

Keine Frage: Ich glaube, dass es die Wahrheit gibt. Ich bin nur davon überzeugt, dass wir sie nicht besitzen können. ­Deshalb ­verehre ich die großen Geister, die das erkannt haben: den Theo­logen Paul Tillich und den Philosophen Karl Popper. „Was soll dieser Quatsch, Dr. Spitzfind?“ Mehr, als Bärbel es gerade tut, kann man eine Stirn nicht runzeln.

Im Himmel sind die Allerletzten

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Kleine Geschichten über die großen Themen des Lebens. Mal nachdenklich, meistens heiter, hintergründig und geistreich berichtet chrismon-Chefredakteur Arnd Brummer von Begegnungen und Beobachtungen, die nur scheinbar alltäglich sind. Wagt man mit Arnd Brummer den Blick hinter die Oberfläche, erschließen sich tiefe Einsichten in die großen Themen des Lebens.

Bei der edition chrismon erhältlich (über die Hotline 0800 / 247 47 66 oder unter www.chrismonshop.de).

Paul Tillich sagt: Die Wahrheit ist Gott. Menschen können ­darum bitten, können beten, ihr auf die Spur zu kommen. Und am besten machen sie das in der Gemeinschaft, ergänzt Karl ­Popper, im Argumentieren. „Und da kann jeder mitreden?“ Ja, jeder! Aber nicht mit allen Thesen. Karl Popper: „Es wäre eine Torheit zu glauben, es sei ein Zeichen von Toleranz, Intoleranz zu tolerieren.“

Bärbel schnauft: „Wenn ich sage, dass wir keine Fremden in unserer Straße wollen, heißt das ja nicht, dass ich denen ans ­Leder will. Es soll ihnen gutgehen. Aber nicht bei uns. Ist das in­tolerant?“ Das kann ich nicht mit Ja oder Nein beantworten. Als evangelischer Christ möchte ich den Wettbewerb der Ideen, wie wir das Leid der Menschen lindern können, so dass sie nicht ­fliehen müssen. Und mit den Geflohenen sollten wir darüber sprechen, wie wir uns eine offene Gemeinschaft der Verschiedenen vorstellen können. Bärbel: „Na, so wie hier am Tisch! Bist ein netter Kerl, du alter Quatschmichel! Ich hab ein großes Herz und halte es aus, wenn du deine schrägen Gedanken äußerst – anders als die SED!“ Prost!

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