Manchmal muss sie die Bomben in die bloßen Hände nehmen. Sie trägt sie behutsam wie rohe Eier aus dem Dorf hinaus, um sie auf dem Feld zu sprengen. Dort verletzen sie niemanden. Kanthali Phommachan weiß: Wenn sie stolpert, wird sie zerfetzt. „In solchen Momenten“, sagt die 37-Jährige und dreifache Mutter, „bin ich ein bisschen nervös.“
Kanthali Phommachan
###drp|fE__K_8rQHp3eukwE0d5pfJQ00098700|i-40|Marcel Klovert|### Kanthali Phommachan ist 37 Jahre alt und arbeitet seit 16 Jahre bei UXO Lao.
Blindgänger lauern in nahezu allen 17 Provinzen des Landes. Sie liegen unter der Erde, in Seen, zwischen Bambushalmen und Wurzeln. Heute arbeitet Kanthali in einem Reisfeld. Drei Männer, vier Frauen, das ist ihr Team. Die Uniformen der Bombensucher sind beige wie das Reisstroh, das unter ihren Stiefeln raschelt.
„287 Bombies haben wir hier gefunden.“ Bunsong Ounthajuk, 41, zeigt auf die roten Punkte, die die Karte in seinem Notizbuch wie Masernflecken entstellen. Er leitet das Team 2 der Kampfmittelbeseitigungsbehörde UXO Lao, Provinz Xieng Khouang.
287 Blindgänger auf einer Fläche so groß wie dreieinhalb Fußballfelder. Bunsong sagt: „Das ist normal hier.“ Der Nordosten hat im Krieg viel abbekommen.
Die amerikanischen Piloten warfen Streubomben. Sie waren gefüllt mit faustgroßen Kugeln, die die Laoten Bombies nennen. 270 Millionen Stück, jede dritte explodierte damals nicht. Dafür gehen sie jetzt hoch, wenn Bauern versehentlich mit ihrer Hacke draufschlagen oder wenn Kinder damit spielen. Die Explosion reißt Gliedmaßen ab, Metallsplitter bohren sich in Augen und Haut.
Kanthali und ihre jüngere Kollegin Phone fahren mit einem Metalldetektor über den von der Trockenheit aufgerissenen Boden. Das Gerät, ein Rechteck aus gelben Rohren, heult alle paar Meter auf. Hinter ihnen geht Bounsot, die ihre Hände in rosafarbenen Strickhandschuhen vor der Sonne versteckt, auf jedem Handschuh ein oranges Bärchen aus Filz. Phone trägt roten Nagellack, Kanthali einen goldenen Ring. Ansonsten ist ihr Outfit von dem der Männer nicht zu unterscheiden: Cargohosen, Kragenhemden, Hüte mit breiten Krempen.
Bomben auf Laos - weniger Papierkram, weniger Risiko
Über die weiblichen Details schmunzeln höchstens Besucher. „Männer oder Frauen, das ist mir egal, alle arbeiten gleich vorsichtig“, sagt Bunsong, seit elf Jahren Teamleiter. Das Lächeln fällt ihm nicht leicht. Er zieht seine buschigen Augenbrauen zusammen und starrt aufs gleißend helle Feld.
Laos
###drp|MbZwp4riG_DsAiak878c9i1V00102216|i-40||### Die US-Bomber flogen von ihrem Stützpunkt in Thailand nach Vietnam. Bei abgebrochenen Einstätzen warfen manche US-Piloten Bomben über Laos ab - Secondary Targets. Weniger Papierkram, weniger Risiko.
Bounsot führt einen zweiten Metalldetektor, einen Stab, über die Stelle, die Kanthali und Phone gefunden haben. Dann bricht sie mit einem schmalen Spaten die Erde auf. Nie dort, wo der Detektor aufheult, sondern knapp daneben. Sie gräbt sich an die Blindgänger heran, wortlos, langsam, vorsichtig, vor allem vorsichtig. Diesmal ist es nur ein Stück Metallschrott.
Wenn Einsätze in Vietnam abgebrochen werden mussten, warfen manche US-Piloten ihre Ladung lieber über Laos ab, als mit ihr zurück zum Stützpunkt in Thailand zu fliegen. Secondary Targets. Weniger Papierkram, weniger Risiko.
Kanthalis schlanke Finger verbinden zwei Kabel mit dem Zündkasten. Ihr Chef brüllt eine Warnung ins Megafon. In der Ferne bellt ein Hund, der Wind rauscht in den Ohren. Die Bombensucher haben sich hinter Kanthali versammelt. „Nueng, song, sam“, brüllt Bunsong. Eins, zwei, drei, Kanthali drückt auf FIRE. Wumm! Der Boden zittert, schwarzer, dicker Rauch steigt aus dem Feld.
In dieser Gegend kennt jeder jemanden, der von Bombies verletzt oder getötet wurde. „Meine Cousine war acht Jahre alt, sie grub im Garten“, sagt Kanthali. „Die Explosion verbrannte ihren Oberkörper.“ Die Cousine hatte Glück, sie überlebte.
Wie der 39-jährige Bauer Chor Vang, der mit seiner Familie und Freunden an einem freien Tag zum Fischen ging. Sie machten am Ufer ein Feuer. Sie wussten nicht, dass in der Erde darunter ein Bombie lag. Das Feuer brannte eine Stunde, dann flog der Bombie in die Luft. Chor Vang verlor ein Auge.
Der 15-jährige Xeng Thor aus dem Bezirk Pek verlor seinen kleinen Bruder. Sie gruben im Garten Heilkräuter aus.
Kein Ende in Sicht
UXO heißen die Blindgänger hier: Unexploded Ordnance. Seit der Krieg vorbei ist, haben UXO in Laos etwa 20 000 Menschen getötet oder verletzt. Lange kamen jährlich rund 300 neue Opfer hinzu. „Wenn du hier leben willst, musst du mit den Bomben leben“, sagt Kanthali mit ihrer sanften Stimme. Es klingt resigniert, doch ihre Arbeit bewirkt etwas: Dank besserer Aufklärung und Kampfmittelbeseitigung kommt es seit 2012 zu weniger als 50 Unfällen pro Jahr.
Der Rauch hat sich verzogen. Teamleiter Bunsong stapft allein in die flimmernde Hitze fort, das Funkgerät am Gürtel. Nachschauen, ob alle fünf Bombies zerstört sind. 2004 kam ein Teamleiter auf diese Weise um. Niemand hatte den zweiten Blindgänger bemerkt, der unter dem ersten lag und etwas später detonierte.
Als die Amerikaner täglich Angriffe flogen, versteckten sich viele Laoten im Wald. Sie lebten jahrelang in Höhlen und Erdlöchern und bestellten ihre Felder nachts, wenn es keine Bomben regnete. Auch Kanthalis Eltern lebten so.
Entschärft
###drp|8ppxET1LXfxYlOgZO0rEsgb000098701|i-40|Marcel Klovert|### Teamleiter Bunsong Ounthajuk zeigt auf einer Karte, wo die einzelnen Bombies gefunden wurden.
UXO Lao ist in neun Provinzen aktiv. Weitere kommerzielle und gemeinnützige Organisationen beteiligen sich an der Aufräumarbeit. Im Jahr 2013 zerstörten sie zusammen 40 300 Bombies und säuberten 6927 Hektar Land. Doch das ist nur ein Bruchteil der kontaminierten Fläche. „Wenn wir so weitermachen, brauchen wir noch mehr als hundert Jahre“, sagt Phone.
Team 2 macht im Schatten einer Plane Pause. Kanthali und Phone hocken auf Balken, Krankenschwester Vansalong hat sich auf einen Holzklotz gesetzt, Bounsot daneben auf den Boden. Sie alle haben ein achtwöchiges Training hinter sich, arbeiten seit Jahren zusammen und reden sich mit Vornamen an. „Wir sind wie eine Familie“, sagt Kanthali. Ihr Chef lächelt nicht, aber er nickt.
Tagsüber Bombenentschärferin, abends Hausfrau und Mutter
Kanthali gehört zu den Älteren, sie macht den Job seit 16 Jahren. Sie hat drei Söhne, ihr ältester ist 15. Drei Monate nach den Geburten fuhr sie wieder raus aufs Land, um Bomben zu sprengen. Ihre Babys blieben bei einer Tagesmutter. „Manche Leute sagen, dass ich eine verantwortungslose Mutter bin“, sagt sie. „Aber ich mag meinen Job.“ Er bringt der stillen, fast schüchternen Frau Respekt ein. Und manchmal machen Dörfler ihr Geschenke. Meistens Lebensmittel, weil sie so dankbar sind.
Laos ist eins der ärmsten Länder der Welt, gut jeder fünfte Laote lebt in extremer Armut. Rund drei Viertel arbeiten in der Landwirtschaft, die meisten als Reisbauern. Nicht immer reicht das Einkommen aus der Ernte übers ganze Jahr. Deshalb sammeln manche Bauern Metallschrott und verkaufen ihn für umgerechnet 12 bis 24 Cent pro Kilo. Vor einigen Jahren waren die Metallpreise höher. Prompt stieg auch die Zahl der Menschen, die starben, weil sie mit Blindgängern hantierten.
40 Jahre lang im Boden
###drp|z9fq82fCGYszdxO2ycgw21xX00098695|i-40|Marcel Klovert|### Eine Auswahl der Sprengkörper, die in Laos verstreut liegen, sind in einer Vitrine von UXO Lao in Phonsavan ausgestellt.
Die Blindgänger behindern den Fortschritt. Bauern trauen sich nicht, neue Ackerflächen zu erschließen. Und erst seit zehn Jahren sind die bekanntesten Stätten in der Ebene der Tonkrüge vom Kriegsschrott befreit. Seither können Touristen die uralten Steinkrüge unweit der Provinzhauptstadt Phonsavan sorglos besichtigen.
Kanthali und ihr Team haben heute 19 Bombies unschädlich gemacht. Es ist Abend, Kanthali hockt in ihrer Küche vor einem Holzfeuer. Im Wok brutzelt Schweinefleisch. Kanthali trägt einen dunklen laotischen Sarong, ein gelbes Langarmshirt und pinke Schlappen aus Gummi. Flink zupft sie Bohnen aus dem Garten. Weg sind Krempenhut und Uniform. Nach Feierabend erfüllt Kanthali ihre Rolle als Hausfrau und Mutter.
Kanthali muss nicht fürchten, dass unter ihrer Kochstelle ein Blindgänger in der Erde liegen könnte, der eines Tages ihr Leben zerstört. Sie kann auch sorglos im Garten arbeiten. Ihr Team hat das Dorf Yon, in dem sie lebt, vor drei Jahren selbst dekontaminiert. „Ich fühle mich hier sicher“, sagt sie.
"Es war eben Krieg"
Die Autorin und der Fotograph
###drp|PQFy8NQHig4LlpYUVyVrm1Gw00082653|i-40||Heike Klovert###Heike Klovert, 33, war mit Familie unterwegs. Das Team von UXO Lao kümmerte sich gut um den eineinhalbjährigen Tom und sorgte dafür, dass die Kleinfamilie auf Asienreise nicht in Gefahr geriet. ###drp|rhdUtM8NeP2mvoXFt1zw3E-h00082638|i-38||Marcel Klovert### Marcel Klovert, 46, staunte, dass die Laoten kaum Groll hegen, obwohl sie immer noch unter den Kriegsfolgen leiden. Wo sich die beiden gerade aufhalten können Sie auf ihrer Homepage nachverfolgen. Dort finden Sie außerdem weitere Reportagen des Journalisten-Ehepaares.
Kanthali räumt die Teller weg, wischt den Reiskocher ab, fegt Krümel vom Boden. Ihre zwei Jüngsten schauen in der Küche amerikanische Cartoons auf einem kleinen Röhrenfernseher. Zwei Hundewelpen lugen durch die Tür zum Garten. Kanthali verdient im Monat 300 US-Dollar, weil sie so lange dabei ist. Anfänger bekommen weniger. Morgen steht sie wieder um fünf auf. Gräbt wie an fast jedem Tag in der Hitze behutsam Löcher auf dem Feld. „Damit meine Kinder studieren können und einen besseren Job finden“, sagt sie.
Kanthali macht ihre Arbeit ohne Hass und meistens ohne Angst. Sie ist ein ausgeglichener Mensch, Gefühle spiegeln sich selten in ihrem ebenmäßigen Gesicht.
Sie sagt es leise, widerstrebend, als würde sie es lieber für sich behalten: „Ich bin ein bisschen sauer auf die USA.“ Und fügt dann schnell hinzu: „Doch es war eben Krieg.“
Im August 2010 trat ein Übereinkommen in Kraft, das den Einsatz von Streumunition verbietet. Mehr als hundert Staaten haben den Vertrag unterschrieben. Die größten Produzenten von Streubomben sind nicht dabei: China, Russland, Indien, Brasilien – und die USA.