Lena Uphoff
20.10.2010

Es ging kein Ruck durchs deutsche Volk, als der amtierende Bundespräsident Roman Herzog vor ein paar Jahren seine große Berliner Rede hielt, mit der er die Deutschen von Selbstmitleid und Miesepetrigkeit kurieren wollte. Als der hochgelehrte Jurist mit dem gesunden Menschenverstand dann vor zwei Jahren sein Amt abgab, wurde es ruhig um den bayerischen Protestanten.

Schlagzeilen machte erst wieder der für die Öffentlichkeit überraschende Krebstod seiner Frau Christiane im Juni vergangenen Jahres. Die patente und geradlinige Frau hatte sich als First Lady fast ebenso viel Anerkennung und Sympathie verschafft wie ihr Mann. Beinahe 42 Jahre waren die Herzogs verheiratet gewesen.

Das Paar hatte in den Zeiten medialer Aufmerksamkeit ohne jedes Getue seine Zweisamkeit weiter gelebt. Bis der Tod die Eheleute schied. Elfeinhalb Monate nach Christianes Ableben erfuhren die Deutschen aus dem Zentralorgan für Klatsch und Nach-rede, aus "Bild", dass der Witwer Herzog demnächst eine Witwe zu ehelichen gedenke, noch dazu eine langjährige Freundin seiner Frau.

Die Nachricht freute mich. Weniger jedoch begeisterte mich die Art, in der das Boulevardblatt die Mitteilung präsentierte: Darf man denn heiraten, obwohl die langjährige Partnerin noch nicht einmal ein Jahr unter der Erde ist? Die scheinheilige Frage formuliert einen vermuteten Tabubruch mit. Heiraten so kurz nach dem Tod der Ehepartnerin ­ das wird in eine Ecke gerückt mit postmortalem Ehebruch und virtueller Leichenschändung.

Die Herzog unterstellte Pietätlosigkeit, die das Boulevardblatt in die Schlagzeile packen ließ, wirkt, vornehm ausgedrückt, mindestens komisch.

Das vermeintliche Tabu, gegen das der Altbundespräsident mit Ehe Nummer zwei verstoße, hat keine Geschichte. Bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg betrachtete es die gesamte Umgebung als Glück, wenn Witwen und Witwer zusammenfanden. Und auch von Eifersuchtsattacken Verstorbener ist nichts bekannt.

Die einzigen Menschen, mit denen sich die späten Brautleute auseinander setzen müssen ­ was im Fall Herzog sicher geschehen ist ­, sind die Kinder aus erster Ehe. Sonst kann sich niemand in seinen Gefühlen verletzt wähnen.

Die gespreizte Verklemmtheit der Boulevardiers (und eines guten Teiles der bürgerlichen Gesellschaft) wirkt doppelt humoresk, wenn man so anschaut, was in Sachen Partnerschaft gesellschaftlich geduldet bis selbstverständlich ist: Ehebruch gegenüber dem lebenden Partner tut angeblich gut und ist zumindest kein Grund zur empörten Schlagzeile. Öffentliches Halten von Geliebten, Doppelleben im Ehestand ­ das ist bei uns so Sitte.

Warum dann all die künstliche Aufregung um eine Heirat, die niemandem wehtut, die offenbar allen Beteiligten (wohl auch Christiane Herzog vor ihrem Tod) als richtig erscheint und die letztlich geradezu vorbildhaft ist? Wahrscheinlich haben Roman Herzog und seine Zukünftige einen Fehler gemacht: Sie haben ihr neues Glück nicht hinausposaunt, sondern sind diskret vorgegangen.

Die Ahnung, da entziehe sich was ihrer Neugier, da bleibe den Augen der Öffentlichkeit etwas verborgen, weckt die Spürhunde und Trüffelschweine erst richtig auf und animiert sie zum Wühlen.

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