So früh am Morgen so unangenehme Einsichten: Ich steige auf die Waage ­ und erschrecke. Noch schlaftrunken denke ich: Du solltest mal wieder eine Woche fasten, so wie damals.

Einmal habe ich es gemacht: als Studentenpfarrer zusammen mit einigen Mitgliedern der Studentengemeinde. Eine Woche lang. Mitten in der Nachrüstungsdebatte wollten wir uns auf das Wesentliche konzentrieren, auf Gott und sein Wort. Einander zuhören. Hineinhorchen in uns selber. Und so Zeichen des Friedens setzen.

Schwierig war, dass ich in jener Woche unsere einjährige Tochter zu versorgen hatte. Ich musste sie füttern und durfte selbst nichts essen. Das kostete mich einige Überwindung. Dennoch fiel das Fasten in Gemeinschaft viel leichter, als wenn ich es allein versucht hätte. Denn damals ging es uns ja nicht primär um das Abnehmen, sondern um ein inhaltliches Ziel. Wir trafen uns täglich. Wir beteten und meditierten gemeinsam. Schließlich beendeten wir das Fasten mit einer Abendmahlsfeier. Nie zuvor hatte ich ein trockenes Stück Brot und einen kleinen Schluck Wein so bewusst wahrgenommen und genossen. Nie hatte ich die Gemeinschaft mit meinem Gott, mit Jesus Christus, körperlich so intensiv gespürt. Seither verstand ich, was ich vorher immer entrüstet von mir gewiesen hatte: Fasten kann eine wichtige religiöse Erfahrung vermitteln.

Juden fasten und Muslime, katholische Christen und orthodoxe. Fasten ist weit verbreitet. Nur: Warum ist es bei uns Evangelischen so lange aus der Mode gewesen? Weil Martin Luther, der aus dem Kloster ausgetretene Mönch, sich gegen das Fasten gewendet hatte?

Nein, das hatte er nicht. Er widersprach nur der Auffassung, Fasten sei ein gutes Werk, also ein Mittel, mit dem man das ewige Heil erlangen könne. Er widersprach der Kirche, die damals lehrte: Wenn du nicht fastest, begehst du eine Sünde. Gute Werke waren für Martin Luther etwas anderes: das Erziehen der Kinder, die tägliche Arbeit im Beruf, das Engagement für den Nächsten. Jedoch verwarf er das Fasten selbst nicht, sondern empfahl es als ein wichtiges religiöses Hilfsmittel.

Bei uns Evangelischen hat sich in den letzten Jahren eine neue Fastenbewegung durchgesetzt: "7 Wochen ohne". Sie ruft in der Passionszeit zwischen Aschermittwoch und Karfreitag, der wichtigsten Fastenzeit der Christen, dazu auf, sich gemeinsam mit anderen auf entscheidende Fragen des Lebens zu konzentrieren: Wo stehe ich? Lebe ich richtig? Wovon bin ich abhängig? Was bedeuten mir Gott, die Welt und die Menschen in meiner nächsten Umgebung?

Sich solchen Fragen zu stellen, das geht erfahrungsgemäß am besten, wenn man sich von nichts ablenken lässt, besonders nicht von dem, was einem im Alltag sonst besonders wichtig ist: Fleisch, Alkohol, Süßes oder vielleicht auch das Fernsehen. Es gibt viele Möglichkeiten des Verzichts. Wenn die Fastenzeit dann vorüber ist, sehe ich mein Leben mit neuen Augen. Und ich schmecke, rieche und genieße die guten Dinge so aufmerksam wie zum ersten Mal. Vielleicht spüre ich dann, wie wichtig, wie schön manches ist, was ich sonst als selbstverständlich ansehe. Und ich nehme es dankbar aus Gottes Hand entgegen.

Ich werde es dieses Jahr wieder probieren: Fasten? Ja, bitte! Johannes Friedrich

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