04.04.2022

Liebe Leserin, lieber Leser,

mitten in Europa wird Krieg geführt, und ich schreibe Ihnen einen Newsletter zum Thema "Bodyshaming"? Ich kann mir vorstellen, dass einige hier den Kopf schütteln.

Auch mich beschäftigt im Moment vor allem Krieg, Flucht, Tod und Trauer. Doch wenn ich das Wort "Bodyshaming" lese oder höre, denke ich an mich als kleines Mädchen zurück. Unsere geliebte Grundschullehrerin verließ uns. Wir Kinder schenkten ihr zum Abschied Bilder von uns. Wir hatten sie extra machen lassen. Als sie mein Foto sah, lachte sie kurz und sagte: "Huch? Du hast ja ein süßes Bäuchlein auf dem Bild, das ist wohl schon länger her, dass ihr das gemacht habt?" Ich wäre am liebsten in den Erdboden versunken. Ein Bäuchlein! Und die ganze Klasse hört zu. Für mich war es die Bestätigung für etwas, das ich schon lange befürchtet hatte: Ich bin zu dick!

Als junge Frau erkrankte ich schwer an Bulimie. Es dauerte viele Jahre und brauchte viele Therapiestunden und viel liebevolle Zuwendung von wichtigen Menschen, bis ich mich heute so akzeptieren kann, wie ich bin.

Kein Wunder, dass mich diese beiden Frauen im chrismon-Interview sehr beeindruckt haben: Die Schauspielerin Thelma Buabeng und die Aktivistin Melodie Michelberger bezeichnen sich selbst als "dick" und nein, sie schämen sich nicht dafür. "Ich bin doch völlig in Ordnung!", sagt Thelma Buabeng. Beide Frauen engagieren sich dafür, dass Frauen stolz sind auf ihren Körper, egal ob er dick oder dünn, groß oder klein ist, egal welche Hautfarbe jemand hat. Das Interview mit diesen beiden Powerfrauen macht Mut - und zeigt deutlich: Noch sind wir nicht da, wo wir sein könnten. Ich kenne viele große und kleine Mädchen, die sich auf Instagram ihr angebliches "Bäuchlein" wegretuschieren. Magersucht und Bulimie sind immer noch schrecklich weit verbreitete Krankheiten unter jungen Menschen. Aber zumindest gibt es heute viele gute Beratungs- und Hilfeangebote.

Die Theologin Margot Käßmann zitiert in einem Archivtext über den grassierenden Schönheitswahn aus dem biblischen Psalm 139: "Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin."

Eine gute Woche wünscht Ihnen

Dorothea Heintze
chrismon-Autorin