24.04.2023

Liebe Leserin, lieber Leser,

neulich war es mal wieder so weit. Ich saß an einem Text, ich wollte gern gendern - aber es las sich einfach zu ... mh ... unschön? Gefühlt jedes zehnte Wort trug einen Stern, und ständig tauchten die Worte "Personen" und "Menschen" in meinem Text auf, weil ich den Genderstern umgehen wollte. Kurz entschlossen habe ich dann eben nicht alles im Text gegendert, sondern mal die weibliche, mal die männliche Form genommen. Na und?

"Es gibt keine Sprachgesetze", hat mir Christine Olderdissen im Interview mal gesagt. Ich spiele mehr mit der Sprache als früher, halte mich aber daran, worum es laut der Autorin des "Genderleicht-Duden" wirklich geht: "Die geschlechtliche Vielfalt des Menschen in Worte zu fassen und vor allem Frauen besser sichtbar zu machen".

Mit diesem Umgang mit Sprache bin ich in der Minderheit: 32 Prozent der vom Meinungsforschungsinstitut Kantar befragten Menschen lehnten vor einigen Wochen Gendern grundsätzlich ab; in der mit mir gleichaltrigen Gruppe der über 60-Jährigen sind es sogar noch mehr: 42 Prozent.

Mich erstaunt diese Haltung. Sprache hat sich schon immer verändert und angepasst; mal findet sie ganz neue Worte, mal greift sie auf die Traditionen zurück. Wer sich beispielsweise ärgert, wenn ich das Wort "Gästin" benutze, den oder die verweise ich immer gern auf die Gebrüder Grimm - zu ihren Lebzeiten war es völlig normal, auch die weibliche Form zu nennen, erst im 19. und 20. Jahrhundert verschwand die Gästin, es blieb der Gast.

"Sagen, was ist", fordert meine Kollegin Friederike Sittler in diesem Kontext in unserem aktuellen Heft - und zwar nicht nur für den Journalismus, sondern auch für die Kirche. In vielen Urtexten der Bibel kommen Frauen vor, spätere Übersetzungen haben sie einfach verschwinden lassen. Friederike Sittler, Vorsitzende des deutschen Journalistinnenbundes und verantwortlich für das Portal Genderleicht, kritisiert das und fordert: "Präzise hinzuschauen, mehr als eine Quelle zu haben, Fakten zu prüfen gehört nicht nur zur Theo­logie, sondern auch zum Journalismus."

Wir bei chrismon wollen nicht polarisieren. Nie. Passt nicht zu uns. Und das gilt für das Gendern - genauso wie für das Thema "Letzte Generation". In Berlin hat sich eine Kirche diesen Menschen und ihren Kritiker*innen zur Diskussion geöffnet. Gut so, kommentiert Nils Husmann, denn: "Reden und zuhören ist immer besser, als übereinander zu urteilen. Es gibt dafür keinen besseren Ort als eine Kirche."

Ich wünsche Ihnen eine Woche, in der Sie offen sind für andere Meinungen und viel miteinander reden.
Ihre
Dorothea Heintze
chrismon-Autorin