Bundespräsident Steinmeier besucht das Stasi-Unterlagen-Archiv
epd-bild/Rolf Zöllner
Am 15. Januar 1990 besetzten Demonstranten die Stasi-Zentrale in der Ost-Berliner Normannenstraße. 30 Jahre später dankt der Bundespräsident am historischen Ort den Besetzern von damals für ihren Mut. Sie hätten den Tätern die Akten entrissen.
15.01.2020

Die Geschichte des singenden Baggerfahrers Gerhard Gundermann (1955-1998), der mit seinen poetisch-melancholischen Texten eine ganze junge DDR-Generation elektrisierte und sie gleichzeitig als Stasi-IM bespitzelte, treibt den Bundespräsidenten um. Auch bei seinem Besuch am Mittwoch in der früheren Stasi-Zentrale in der Ost-Berliner Normannenstraße zitierte Frank-Walter Steinmeier aus dem "Gundermann"-Film von Regisseur Andreas Dresen. "Dieser Film macht nachdenklich, er führt uns vor Augen, dass einer Opfer und Täter zugleich gewesen sein kann", sagte der Bundespräsident.

Steinmeier nahm auf Einladung des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, an einer Diskussionsrunde im heutigen Archiv der Stasi-Unterlagenbehörde teil. Zuvor besichtigte er das Gelände und verschiedene Abteilungen der Behörde.

Steinmeier lobte den Mut der Bürger

Auf den Tag vor 30 Jahren, am 15. Januar 1990, hatten Demonstranten die Stasi-Zentrale besetzt und damit eine weitere Vernichtung der Akten durch den DDR-Geheimdienst verhindert. Steinmeier lobte den Mut der Bürger damals für den "friedlichen Sturm auf die Bastionen der Repressionen". Sie hätten noch einmal Geschichte geschrieben, so wie zuvor in Erfurt, Rathenow, Suhl, Rostock und anderen Orten. "Ihrem Mut haben wir zu verdanken, dass die Dokumente der Staatssicherheit zu großen Teilen erhalten blieben und Teil unseres gemeinsamen Erbes wurden", sagte er. Der Öffnung der Stasiakten verdankten alle Deutschen "tiefe Einblicke in die Mechanismen, in die Wirksamkeit einer Diktatur".

Das Modell der heutigen Stasi-Unterlagen-Behörde sei weltweit einzigartig und werde zu Recht bewundert, betonte Steinmeier. Die Behörde leiste "unschätzbar wertvolle Arbeit". Sie habe "wie keine zweite Institution zur Aufarbeitung unserer jüngeren Geschichte beigetragen, und sie tut es weiter".

Aber bei der Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit gebe es eben nicht nur Schwarz und Weiß, sondern viele Schattierungen, sagte der Bundespräsident. Und er sieht da eine Entwicklung in den vergangenen Jahren: "Ich glaube, unser Blick auf diese Zeit ist heute schärfer als bei manch früherem Jubiläum."

Marquardt: "Das war mein vorgezeichneter Weg"

Später lauschte Steinmeier noch einer Diskussionsrunde, in der unter anderen die SPD-Politikerin Angela Marquardt und der Schauspieler Andreas Schmidt-Schaller vor Fünft- bis Zwölftklässlern der Anna-Essinger-Gemeinschaftsschule aus Berlin-Zehlendorf von ihrer Stasi-IM-Vergangenheit berichteten. Marquardt, die ihre Geschichte in dem Buch "Vater, Mutter, Stasi" aufgeschrieben hat, betonte, sie sei dankbar, dass die Mauer gefallen ist und die Stasi-Zentralen gestürmt wurden, sonst wäre sie wahrscheinlich noch heute eine Denunziantin: "Das war mein vorgezeichneter Weg."

Schmidt-Schaller, der von 1967 bis 1971 als IM geführt wurde, räumte ein, er habe sich damals auch aus Feigheit verpflichtet. Er komme zwar aus einer antifaschistischen Familie, aber er habe auch Nachteile befürchtet, wenn er die Mitarbeit abgelehnt hätte. Beide appellierten an die Jugendlichen, die Demokratie zu verteidigen. Dass sich das lohne, zeigten ihre Geschichten.

Der Bundesbeauftragte Jahn betonte, Sinn der Stasi-Aufarbeitung sei nicht, "am Leid von gestern festzuhalten", sondern die Schlüsse für die Zukunft zu ziehen.

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