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Justizvollzugsanstalt Niederschönenfeld, Sonntag 10 Uhr: Ähm, bin ich hier falsch? Ich will zum Gefängnisgottesdienst, aber das Navi hat mich zu einem bayerischen Kloster geführt! Doch, richtig: "JVA" steht auf dem Schild, von oben beobachtet mich eine Überwachungskamera. Ich klingele, die schwere Tür öffnet sich. Personalausweis, Handy und Autoschlüssel muss ich abgeben. Pfarrer Wolfgang Gronauer holt mich ab, ein freundlicher Mann, Mitte fünfzig. Er lotst mich durch Stahltüren und Gänge.
Wo früher fromme Frauen arbeiteten und beteten, leben heute 160 "schwere Jungs" – Eigentumsdelikte, Gewaltverbrechen. Plötzlich stehe ich in einer wunderschönen barocken Kirche. Pfarrer Gronauer zündet die Altarkerzen an. Von draußen nähern sich Stimmen. Schon öffnet sich die Tür. 22 junge Männer treten ein, in Jogginghosen, T-Shirts, Badelatschen. Einige tragen Kreuzanhänger. Ein Wärter beobachtet aufmerksam die Szenerie. Gestählte Körper mit vielen Tattoos setzen sich in die Kirchenbänke.
Einer der Männer tritt zum Altar und schlägt dreimal eine Klangschale. Der Pfarrer, nun im Talar, passt mit seinem lockigen Haar gut in die Barockkirche. Mit den Gefangenen spricht er einen Psalm: "Herr, du erforschest mich und kennst mich." Zu meditativer Musik geht jeder nach vorn und zündet eine Kerze an. Beim "Kyrie eleison" bekreuzigen sich viele, dann brummeln sie ein Lied mit: "Christus, meine Zuversicht!"
Der Pfarrer erzählt die Geschichte von Kain und Abel, dem "ersten Mord der Menschheitsgeschichte". "Hätte Kain sich Gott geöffnet oder anderen Menschen – die Geschichte wäre anders ausgegangen!", mutmaßt der Pfarrer. Er predigt frei, geht da- bei zwischen den Kirchenbänken hin und her, blickt die Gefangenen direkt an. Der Helfer liest einen Spruch Jesu aus dem Matthäus- Evangelium: "Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken."
Die eigene Schuld, "alles Ungute", das einen bedrückt, könne man zu Gott bringen, sagt der Pfarrer. Ein Lied wird eingespielt, ein frommer Popsong. "Lege deine Sorgen nieder, leg sie ab in meine Hand", singt eine Frauenstimme. Ein Mann wischt sich Tränen aus dem Auge. Ein anderer kniet andächtig in der Bank. Nach dem Segen öffnet der Wärter die Tür, die Männer gehen hinaus in ihren Knastalltag.
So viele Gefühle, so viele junge Männer, ein Pfarrer, der frei und durchdacht spricht: schwer vorstellbar, dass es zu Klosterzeiten hier frommer zugegangen ist.