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Mitten in Leipzig liegt ein riesiges totes Gelände. 1,9 ha bester Baugrund. Ungenutzt.
Es geht um den "Matthäikirchhof". Nach Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg entstand an dieser Stelle die Stasi-Zentrale, die nun nicht mehr genutzt wird. Die Gebäude stehen leer und verfallen.
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Was jetzt mit den wirklich hässlichen Plattenbauten geschehen soll, sollen die Leipziger mitbestimmen dürfen, soviel wird aus den Info-Tafeln, den Webseitenverweisen und den QR-Codes auf kleinen Schautafeln klar: "Ein Viertel im Aufbruch", lese ich.
Doch von "Aufbruch" ist am Ort selber wenig zu sehen. Tote Briefkästen, kaputte Fenster, verödete Parkplätze; auch die Infotafeln wirken verwittert und vernachlässigt. Was immer hier geplant wurde und wird – gerade passiert offensichtlich nichts.
Verantwortlich im Rathaus sind Maria Nobis und Christoph Hümmeler. Ich treffe sie im Zoom. Beide arbeiten für das Stadtplanungsamt in Leipzig. Ihre Aufgabe: Große Bauvorhaben der Stadt Leipzig durch öffentliche Beteiligungsverfahren begleiten. Eines ihrer wichtigsten Projekte: Die Umwandlung des Matthäikirchhof-Viertels.
Sie erzählen.
Da, wo ich jetzt die vielen toten Mauern, Ecken und leblosen Plätzen entdeckte, schlug einst das historische Herz der Messestadt Leipzig. Auf dem kleinen Hügel thronte eine Burg, bis ins Jahr 1015 reichen die ersten Aufzeichnungen zurück. Später entstand ein Kloster mit Kirche, rundherum Häuser. Leipzig entwickelte sich zu einer der bedeutendsten deutschen Handelsstädte in Mittelalter und Neuzeit. Die Matthäikirche, erst im 19. Jahrhundert ganz fertiggestellt, war das Zentrum des dicht bebauten Stadtviertels.
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In einer Bombennacht, am 4. Dezember 1943, fiel alles zusammen. Nur ein Gebäude überstand den Feuersturm fast unbeschadet: der Hauptsitz der Alten Leipziger Volksversicherung, liebevoll in der Stadt "Runde Ecke" genannt.
Jahrzehntelang klaffte der zerstörte Platz wie eine Wunde im Herzen der Stadt. Erst in den 1980er Jahren entstanden direkt angrenzend an den historischen Bestand der Runden Ecke große Neubauten in Plattenbauweise: Stasi-Zentrale und Polizei-Direktion.
Nach der Wende und dem Sturm der Stasigebäude residierten hier das Arbeitsamt und andere Fachstellen der Stadt. Ein Teil des erhaltenen historischen Bestandes wurde verkauft, in die seit der Wendezeit und dem Stasi-Sturm berühmte "Runde Ecke" zogen ein Stasi-Museum und das Stasi-Unterlagen-Archiv. Das Arbeitsamt zog an einen neuen Standort. Stück für Stück lehrten sich die Plattenbauten. Jahrelang herrschte Leerstand. Es regnete rein, die Gebäude kamen immer mehr herunter. Wohlgemerkt: Es handelt sich wertvollsten Baugrund in einer von Deutschlands beliebtesten Städten, mitten im Stadtzentrum.
Dann fasste die Stadt einen mutigen Entschluss: An dieser Stelle sollten die Leipziger jetzt mitentscheiden, was wie gebaut, umgewidmet oder auch abgerissen werden sollte.
Auftritt Stadtplanungsamt, vertreten durch Christoph Hümmeler und Maria Nobis. Er Stadtplaner aus Dortmund, seit der Wende in Leipzig lebend und im Rathaus arbeitend; sie Politik- und Sozialwissenschaftlerin, gebürtige Leipzigerin. Mit großem Elan und kleinem Team stoßen sie einen breiten Beteiligungsprozess an und begleiten ihn noch heute.
Das wichtigste Ergebnis nach vielen Treffen, Befragungen, Vor-Ort-Begehungen zwischen 2021 und 2024 ist der "Der Matthäikirchhof-Code". Seine wichtigste Botschaft lautet, dass sich die Menschen hier einen konsumfreien Begegnungsraum mit viel Grün wünschen; offen für alle.
Was nicht eindeutig herauskam: Abriss oder Erhalt? Die Stimmen in den Beteiligungsprozessen hielten sich die Wage, berichten Hümmeler und Nobis. Ja, viele Menschen wünschten sich den Erhalt der historischen Bauten als Zeugnis der Vergangenheit. Doch mindestens genauso viele plädierten für einen Totalabriss, um das "betongewordene Zeugnis der Repression", so ein Zitat, nicht mehr ständig vor Augen zu haben. Und sowieso fehle bei vielen Leipzigern die Identifikation mit diesem Ort, berichtet Hümmeler, der seit Jahren öffentliche Führungen über das Gelände organisiert. Nur wer direkt bei der Stasi oder Volkspolizei arbeitete, kannte die Gebäude aus eigener Anschauung. Alles war blickdicht abgeschirmt hinter einer hohen Mauer. Es war eine No-Go-Area für die meisten Leipziger - und ist es für viele immer noch.
Im Gespräch mit Christoph Hümmeler und Maria Nobis wird mir, der Wessi-Frau, mal wieder klar, wie anders der Umgang mit Bestandsbauten in den neuen Bundesländern ist und sein muss. Ich habe diese historischen Erfahrungen, in einer Diktatur gelebt zu haben, nicht. Ich kenne aus meiner Geschichte keine Gebäude, die zu meinen Lebzeiten zur Unterdrückung von Menschen genutzt wurden und die mich heute immer wieder schmerzhaft daran erinnern würden.
Genau deshalb finde ich es so beeindruckend, dass Leipzig einen langwierigen und komplizierten Beteiligungsprozess gestartet hat und die Menschen, die hier leben befragt hat. Wie viel einfacher, und für die ständig klamme Stadt, auch lukrativer wäre der Verkauf des städtischen Geländes an einen Investor gewesen. Hätte das stattgefunden, stünde hier jetzt vermutlich noch ein weiteres Shoppingcenter, noch eine weitere Luxusbude mit teuren Eigentums- oder Ferienwohnungen.
Doch genau das ist nicht geschehen und soll auch nicht geschehen.
Trotzdem herrscht gerade Stillstand. Trotz eines erfolgreich durchgeführten Architekturwettbewerbes. Trotz eines Kompromissentwurfes mit Abriss des vollkommen maroden Polizeigebäudes und, damit verbunden, der breiten Öffnung des abgeschotteten Geländes zur Stadt. Die Stasi-Zentrale soll weitgehend erhalten bleiben, umgebaut und umgewidmet zu öffentlichen Räumen und geförderten Wohnungen.
Warum geht es nicht voran?
Ein Hauptgrund, so Hümmeler und Nobis im Gespräch, sei die angespannte Lage des städtischen Haushalts. Zurzeit müsse jede Ausgabe bezüglich "ihrer Pflichtigkeit" stadtweit abgewogen werden. Und das Projekt "Matthäikirchhof" gehöre eben nicht zu vom Gesetz angeordneten Pflichten. Und daher schreite der Prozess deutlich langsamer als geplant voran. Auch notwendige Gutachten für die Masterplanung könnten wegen Geldmangels nicht beauftragt werden. Für die beiden Projektverantwortlichen ist "ärgerlicher Teufelskreis". Beide hoffen, dass es bald weitergehen kann.
Auch ich würde mich freuen, wenn es den Mut in Leipzig zum Weitermachen gibt. Beteiligungsprozesse sind mühsam, kosten Geld und Energie. Aber am Ende sollte genau das in einer guten Stadtplanung Berücksichtigung finden: auch die Wünsche der eigenen Bevölkerung beachten und realisieren.