Umnutzung von Kirchen
Wir haben Platz, wer hat die Idee?
Kirchengemeinden werden kleiner und haben überzählige Gebäude. Wie können Kirchen als Sozialstationen, Restaurants, Büchereien neu aufleben? Der Kunsthistoriker Klaus-Martin Bresgott gibt Tipps
Restaurant Glück und Seligkeit, Bielefeld; ehemalige Martini-Kirche
Die ehemalige Martinikirche in Bielefeld wurde in den 1890er Jahren gebaut. Seit 2004 befindet sich darin das Restaurant "Glück und Seligkeit"
Ralf Klöden / EKD-Kultur
Tim Wegner
08.08.2025
8Min

Wenn man durch Brandenburg oder Mecklenburg fährt, kommt man an vielen schön sanierten Dorfkirchen vorbei. Da steckt viel privates Geld drin. Warum hängen die Leute an den Gebäuden?

Klaus-Martin Bresgott: Die Kirche ist der Mittelpunkt des Dorfes. Es ist ein Raum mit einer Aura, seit Generationen gehört er hierher. Die Leute nennen sie "unsere" Kirche – hier kann man einfach sein, ausatmen, und an heißen Tagen bleibt es kühl. Oft ist es auch der größte offene Raum im Ort – da können sich alle treffen. Das wollen die Leute erhalten, auch wenn sie mit den christlichen Inhalten wenig anzufangen wissen.

Aber viele Dorfkirchen sind oft verschlossen. Findet da überhaupt noch etwas statt?

Wo kein aktives kirchliches Leben mehr ist, beschränkt es sich auf Konzerte, Ausstellungen, Lesungen, zwei-, dreimal im Jahr. Mit einem Freundeskreis betreiben wir in Mecklenburg eine kleine Kinokirche. Von kirchlicher Seite finden dort nur noch Beerdigungen und der Weihnachtsgottesdienst statt. Die Pfarrerin betreut 46 Dörfer, davon haben elf Kirchen. Sie hat keine Chance, sich um alle zu kümmern. Da hilft der Freundeskreis.

Ralf Klöden

Klaus-Martin Bresgott

Klaus-Martin Bresgott, geboren 1967, ist Kunsthistoriker und arbeitet im Kulturbüro der EKD. Er begleitet Gemeinden auf dem Weg zu einer neuen Nutzung für ihre Kirche. Gerade hat er das Buch "Leben statt Leere. Überlegungen und Anregungen zum Umgang mit unseren Kirchen" miherausgegeben.

Wie viele Kirchen gibt es überhaupt in Deutschland?

Ungefähr 44 000, wovon etwa 20 000 protestantische und 24 000 katholische Kirchen sind. Die meisten sind Dorfkirchen.

Wird man die alle erhalten können?

Es gibt grobe Schätzungen, wonach ein Drittel weiter hauptsächlich von der Kirche selbst genutzt wird. Ein weiteres Drittel wird gemeinsam mit anderen Partnern betrieben, ein Drittel wird vermutlich abgegeben werden müssen. Dass Kirchen ganz veräußert oder sogar abgerissen werden, ist eher ein städtisches Phänomen mit Kirchen der Gründerzeit und der Nachkriegsära – also aus Zeiten großer Neubauprogramme und gesellschaftlicher Umstrukturierungen. Man kann Gebäude nur schwer ein paar Jahre einfach stehen lassen, sie verwahrlosen und signalisieren Verlassenheit.

Wie kann das gehen, eine Kirche zusammen mit anderen nutzen?

An der Technischen Universität Berlin war ich gerade in ein Seminar mit Bachelor-Architekturstudenten eingebunden, es hieß "Kirche für alle". Vier Kirchen im Stadtteil Wedding, davon zwei riesige Gründerzeitbauten, standen im Fokus. Die geschrumpften Kirchengemeinden können sie nicht mehr allein nutzen und tragen. Die Studierenden arbeiteten daran, wie man die Kirchen umbauen und umnutzen kann, so dass möglichst viele Menschen in der Nachbarschaft etwas damit anfangen können.

Welche Ideen sind herausgekommen?

Es gab Entwürfe für Ausbildungsstätten für Handwerker oder für Küchen, in denen für die Nachbarschaft gekocht wird und drumherum wächst ein Kräutergarten. Ein Entwurf sieht die Kirche als Zufluchtsort für Frauen, mit mehreren Sicherheitsstufen. Andere haben Sportplätze entworfen, Restaurants, Ausweichorte für Schulen, multireligiöse Räume, Bibliotheken. Vor dem Entwurf haben die Studierenden intensiv die Nachbarschaft analysiert und befragt, was gebraucht würde.

Das Hopper Hotel St. Josef im Severinsviertel in Köln. Aus dem Sozialprojekt mit Volksküche und Handarbeitsschule von 1891 wurde 2009 ein Kunst- und Designhotel

Solche Analysen wurden in den 1990ern nicht gemacht, oder?

Meines Wissens nicht. Umso mehr hat mich begeistert, wie die Studierenden Kirche und Kommune in gemeinsamer Verantwortung sehen – bei aller Kirchenskepsis und Ablehnung von Macht und Moral, was sie deutlich angesprochen haben. Sie nehmen die Kirche beim Wort: Wenn sich Kirchen als offene Sozialräume verstehen, dann müssen sie sich darum kümmern, was die sozialen Bedürfnisse ihrer Umgebung sind, nicht nur die eigenen.

Wie bringt man in echt Kirchen und Kommunen zusammen?

Das ist der Spagat! Und oft auch ein Ringen mit dem Denkmalschutz. Ich begleite eine Kirche in der Uckermark, die ein Dorfgemeinschaftshaus werden soll mit variablen Tischen. Wir haben lange mit dem Denkmalschutz gerungen wegen der Frage: Kirchenbänke drinlassen oder raus?

Wie ist es ausgegangen?

Wir finden einen Kompromiss!

Ist der Denkmalschutz zu streng?

Jeder möchte aus seiner Sicht alles richtig machen – der Denkmalschutz möchte die Substanz erhalten, weil sie die Geschichte zeigt. Aber Denkmalschutz ist kein Veränderungsverbot. Man kann einen Ort nur lebendig halten, wenn man ihn bespielen kann. Heute stehen die Bänke oft extrem im Weg. Wenn man sich von ihnen befreien kann, werden Kirchenräume viel leichter zu Gemeinschaftsräumen. Dann kann man darin auch mal einen Tanzabend veranstalten.

Im Erzgebirge darf ich eine Barockkirche begleiten, wo sich der Gemeindekirchenrat mit dem Denkmalschutz verständigen konnte, dass Emporen und Bänke entfernt werden und so ein gitterartiger, hölzerner Raum-im-Raum-Einbau möglich ist, der den barocken Bestand mit einer zeitgemäßen Architektursprache verbindet und viele neue Nutzungsmöglichkeiten schafft.

Wie argumentieren Sie dem Denkmalschutz gegenüber?

Ich versuche immer, Kompromisse zu finden. Zum Beispiel, indem man nur so weit zurückbaut, wie es nötig ist. Man lässt beispielsweise exemplarisch drei, vier Bankreihen stehen und macht im Boden sichtbar, wo die anderen standen – so erzählt der Raum seine Geschichte und ist zugleich offen für eine neue Zukunft.

Die Jakobikirche in Mühlhausen in Thüringen beherbergt die Stadtbibliothek

Kirchen umzunutzen, ist ja doch eine heikle Sache, weil viele persönliche Geschichten an dem Gebäude hängen. Die Hochzeit und die Taufe der Kinder, die Beerdigung der Großeltern. Gibt es Grenzen?

Es ist nur heikel, wenn man die Kirche komplett entfremdet. Auch hier hilft der Kompromiss: Wie kann man trotz neuer Nutzung der Kirchengemeinde noch einen respektablen Raum erhalten, sei er auch ganz klein. Alles, was darauf abzielt, dass lebendige Gemeinschaft entsteht, kommt infrage. Bank oder Einkaufszentrum genau deswegen nicht.

Ein Bordell doch sicher auch nicht.

Stimmt. Aber dafür gibt es auch kein Interesse. Meines Wissens hat Beate Uhse noch nie angefragt.

Aber es gab schon Proteste gegen die Umnutzung als Moschee!

Das sind Einzelfälle. Eine große Nachfrage gibt es bisher nicht. Viele Menschen spüren, dass eine Kirche eine eigene Aura hat – das ist der besondere Reiz für eine Neunutzung und verbindet die neue Idee mit dem Ursprung. Das Hotel St. Josef im Kölner Severinsviertel zum Beispiel hat deshalb viel kirchliche Symbolik erhalten, unter anderem die Kirchenfenster. Die sind nicht nur schön bunt, sondern erinnern an den Ursprung.

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Was wäre der erste Schritt, wenn eine Kirchengemeinde nicht weiß, was sie mit einer überzähligen Kirche machen soll?

Raus in den Stadtteil gehen oder auf Suche-brauche-Portalen posten: Wir haben Platz, wer braucht welchen? Der nächste Schritt ist, mit der Kommune ins Gespräch zu kommen und gemeinsam zu überlegen: Ihr habt Raumnot, wir haben Leerstand – lasst uns ein Konzept erstellen.

Ist man in den Rathäusern offen dafür?

Meiner Erfahrung nach: ja. Die Kirchen haben schließlich Besonderes zu bieten. Leere Hallen stehen am Stadtrand, die Kirche im Zentrum. Sie ist und bleibt ein Orientierungspunkt, den alle im Blick haben – bewusst oder unbewusst. Öfter gibt es auch noch Außenflächen und Gemeinderäume, die man in die Verhandlungen einbringen kann.

In den Niederlanden und Belgien fühlen sich die Kommunen nach meiner Wahrnehmung verantwortlicher für die Kirchengebäude als hier. Sie werden von den Kirchengemeinden aber auch stärker einbezogen, wenn man nach Möglichkeiten der Neunutzung sucht. Hier würde man am liebsten sagen: Ihr bekommt Mittwoch und Freitag den Schlüssel – dafür möchten wir aber so viel Miete haben, dass wir alles sanieren können und die Hausherren bleiben. Aber das funktioniert natürlich nicht. Man darf nicht denken: Wir müssen die Hoheit behalten, weil wir ja Höheres verwalten!

Ist das nicht so?

Nein, am Ende ist es eine Immobilie – in der Höheres stattfindet. Für Martin Luther war die Kirche Mittel zum Zweck. Ein Raum, der nur dann heilig ist, wenn darin gebetet wird. Erst seit dem 19. Jahrhundert hat man Kirchenräume mit vielen Verordnungen und Regeln für die Nutzung mehr und mehr der Bevölkerung entfremdet. Aber für diese Sonderstellung fehlt inzwischen das Fundament. Die Institution erscheint vielen bedeutungslos. Die Orte nicht. Früher waren Kirchen vielfach offenere Orte – auch in der DDR.

Wofür denn?

Rock- und Blueskonzerte und offene Räume für Randgruppen waren vielerorts normal. Heute klopfen diese oft gar nicht mehr an – oder es fehlen die Ressourcen.

Wenn man die Kirche anders nutzen will, muss man oft umbauen. Wer soll das zahlen?

Es ist am besten, wenn sich verschiedene Partner zusammentun, so wie das etliche Dorfkirchen mit vielen regionalen Sponsoren, der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und der Stiftung KiBa schaffen. Wichtig ist es, anzufangen – zunächst mit dem Nötigsten: aufräumen und entkernen. Leerraum schaffen, der nach Bedarf neu gefüllt wird. Das bewirkt viel und stiftet neue Gemeinschaften. Montags liegen da die Yogamatten, Dienstag stehen Tische da, an denen sich Jugendliche oder die Schachfreunde treffen ...

Die 1912 erbaute Kreuzkirche in der Nähe des Kölner Hauptbahnhofs wurde 2010 zur Jugendherberge "Pathpoint Cologne"

Und wenn die Frauengruppe sagt: Nur wenn das Kreuz rauskommt!

Das ist Verhandlungssache. Manche sagen: Hängt ein Tuch drüber, solange ihr da seid. Oder diese Gruppe scheidet aus. Es braucht klare, gemeinsame Regeln. Man staunt, was geht, wenn man sich gut abstimmt. Aber man muss sich treffen und miteinander reden für eine gute Chemie untereinander. Das braucht Mut.

Warum Mut?

Weil man klar sein und sich von Selbstverständlichkeiten trennen muss. Manchmal sind schon die schweren Portale ein Hindernis! Würde man sie durch Glastüren ersetzen, wäre das ein großer Unterschied. Viele Menschen schätzen die Kirche ja nach wie vor für ihre Haltung der Nächstenliebe, für ihr soziales Engagement. Das könnte man im Verbund mit der Kommune verstärken, indem man die örtliche Sozialstation in der Kirche einrichtet.

Lesetipp: Was Menschen von der Kirche erwarten

Das hieße aber auch, dass vielleicht Menschen in die Kirche kommen, die nicht so gut riechen.

Die Kirchengemeinde St. Johannes in Augsburg plant zusammen mit der Stadt das Forum St. Johannes, eine Sozialstation in der Kirche, auch für Drogenabhängige. Da schreien manche Gemeindeglieder auf. Aber wenn vor Gott alle gleich sind, muss man sich auch untereinander ertragen. Das ist natürlich sehr komplex und braucht eine klare Haltung, die die Leute motiviert und mitnimmt. Am besten, man bringt noch ein Café unter, damit alle zusammenkommen. Dann erfüllt Kirche auf schönste Weise ihre Aufgabe.

Es sagt sich immer so einfach: sich verabschieden vom Gewohnten. Wer hilft den Gemeinden dabei?

Wichtig finde ich vor allem ein übergemeindliches Management, damit Gemeinden voneinander wissen und sich austauschen können. Wichtig sind auch konkreter juristischer Beistand und professionelle Unterstützung, wie man gut und transparent kommuniziert. Und ja, es braucht einen langen Atem, wenn man sich auf diesen Weg macht.

Welche Fehler hat man in den vergangenen 30 Jahren gemacht?

Aus den Kirchen sollten vielfach besondere Orte von Kultur und Kunst werden – quasi in der Tradition kirchenfürstlicher Residenzkirchen. Edelstes am Ort des Höchsten. So sind hoch ästhetisierte Räume entstanden, die besonders sind – ein Geschenk für die Künstlerinnen und Künstler, die hier wirksam werden können. Und ein Geschenk an die Kirchen, die zum Ort aktueller Auseinandersetzung mit Kunst werden. Damit ging aber auch eine Entfremdung einher, weil sich diese Kirche Bedürftigen so verschlossen.

Wo ist die neue Nutzung besonders gut gelungen?

Zum Beispiel im Gemeindehaus Oekolampad in Basel, benannt nach dem Schweizer Reformator Johannes Oekolampad. Kirche und Gemeindehaus wurden geschickt aufgeteilt und darin ein Café, ein Demenzverein, ein Theater und der städtische Sozialraum für bedürftige junge Mütter untergebracht. Aber auch solche besonders gelungenen Beispiele zeigen: Es sind immer Leute nötig, die vorangehen, mit einem langen Atem und großer Bindekraft – Realisten mit Visionen. Skeptiker gibt es immer.

Das Basilicafé St. Aegidien in Hannoversch Münden bewahrt den sakralen Raumcharakter der Kirche
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