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Letztes Wochenende war ich zum ersten Mal Jury-Mitglied in einem Wettbewerb. Wie das kam? Dem voran gegangen war eine schöne Begegnung.
Wolfgang Willkomm ist Architektur-Professor in Hamburg. Wir trafen uns neulich bei einer Führung und stellten fest, dass wir uns eigentlich schon sehr lange kennen. Vor vielen Jahren hatte ich Wolfang um ein Fachstatement für eines unserer Hilfsprojekte, die wir seit 2002 (!) bei chrismon vorstellen, gebeten. Es ging um den Bau von Hütten für Familien auf Sri Lanka. Palmenhütte e.V. hieß und heißt der Verein.
Das Ganze ist so lange her, dass ich den Text nicht mehr in unserem Online-Archiv gefunden habe, sondern ihn nur hier als PDF zum Ansehen einstellen kann.
Soweit der kurze Exkurs, wie es kam, dass ich Jury-Mitglied wurde. Ein ehrenvoller und freudvoller Job.
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Ort des Geschehens: Die Martin-Luther-King Kirche in Hamburg Steilshoop. Hier gab es im Sommer Workshops für Jugendliche, die Wolfgang geleitet hat. Die jungen Menschen sollten Wände für ihren neuen eigenen Raum, den "STEILO-Living-Room" gestalten. Am Tag des Adventsbasars sollen die Siegerentwürfe gekürt werden.
Als wir um 11 Uhr in der Martin-Luther-King-Kirche ankommen, ist der Basar schon in Gange. Der große runde und helle Kirchenraum ist voller Menschen. Überall Verkaufsstände, eine Tombola, es gibt ein Café, Suppe, Glühwein, draußen einen Bratwurststand. Weit über 100 Menschen sind da, alte, aber auch junge, viele kennen sich.
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Auf einem Tisch stehen die Papierentwürfe der Jugendlichen, wie sie sich ihren Raum vorstellen. Dahinter eine Stellwand mit Erklärungen zum Workshop. Es gibt ein Publikums-Voting, viele machen mit.
Steilshoop gehört zu Hamburgs Plattenbausiedlungen aus den 1970er Jahren. Über 20 000 Menschen leben hier, viele von ihnen kommen aus Familien mit Migrationsgeschichte. Es gibt ein ziemlich heruntergekommenes Einkaufszentrum (soll renoviert werden) und keine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr (die dringend notwendige U-Bahn ist erst im Bau). Der Stadtteil ist jung: Über 20 Prozent der Menschen, die hier leben sind jünger als 20 Jahre.
Die Martin-Luther-King Kirche liegt mittendrin. Der verwinkelte Bau mit Pastorenwohnung und vielen Arbeitsräumen ist außen durchgehend blau gekachelt, eine denkmalgeschützte Architektur-Ikone des Hamburger Architekten Asmus Werner, eher Gemeindezentrum denn Kirche und schon damals gedacht für alle Menschen, die hier wohnen, eben auch die Nicht-Christen.
Wolfgang hat die Jury-Sitzung professionell geplant. Wir sind zu fünft, Wolfgang, Pastorin Reingard Wollmann-Braun, Florian Fischer und Jan Niklas Breidohr aus dem Kirchengemeinderat und ich.
Wir haben 40 Minuten Zeit und ziehen uns mit den Entwürfen in die nun leere Gemeindewohnung zurück, in den Raum, der von den Jugendlichen neu selbst gestaltet werden soll. Die Aufgabe lautet: Design-Ideen für die Wände auf einem maßstabsgetreuen Papiermodell zu entwickeln. Einige Entwürfe sind bunt und wild, einige vollkommen unrealistische, andere einfach und klar.
In zwei Runden betrachten wir die Entwürfe, es gibt ein Protokoll. Wolfgang achtet streng darauf, dass wir jeden Entwurf unter den immer gleichen Gesichtspunkten betrachten. Am Ende, das ist das Versprechen der Gemeinde, soll eine der prämierten Wände realisiert werden. Wolfgang hat Urkunden entworfen, es gibt Preise: Ein Kaufgutschein und Kinokarten.
Ich bin beeindruckt von der Vielfalt der Entwürfe, einiges ist wild, bunt, völlig unrealisierbar, anderes eher bescheiden und still. Alle Teilnehmenden wünschen sich Ruhe und einen Rückzugsort, viele haben in ihrem Entwurf die blaue Farbe der Kacheln von der Außenwand der Martin-Luther-King Kirche mit einbezogen.
Am Ende entscheiden wir uns für zwei erste Preise. An Sara, 13 Jahre alt und Moritz, 16 Jahre alt. Auch Saras Schwester hat mitgemacht, Habiba, 11 Jahre alt. Sie bekommt einen Ehrenpreis, mit Urkunde und Schokoladenweihnachtsmann.
Beide Mädchen tragen Kopftuch, beide sind in Steilshoop geboren, gehen hier zur Schule. Warum haben die jungen Muslima sich an den Workshops und dem Wettbewerb beteiligt?
"Wir finden Steilshoop toll", sagt Sara. Sie komme oft in die Gemeinde, weil sie hier andere junge Menschen treffen könne und einfach gerne viel "mitmache". Auch Moritz ist in Steilshoop aufgewachsen, ist aktiv in der Gemeinde und erzählt mir, dass er sich gern im Viertel bewege. In seinen Entwurf hat er nicht nur das coole Logo vom "STEILO-Living-Room" eingebaut, sondern auch flexible Holzregale für die Wände.
Unser eindeutiges Votum der Jury lautet: Das lässt sich gut realisieren und bietet den Jugendlichen später auch die Möglichkeit, ihren eigenen Raum immer wieder neu zu verändern. Moritz dazu: "Wir wollen unsere Umgebung aktiv gestalten."
Bei Saras Entwurf beeindruckt uns die Kreativität. Bunte Farben, vielleicht ein bisschen zu viel, aber viele gute Ideen. Und eine Schiebe-Wand, mit der der Raum später in einen "Boys"- und einen "Girls"abschnitt geteilt werden könnte.
Wir erkennen darin weniger das Trennende, denn das Verbindende: Jungs und Mädchen können in einem Raum zusammen sein. Doch wenn ihnen die Nähe zu viel wird, können sie sich schützen. Flexibel. Je nach Bedarf.
Ein schöner Ansatz. Belohnt wurde er mit dem Einkaufsgutschein für Sara. Moritz freut sich auf den Kinobesuch. Herzlichen Glückwunsch an Euch beide!