Als die neue Liebe ganz neu war, strichen wir die Wand im Schlafzimmer leuchtend rot. Das heißt: fast ganz rot, weil – wir sind keine Heimwerkerprofis. Wir hatten exakt einen halben Eimer Farbe zu wenig gekauft. Drum blieb ein Quadrat von 30 mal 30 Zentimetern weiß, davor stellten wir provisorisch eine rote Plastikrose. Sobald einer mal wieder im Farbenladen ist, versicherten wir uns, kaufen wir noch ein bisschen rote Farbe, zehn Pinselstriche, dann wird alles perfekt.
Das ist jetzt zehn Jahre her, das vermurkste Quadrat ist immer noch weiß. Die Plastikrose ist auch noch da, in einem Marmeladenglas, dabei hätten wir ja wenigstens mal eine Vase kaufen können. Nichts ist haltbarer als ein Provisorium, sagt ein französisches Sprichwort.
Der Überdruss am Perfekten
Und es ist nicht etwa nur eine Ausnahme, nur eine Notlösung. „Wir alle leben dauernd in Provisorien“, sagt Designprofessorin Uta Brandes aus Köln, „und im Moment mehr denn je.“ Sie beschäftigt sich mit „nichtintentionalem Design“, da geht’s um Dinge, die anders verwendet werden, als der Hersteller sich das gedacht hat: der Backstein als Kugelschreiberhalter, die Büroklammer als Radioantenne, die Untertasse als Aschenbecher. „Die Menschen sind ja manchmal schlauer als die Designer“, sagt sie. Manchmal hält die Flosse unter der Tür tatsächlich besser als der Alessi-Türstopper, und dank der Wäscheklammer bleiben die Kaffeebohnen in der angerissenen Tüte wunderbar frisch.
Aber noch etwas steckt hinter der Lust am Provisorium: der Überdruss am Perfekten und Geleckten. Wenn alle Bürgersleute in der Großstadt den Stuhl von Eames im Wohnzimmer stehen haben und im Arbeitszimmer diese dezent silber gefassten, schwarzen Regale – dann hat das Improvisierte wieder Charme. Die Baustellenlampe, gerne auch vom Designer auf einfach getrimmt und einige Euros teurer als im Baumarkt, die hat nicht jeder. Und das Bett aus Europaletten, als Provisorium gedacht, bleibt doch länger stehen als geplant.
Es ist ja nur ein Spiel, das Provisorium
Erinnert uns an damals, als wir nichts brauchten als diese Paletten, eine Matratze und eine Tropfkerze auf der Weinflasche, auch so ein Provisorium. Es lässt uns davon träumen, wir könnten jederzeit wieder aufbrechen und weiterziehen. Matratze in den Kofferraum, up and away. Dass wir in Wahrheit schon wegen unserer 15 000 Bücher und unseres Baudarlehens ganz schön sesshaft sind – geschenkt. Es ist ja nur ein Spiel, das Provisorium.
Weltmeister im „Verschieben des inhaltlichen Kontextes“ sind übrigens Kinder. Gut, sie würden es nicht so nennen. Aber sie kicken mit Coladosen, brüllen „Hände hoch“ mit einer Banane statt mit einem Colt und stülpen sich statt Darth-Vader-Masken schwarze Kelloggs-Frosties-Tüten über den Kopf. Perfektes Spielzeug finden sie auch gut, wirklich, und natürlich wollen sie trotzdem die teure Maske, aus der es brunzblöd und elektronisch herausatmet. Aber Kinder beherrschen wie sonst niemand das Subversive, das Umfunktionieren, die Trampelpfade abseits dessen, was geplant und vorgesehen war.
Es ist gut so. Gut genug!
Und dann gibt es noch eine Gruppe, die gar keine Provisorien mag. Das sind die Jungen, die 20- bis 30-Jährigen. Ausgerechnet die, von denen schon wegen des geringen Geldbeutels das Improvisieren verlangt wird – ausgerechnet die stehen neuerdings auf massive Einbaumöbel. Das hat der Kölner Psychologe Stephan Grünewald vom Rheingold-Institut herausgefunden, er nennt es „Frühversargung“. Die Generation der Scheidungskinder, deren Leben durch Wirtschaftskrisen und angedrohte Katastrophen ins Wanken geraten ist, mag es neuerdings lieber fest verschraubt. Während die Älteren, in ihrem halbwegs sicheren Hafen angekommen, mit den Provisorien spielen. Und ganz gerne noch mal an ihrem Leben rumbasteln. Do it yourself, mach es zu deinem Projekt.
Ach ja, neulich waren wir in einem Farbenladen, kurz dachte ich: Jetzt kauft der Mann bestimmt die rote Farbe. Nicht dass ich wirklich eine Frühversargung befürchte, aber irgendwie habe ich mich gewöhnt an die Rose vor der weißen Lücke. Zum Glück waren wir uns einig, dass nach zehn Jahren das Rot längst ein anderes geworden ist, da kann man nichts mehr ausbessern. Und was heißt überhaupt besser. Es ist gut so. Gut genug.
Genauso habe ich schon vieles
Genauso habe ich schon vieles erlebt und es stimmt wirklich :"nichts hält länger als ein Provisorium".
Wenn ich mich umblicke in der Wohnung dann finde ich einige Provis hier aber eigentlich entdecke ich sie nur jetzt wo ich intensiv danach schaue. Ansonsten sind sie einfach alltag und erprobt und wird gelebt.
ciao
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„Frühversargung“ =
„Frühversargung“ = großartig-treffende Beschreibung !
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"Es ist ( NICHT ) gut so! ( NICHT ) gut genug! "
. Das Provisorium ist manchmal tatsächlich schöner als das Designerstück, Geld spielt dabei selbstverständlich nicht die geringste Rolle, ist ja nur, weil wir "des Perfekten so überdrüssig sind"! So geht es also vor sich: dieses "So als ob" Leben ?
Nur der Selbstbetrug mit der "Frühversargung" ist eines alternden Psychologen äußerst "würdig" ! Das Authentische wird hier am Provisorium festgezurrt, und während der junge Mensch noch im Gefühl der Ewigkeit lebt, wird der Erfahrene mit der Endlichkeit konfrontiert, da ist das Provisorium wohl hilfreich, um die Illusion zu behalten, doch wäre es nicht besser hier Authentizität, Charakter, Geschmack zu beweisen, statt lediglich auf das "gruftige" zurück zu greifen? Egal wie, des Alten werde ich doch irgendwie überdrüssig!
Eine Plastikrose ist hässlich, und statt einer neuen Vase, lieber immer wieder eine echte Rose kaufen?
Viel Glück!
P.S. Man bekommt den Eindruck, Deutschland sei ein reiches Land und frei von Sorgen, nicht wahr? Zumindest erweckt es so den Anschein, wenn man die Sorgen der Expertenwelt betrachtet, es lebt sich wohl gut, von den Sorgen anderer? Bis auf die Langeweile, die einen bisweilen plagt?
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