Die antijüdische Symbolik der Skulptur wurde vom Hallenser Metall-Künstler Thomas Leu eingefriedet. Ölzweige umschließen nun die Chimäre
Thomas Leu
Antisemitismus
Wie umgehen mit antisemitischer Kunst?
In manchen Kirchen steht oder hängt problematische antijüdische Kunst aus vergangenen Jahrhunderten. Der nun umhüllte Wasserspeier in Calbe, Sachsen-Anhalt, zeigt, wie ein angemesser Umgang damit aussieht
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
21.11.2025
3Min

Manchmal muss man etwas verhüllen, um es auf angemessene Weise öffentlich zu zeigen – das heißt: ohne es direkt sichtbar zu machen. Das klingt kompliziert, ist aber manchmal erstaunlich einfach. Allerdings braucht man Zeit und viele Gespräche, bis alle sich auf ein solches Verhüllen-Zeigen einigen.

Wie so etwas dann aussieht, kann man nun in der St. Stephani-Kirche in Calbe, einer Kleinstadt in Sachsen-Anhalt, besichtigen. Dort wurde passenderweise am Buß- und Bettag ein problematisches Kirchenkunstwerk in verhüllter Form der Öffentlichkeit vorgestellt. Ein fast zehnjähriger Prozess, der zwischenzeitlich hohe mediale Wellen geschlagen hatte, hat damit einen guten Abschluss gefunden.

Kurzes Erklär-Video: Was ist der Buß- und Bettag?

Es begann 2016. Eine Gruppe von 14 unechten Wasserspeiern wurde im Zuge einer Sanierung der Kirche abgenommen. Bisher hatte man diese Skulpturen nicht beachtet. Von unten waren sie kaum zu erkennen. Besonders eine Figur erregte jetzt Anstoß: eine sogenannte "Judensau". Davon gibt es im deutschsprachigen Raum etwa 50 Stück. Im Hochmittelalter sollte mit diesen obszönen Grotesken das Judentum lächerlich gemacht werden. Sie stehen also für eine lange Geschichte christlicher Judenfeindlichkeit.

Nebenbei: Solche "Judensauen" gibt es in Nachbarländern wie Frankreich oder England nicht, weil man dort im Hochmittelalter die Juden außer Landes getrieben hatte. Insofern sind sie, so seltsam das klingt, ein Zeichen – prekärer – jüdischer Präsenz im deutschsprachigen Raum.

Lesetipp: Was Judenhass und Antisemitismus mit dem Christentum zu tun haben

Vor und während des Reformationsjubiläums wurde die antijüdische Schmähskulptur an der Wittenberger Stadtkirche zu einem großen medialen Streitthema. Nun schaute man auch an anderen Orten nach, fand Ähnliches und stand vor der Frage, wie man mit solch giftigen Bildwerken umgehen solle: abnehmen, in ein Museum bringen, dranlassen, mit Erklär-Tafeln oder Gegen-Kunstwerken versehen?

In Calbe nahm das Thema eine eigentümliche Wendung. Denn hier handelte es sich nicht um eine mittelalterliche Figur. Im 19., vielleicht sogar im 20. Jahrhundert war diese Schmähskulptur geschaffen worden. Sie war also schon im Horizont des modernen, rassistischen Antisemitismus entstanden. Hinzu kam ein spezieller Konflikt mit dem Denkmalschutz. Denn nach der Sanierung der Figurengruppe wollte die Kirchengemeinde diese eine Figur nicht wieder anbringen, "weil sie sich von antisemitischen Symbolen jeglicher Art distanziert". Darauf jedoch bestand der Denkmalschutz und drohte, die Fördermittel nicht auszuzahlen.

Längliche Verhandlungen folgten. Schließlich wurde ein Kompromiss gefunden: Die Figur sollte aus Gründen des Denkmalschutzes wieder angebracht, aber zwischenzeitlich verhüllt werden. Diese Zwischenzeit wurde genutzt, um in Kooperation mit der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt die Geschichte der Figur zu erforschen und die Öffentlichkeit aufzuklären. Ein Beispiel dafür ist eine sehr gut gemachte Website. Auch gab es Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen, allerdings mit übersichtlicher Resonanz. Denn wie nicht selten in solchen Fällen, entsprach die mediale Aufregung nicht unbedingt dem örtlichen Interesse.

Schließlich erhielt der Hallenser Metall-Künstler Thomas Leu den Auftrag für eine dauerhafte Verhüllung der Figur. Leicht hat er es sich nicht gemacht, musste er doch in das Werk eines Kollegen – wie immer man es beurteilt – eingreifen. Thomas Leu erklärt seinen Entwurf so: "Der Entwurf besteht aus Ölzweigen, die sich wie ein Korb um die Chimäre legen. Die Applikation aus Edelstahl greift das Anliegen des Gemeindekirchenrates auf, die Figur zu binden. Der Entwurf gibt dem Ganzen aber auch etwas Lebendiges. Die Idee entstand im gemeinsamen Gespräch mit Vertretern der jüdischen Gemeinde."

Das Zeugnis einer problematischen Geschichte wird hier also nicht versteckt oder verdrängt, es wird aber auch nicht mehr gelten gelassen. So kann Gedenken am Ende aussehen. Man braucht allerdings Zeit, Mut, Geduld, Vertrauen und viele Gespräche dafür.

Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.

Kolumne

Johann Hinrich Claussen

Auch das Überflüssige ist lebens­notwendig: Der Autor und Theologe Johann Hinrich Claussen reist durch die Weiten von Kunst und Kultur