Ein Mann liest eine Zeitung neben einer Frau, die auf einem iPad liest, am Strand am 7. Juni 2022 in Tel Aviv, Israel
Um israelische Zeitungen zu lesen, muss man nicht in Israel sein ... Strandszene aus Tel Aviv
Alexi Rosenfeld/Getty Images
Israel und Gaza
Wie die "Times of Israel" über den Krieg berichtet
Wie können wir uns gut über Israel und den Gaza-Krieg informieren? Zum Beispiel, indem wir Artikel in israelischen Zeitungen lesen. Das weitet den Blick...
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
08.08.2025
4Min

Ein Nahostexperte bin ich nicht, wie die wenigsten. Aber auch mich wühlen die Nachrichten und Bilder aus Gaza, Israel und der West Bank auf. Um mehr zu verstehen, folge ich seit einigen Wochen dem Rat einer guten Bekannten: Ich solle mehr Nachrichten aus Israel selbst lesen.

Dort gibt es sehr gute, freie und kritische Medien – im Unterschied zu den palästinensischen Gebieten, wie der arabischen Welt überhaupt. Seither besuche ich regelmäßig die Website von "Times of Israel", wo die meisten Artikel frei zugänglich sind. Ich kann das nur empfehlen und stelle hier ein paar Texte aus den vergangenen Tagen kurz vor – als Anregung zum Selber-Lesen.

Am 28. Juli veröffentlichte Lazar Berman eine Kritik der israelischen Regierung. Sie sei unfähig, eine Strategie für den Umgang mit der Zivilbevölkerung in Gaza zu entwickeln. Wieder und wieder mache sie dieselben Fehler. Aus innenpolitischen Gründen – der Rücksicht auf radikale Kräfte – verhindere sie, dass Hilfe geliefert werde. Aus außenpolitischen Gründen – der Rücksicht auf die Verbündeten – öffne sie dann doch wieder die Zugänge, ein wenig zumindest.

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So machtvoll die Regierung auch auftrete, sei sie politisch doch ohne Orientierung, also schwach. Ohne ein realistisches Ziel und ohne eine Perspektive für die Zivilbevölkerung in Gaza werde sie diesen Krieg nicht gewinnen, trotz ihrer militärischen Übermacht.

"Wenn es eine klare Nachkriegsvorstellung darüber gäbe, wer an die Stelle der Hamas tritt, hätte Israel einen Gesprächspartner, über den es Hilfe schicken könnte, wodurch Fakten vor Ort geschaffen und langsam Gebiete im Gazastreifen geschaffen würden, die von jemand anderem als der Hamas regiert werden. Bislang vermeidet die Regierung diese politisch heikle Diskussion, aber sie wird sich irgendwann darauf einlassen müssen. Andernfalls wird Israel nur weitere Versprechungen hören, dass die Regierung endlich den Schlüssel zum Sieg über die Hamas gefunden hat und dass der Sieg unmittelbar bevorsteht."

Am 30. Juli schrieb David Horovitz darüber, dass "die von Netanjahu geführte Regierung militärisch in Gaza scheitert und die Welt sowie einen Großteil Israels und der jüdischen Diaspora mit ihrem Umgang mit den Nichtkombattanten in Gaza – ihrer Nahrung, ihrem Wohlergehen, ihrer Zukunft – entfremdet".

Dabei argumentiert er ebenso politisch-strategisch wie humanitär-ethisch. Er vermisst ein politisches Ziel und Ideen, wie in Gaza eine Art von Ordnung geschaffen werden könne. "Es gibt eigentlich nur drei Optionen für den ‚Tag danach‘: die undenkbare Rückkehr einer wiederbelebten Hamas an die Macht, die unerbittlich auf die Zerstörung Israels aus ist; die vollständige israelische Besetzung für die absehbare Zukunft; und ein internationaler Governance-Mechanismus mit einer amerikanischen Rolle bei der Überwachung und der Beteiligung regionaler Akteure. Diese dritte Option hängt jedoch von einer irgendwie legitimen palästinensischen Regierungskomponente ab."

Auf diese dritte Option zielten Israels Verbündete ab. "Es ist längst überfällig, dass Netanjahu – der in Bezug auf die Gaza-Hilfe inkonsequent ist und bei den Bedingungen des Geisel-Friedensabkommens hin- und herschwankt – eine Entscheidung trifft." Doch das geschieht bislang nicht.

Wer die Website von "Times of Israel" regelmäßig besucht, wird neben klugen politischen Analysen und detaillierten Berichten immer wieder auf persönlich berührende Geschichten stoßen. Die Opfer des 7. Oktober werden nicht vergessen, an die Geiseln wird wieder und wieder erinnert, und gefallene Soldaten werden einzeln porträtiert. Israel ist eben ein kleines Land mit wenig Menschen: Jeder einzelne ist unersetzlich, viele kennen einander, auch aus dem Wehrdienst. Alle gemeinsam sehen sich Nachbarn gegenüber, die ihren Staat und ihr Leben auslöschen wollen. Es liegt ja offen zu Tage, dass die Hamas eine genozidale Agenda hat und auf die eigenen Leute keine Rücksicht nimmt.

Zugleich aber findet man auch Texte, die einen tiefen moralischen und religiösen Widerwillen gegen die Politik der Regierung ausdrücken. So schrieb Stephen Games am 29. Juli anlässlich des jüdischen Feiertags Tisha B’Av, an dem der Zerstörung des Jerusalemer Tempels gedacht wird, warum er in diesem Jahr nicht mit-trauern und mit-fasten könne. "Wenn Sie sich schlecht fühlen, weil Gott die Juden bestraft hat, aber nicht dazu beitragen, das gleiche Leid der um Essen bettelnden Kinder heute zu lindern, was tun Sie dann überhaupt?"

An diesem Tag stehen die Klagelieder des Jeremias im Mittelpunkt des jüdischen Lebens: "Aber werden wir das Buch der Klagelieder als Blaupause für das lesen, was wir selbst getan haben, und insbesondere für das, worauf wir Gaza und seine Bevölkerung reduziert haben? Sie sind keineswegs unsere Freunde, aber wir haben die Pflicht, uns um sie zu kümmern – nicht aufgrund von Artikel 55 der Genfer Konvention, wie David Mencer, der Sprecher des Büros von Benjamin Netanjahu, letzte Woche erklärte, sondern weil Israel ein jüdischer Staat ist und eine religiöse, moralische Verpflichtung hat, sich um die Menschen innerhalb seiner Grenzen zu kümmern. Zweifelsohne hat Gaza schwer gesündigt, zweifelsohne haftet seine Unreinheit an seinen Röcken, zweifelsohne sind seine Feinde jetzt seine Herren, aber sind wir unserer Fürsorgepflicht nachgekommen? …

Wenn wir die Idee der göttlichen Rache akzeptieren, wenn sie gegen uns gerichtet ist, und um Abhilfe von derselben Seite beten, die sie ausgesandt hat, dann haben wir, nachdem wir eine ähnliche Rache gegen diejenigen ausgeübt haben, die sich ‚gegen uns aufgelehnt haben‘, die Pflicht, Abhilfe zu schaffen und Wiedergutmachung zu leisten – und nicht nur zu versuchen, Abhilfe zu schaffen und uns zu entschuldigen, wenn unsere Bemühungen nicht erfolgreich sind."

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Kolumne

Johann Hinrich Claussen

Auch das Überflüssige ist lebens­notwendig: Der Autor und Theologe Johann Hinrich Claussen reist durch die Weiten von Kunst und Kultur