Martin Luther King am 13. September 1964 auf Westberliner Seite an der Grenze zum Potsdamer Platz
Martin Luther King am 13. September 1964 auf West-Berliner Seite an der Grenze zum Potsdamer Platz
ASSOCIATED PRESS/picture alliance
Martin Luther King über Hoffnung und Verzweiflung
Kosmische Kameradschaft
Wer angesichts aktueller Nachrichten nicht verzweifeln will, kann aus alten Predigten und Essays von Martin Luther King vielleicht nicht gerade Zuversicht, aber doch vertiefte Einsicht schöpfen
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
14.06.2024
3Min

In Berlin predige ich gelegentlich in zwei Kirchen, in denen Martin Luther King vor 60 Jahre epochale Überraschungsauftritte feierte. Bei einem Besuch in der Hauptstadt der DDR besuchte er 1964 St. Marien am Alexanderplatz sowie St. Sophien beim Hackeschen Markt und sprach – zum Ärger des Regimes – zu vielen Menschen über die Freiheit, den Glauben und die Kraft des Guten.

Nun habe ich ein paar alte Predigten und Essays von Martin Luther King wiedergelesen. Und wieder war ich fasziniert von der Klarheit und Konsequenz seines Denkens und Handelns. Er war eben nicht der handzahme Erbauungsredner, zu dem er später gemacht wurde. Er war radikal, weil er den innen- und außenpolitischen Problemen seiner Zeit an die Wurzel ging. Und diese Wurzeln hießen: Rassismus, Ungleichheit, Gewalt.

Dieses Mal fiel mir beim Lesen besonders ein theologischer Aspekt auf. King kämpfte gegen eine Übermacht von Gegnern, Krisen und Problemen. Seine Lage damals war viel mehr als die Unsrige heute dazu geeignet, in Verzweiflung zu versinken. Trotz seiner Erfolge um mehr Bürgerrechte für Afroamerikaner konnte er gegen deren wirtschaftliche Ausbeutung und gesellschaftliche Chancenlosigkeit nichts ausrichten. Auch sein Protest gegen den Wahnsinn des Vietnamkriegs war erfolglos. Zudem wusste er, dass er früher oder später von seinen Feinden ermordet werden würde.

Martin Luther King in St. Marien, links neben ihm der damalige evangelische Superintendent Ost-Berlins Gerhard Schmitt, Onkel von Joachim Gauck

Trotzdem hielt er an der Hoffnung fest, dass Besserung möglich und sein Kampf sinnvoll sei. Wer an die Kraft des gewaltfreien Widerstands glaube, "glaubt irgendwie auch daran, dass das Universum auf der Seite der Gerechtigkeit ist. Da ist etwas im Universum, dass sich als Gerechtigkeit entfaltet, und wir fühlten, als wir kämpften, eine Art kosmischer Kameradschaft." – "Ich bin ein Optimist. Gott liebt uns; er hat keinen Plan für unser Scheitern ausgelegt. Der Mensch hat die Fähigkeit, das Rechte zu tun ebenso wie das Falsche, und seine Geschichte ist ein Pfad, der nach oben führt, nicht nach unten." – Und kurz vor seiner Ermordung: "Ich habe das Gelobte Land gesehen. Wahrscheinlich werde ich selbst es nicht gemeinsam mit euch betreten. Aber als ein Volk werden wir es erreichen. Deshalb bin ich heute Nacht glücklich. Ich mache mir um nichts Sorgen. Ich habe vor keinem Menschen Angst. Denn meine Augen haben die Herrlichkeit des Kommens unseres Herrn gesehen."

So aus dem Zusammenhang genommen, klingen diese Sätze fast naiv. Aber sie sind eingerahmt von unerbittlichen Analysen der Macht des Bösen. Sie sind deshalb alles andere als luftige Vertröstungen oder bemühte Ermutigungen. Es sind radikal religiöse Aussagen. Sie speisen sich aus einem trotzigen Glauben an Gott und stellen sich der politischen Wirklichkeit entgegen. Diese bietet keinen Grund zur Hoffnung. Die Zuversicht, die man im Engagement für die Menschenwürde aller braucht, kann nur aus einem Glauben gegen diese Welt kommen.

Viel Grund zur Zuversicht haben wir heute nicht. Verzweifeln und Aufgeben ist uns aber nicht erlaubt. Wir müssen uns für das Gute, das uns am Herzen liegt und das in unsere Verantwortung gelegt ist, einsetzen, auch wenn es – wie gegenwärtig – vergeblich erscheint. Ein Hauch der überweltlichen Hoffnung, die Martin Luther King verkündigt, hat, würde uns dabei gut tun.

Kolumne