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Hallo, wie fühlen Sie sich heute?
Ich fühle mich wie durch den Fleischwolf gedreht nach warmen Nächten, in denen ich nur schlecht schlafen kann. Und ich habe Sorge, wie es in den nächsten Tagen wird. Hier in Frankfurt soll es noch heißer werden. Im Radio hörte ich eine Warnung, dass am Mittwoch Temperaturen bis 39 Grad in Deutschland drohen. Am Mittwoch ist Schulfest, der Schulhof ist gepflastert, Beginn ist 16 Uhr. Ich krame schonmal in meinen Erinnerungen, wie man kollabierenden Menschen am besten hilft.
Ich bin aber auch wütend. In Südfrankreich brennen Wälder, auch bei uns ist die Waldbrandgefahr sehr hoch. In der südspanischen Stadt El Granado wurden am Wochenende 46 Grad gemessen. Der Arzt und Wissenschaftsjournalist Eckart von Hirschhausen schrieb vor zwei Jahren in chrismon:
"Jedes analoge Fieberthermometer endet bei 42 Grad. Kein Zufall. Jemand, der sechs Grad über der normalen Körpertemperatur liegt, ist nicht doppelt so krank wie jemand mit drei Grad drüber. Er ist doppelt so tot. Es gibt einen Qualitätssprung – den über die Klinge. Woran liegt das?
Eiweiß stockt. Legen Sie ein Ei in Wasser mit über 40 Grad, es wird hart. Und auch, wenn das Wasser abkühlt, nicht mehr weich. Aus einem gekochten Ei wird nie mehr ein Küken. Es hat für immer – also irreversibel – die Chance auf Leben verloren. Woraus besteht ein Ei? Aus Wasser, Fetten und aus Proteinen. Woraus besteht ein Mensch und insbesondere unser menschliches Gehirn? Aus Wasser, Fett und Proteinen. Wir können uns aus unserer Biologie nicht freikaufen. Naturgesetze sind nicht verhandelbar."
Das heißt: So hohe Temperaturen, wie sie am Wochenende in Südwesteuropa gemessen wurden, kann kein Mensch auf Dauer überleben. Es ist schlicht und ergreifend so: Wir sterben, wenn wir uns nicht in klimatisierte Räume zurückziehen. Und vor uns stirbt das öffentliche Leben.
Es ist eine Katastrophe mit Ansage, auch daher kommt meine Wut, denn der Forschung ist seit Jahrzehnten klar, dass wir handeln müssen, dass wir wegkommen müssen von Kohle, Öl und Gas! Manchmal bin ich auch traurig. Oder verbittert. Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen ihre Emotionen verdrängen. Aber dass nun, Ende Juni 2025, angesichts des extremen Wetters, das in weiten Teilen Deutschlands herrscht, niemand etwas fühlt, glaube ich nicht. Und das ist gut so. Denn Klima-Gefühle sind eine Ressource, mit der man arbeiten kann.
Als ausgebildeter Mediator weiß ich, wie das geht. Emotionen weisen immer auf Bedürfnisse und Interessen von Menschen hin. Ist jemand wütend ("Ich hasse diese Scheiß Hitze!"), wie ich es heute bin, ist das ein Zeichen, dass die Autonomie eines Menschen eingeschränkt ist. Die Hitze schränkt mich ein. Abends zum geliebten Lauftreff? Das sollte ich lassen. Ich überlege auch schon, ob es klug ist, den Blutspendetermin morgen Mittag wahrzunehmen. Ich ärgere mich, dass ich nicht schlafen kann, wie ich es bräuchte… Das alles sind Dinge, die mich wütend machen.
Hinter unseren Gefühlen steht ein gemeinsames Interesse
Aus Gefühlen folgen Interessen. Wen es wütend macht, den Alltag nicht mehr wie gewohnt bestreiten zu können, signalisiert uns das ein Interesse an ganz konkreten Maßnahmen. Zum Beispiel, dass es klimatisierte Räume gibt, vor allem auch öffentliche, die jeder aufsuchen darf. Oder ein Interesse an Schulhöfen, die nicht gepflastert sind, weil die Steine die Hitze speichern. Oder an klimatisierten Krankenhäusern und Pflegeheimen...
Gefühle wie Wut oder Trauer sind nicht nur ein starker Hinweis darauf, dass die Politik sich nicht nur für eine Anpassung an die neuen Wetterextreme stark macht, sondern auch endlich und mit Nachdruck versucht, einen weiteren Anstieg der globalen Durchschnittstemperaturen einzugrenzen. Sprich: Unsere Wut kann der Schlüssel sein für ein gemeinsam geäußertes Interesse: Wir wollen Klimaschutz! Wir wollen keine Subventionen mehr, die dem Klima noch weiter schaden!
Ich weiß, all das klingt für viele immer noch hilflos. Wir haben gesehen, wie die hoffnungsfroh gestartete Klimaschutzbewegung immer mehr an Zulauf verloren hat. Wir sehen derzeit, wie sich eine Energieministerin dafür einsetzt, mehr Gas zu fördern und die Klimaziele aufzuweichen. Wir sehen, wie Lobbyisten, die davon leben, Öl und Gas zu verkaufen, wieder und wieder mobil machen gegen die Energiewende.
Und doch: Wenn wir unsere Klimagefühle ernst nehmen und sie nicht einfach verrauchen lassen bis zum nächsten Extremwetterereignis, dann ist das die vielleicht letzte Chance, die wir noch haben. Denn dann erkennen wir, welche Interesse wir haben, was uns wichtig ist. Und wenn wir dann noch mit anderen über diese Klimagefühle reden, kann das eine Kipppunkt in der Klimadebatte werden: Weil wir dann gemeinsam der Politik Druck machen können.