Nuklearenergie
Atomkraft? Ja, bitte?
Mehrere EU-Staaten wollen die Atomkraft ausbauen, um das Klima zu schützen. Was spricht für und was gegen die Idee, Energie aus der kontrollierten Kernspaltung zu gewinnen?
Tim Wegner
15.04.2024

Elf Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben sich auf eine "verstärkte Kooperation" im Bereich der Atomenergie geeinigt. Es handelt sich dabei um Frankreich, die Niederlande, Polen, Finnland, Bulgarien, Kroatien, Tschechien, Ungarn, Rumänien, Slowenien und die Slowakei. Sie wollen die Atomkraft ausbauen und nutzen.

Das liest sich beeindruckend. Manchen Menschen macht es Angst, sie denken: Warum sind wir, warum ist Deutschland nicht dabei? Verpassen wir da was? Zur Erinnerung: Fast auf den Tag genau vor einem Jahr ist Deutschland aus der Atomenergie ausgestiegen.

Was für Atomkraft spricht

Ich habe mir vorgenommen, mir die Vor- und Nachteile der Atomkraft anzusehen. Was spricht für diese Energiequelle? Atomkraft ist klimaneutral. Im laufenden Betrieb stoßen Kernkraftwerke keine Treibhausgase aus. Das ist - in Zeiten, in denen Monat um Monat neue, alarmierende Temperaturrekorde verzeichnet werden - zweifellos ein Vorteil. 

Es bleibt aber auch der einzige Vorteil, der mir einfällt. Ihm gegenüber steht eine Reihe an Nachteilen. Die Klimakrise drängt. Die Menschheit hat keine Zeit mehr. Der Bau neuer Atomkraftwerke dauert aber Jahrzehnte. Der Anteil der Kernenergie an der weltweiten Stromerzeugung liegt heute bei etwa zehn Prozent. Es ist illusorisch, diesen Wert schnell genug auf ein Niveau zu bringen, das dem Klimaschutz dient. Erneuerbare sind dagegen schon auf den Märkten präsent und helfen sehr schnell, Kohle und Gas zu ersetzen. Auch kleine Atomanlagen sind alles andere als serienreif und versprechen keine schnelle Hilfe; ein Hersteller ging jüngst erst pleite.

Ein weiterer Nachteil: Atomkraft ist teuer. Regelmäßig kosten neue Anlagen weit mehr als veranschlagt. Ein Beispiel: Der neue finnische Reaktorblock Olkiluoto 3 soll elf Milliarden Euro gekostet haben – und damit dreimal mehr als geplant. Ähnliche Zahlen werden aus Frankreich berichtet.  

Ein gern verdrängter Nachteil: Bei der Atomkraft bleibt ein Restrisiko. Ein Unfall kann ganze Landstriche unbewohnbar machen. Auch atomarer Abfall ist für tausende Jahre eine Gefahr, weltweit ist noch kein funktionierendes Endlager für hochradioaktive Abfälle in Betrieb. Allein Finnland hat es bisher - fast - geschafft. 

Atomkraft und Erneuerbare passen nicht zusammen

Noch ein Problem: Atomkraft und Erneuerbare sind nicht kompatibel. Strom aus Wind und Sonne fällt nicht gleichmäßig an. Bei Flauten oder zu Zeiten mit Spitzenlasten müssen Reservekraftwerke oder Speicher einspringen - und das sehr schnell. So zügig kann aber kein Reaktor hochfahren. 

Und schließlich: Auch die Atomkraft ist auf Rohstoffe angewiesen, vor allem auf Uran. Das führt zu Abhängigkeiten. Zumal die Vorräte in 70 Jahren erschöpft sein sollen – oder auch schneller, gingen mehr Kernkraftwerke ans Netz. Exporteure von Uran sind unter anderem Kanada, Russland, Kasachstan, Niger oder Usbekistan. Jeder möge beurteilen, ob das alles verlässliche Partner sind. 

Ich finde: Es gibt keinen Grund, Menschen die Frage übelzunehmen, ob Atomkraft nicht doch eine Option bleiben sollte. Aber ich sehe enorme Nachteile dieser Strategie (und ich habe nicht einmal alle aufgezählt.) 

Übrigens: Wenn 11 von 27 EU-Staaten auf Atomkraft setzen, ist das immer noch eine Minderheit; der EU gehören 27 Länder an. Und ich bin sicher, die wenigsten dieser 11 Staaten werden in Zukunft wirklich neue Atomkraftwerke bauen - weil Wind und Sonne billiger sind.

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Kolumne

Nils Husman

"Wir müssen die Schöpfung bewahren!“ Da sind wir uns alle einig. Doch was heißt das konkret? Nils Husmann findet, wer die Schöpfung bewahren will, sollte wissen, was eine Kilowattstunde ist oder wie wir Strom aus Sonne und Wind speichern können – um nur zwei Beispiele zu nennen. Darüber schreibt er - und über Menschen und Ideen, die Hoffnung machen. Auch, aber nicht nur aus Kirchenkreisen.