Moderne Kirchenfenster
Leuchten für die Ewigkeit
Farbig und warm wirkt der einst strenge Greifswalder Dom, seit Ólafur Elíasson dort spektakuläre Kirchenfenster gestaltet hat. Auch in kleinen Dorfkirchen gibt es jetzt großartige Glaskunst zu sehen
Die Fenster im Ostgiebel des Greifswalder Doms zeigen in 65 verschiedenen Farbtönen, verteilt auf 3400 Glasscheiben, die Farbpalette eines Sonnenaufgangs.
Christian Roedel/epd-bild
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
Aktualisiert am 05.09.2024
8Min

Es ist ein Geschenk zum 250. Geburtstag für Caspar David Friedrich, ein leuchtender Höhepunkt im Jubiläumsjahr. Am Sonntag nach Ostern wurden im Greifswalder Dom, seiner Taufkirche, neugestaltete ­Kirchenfenster der Öffentlichkeit vorgestellt. Der dänisch-­isländische Künstler Ólafur Elíasson hat mit ihnen Caspar David Friedrich seine Reverenz erwiesen. Intensiv hat er sich mit Friedrichs Werk auseinandergesetzt. Aufmerksam hatte er den Greifswalder Dom erkundet, dessen Chor viel der Romantik verdankt. Ganz in Friedrichs Sinne hatte dessen Zeitgenosse, der Baumeister Gottlieb Giese, ab 1824 dafür gesorgt, dass die gotische Grundstruktur freigelegt wurde und nichts die lichte Klarheit störte. Im sandfarbenen Binnenchor steht nur ein schlichter Altar und hinter ihm ein großes, goldenes Kreuz, was an ­einige von Friedrichs Gemälden erinnert. Darüber erhebt sich ein hohes, getünchtes Gewölbe. Ursprünglich hatte man farbige Fenster geplant, doch zur Ausführung war es nie gekommen. Nun, mit 200-jähriger Verspätung, ­konnte Elíasson, weltbekannt durch seine überwältigenden ­Multimedia-Installationen, diese Lücke schließen.

3400 Scheiben mit 65 unterschiedlichen Farbtönen

Dafür hat Elíasson sich an einem von Friedrichs ­Gemälden orientiert: "Huttens Grab" (1823/24). Es zeigt eine Kirchenruine, in deren Apsis ein einsamer Wanderer sich vor dem Grab des humanistischen Freiheitskämpfers Ulrich von Hutten verneigt. Durch die offenen Fenster­flächen – Friedrich hat wegen seiner Liebe für Ruinen leider nie intakte Kirchenfenster gemalt – schaut man in einen glühenden Sonnenuntergang. Sakralraum und Himmel bilden so eine ästhetische und atmosphärische Einheit.

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Den Farbverlauf des Gemäldes – unten dunkles Rot, ­darüber leuchtendes Gelb, nach oben hin ein helles, intensiver werdendes Blau – hat Elíasson aufgenommen, dabei aber den Sonnenuntergang in einen Sonnenaufgang verwandelt. Denn die Kirche ist nach Osten ausgerichtet. Was hier dämmert, ist der Morgen. Zum Staunen ist, wie sich die ungefähr 3400 Scheiben mit ihren 65 unterschiedlichen Farbtönen zu einem Ganzen verbinden. Dazu trägt auch die Struktur der Bleiruten bei: Ein geometrisches ­Muster von Rauten und Quadraten im unteren Bereich entwickelt sich zu Kreisen im oberen Bereich. "Der ­Verlauf", erklärt Elíasson, "spielt auf einen Prozess potenziell endloser Veränderung an, der sich über die ­Grenzen der ­Fenster hinaus fortsetzen könnte." ­Konnte man den Greifswalder Dom vorher auch als kühl und streng ­erleben, so wirkt er nun farbig, warm, lebendig.

Dabei fehlt noch ein wichtiges Element: der Heliostat. Denn anders als Friedrich, der so etwas in seinen Ge­mälden natürlich nicht brauchte, will Elíasson eine Lichtverstärkung einrichten, weil die Altarfenster nach den Morgenstunden zu wenig Sonnenstrahlen empfangen. Seine Werkstatt, immerhin ein mittelständisches Unternehmen mit ungefähr hundert Mitarbeitern, baut einen beweglichen Spiegel, der auf dem Dach des gegenüberliegenden Alfred-Krupp-Wissenschaftskollegs Licht einfangen und umlenken soll. "Der Tag", so Elíasson, "wird sozusagen gespiegelt." Im Sommer soll der Heliostat angebracht und programmiert sein, dann wird sich die Wirkung der Fens­ter noch einmal verstärken. Dabei hat auch die halbfertige Installation ihren Reiz. Denn jetzt werden die dunklen Rottöne unten von den milchigen Fenstern des Binnenchors zart gebrochen. Doch man darf gespannt sein, wie der endgültige Eindruck sein wird und wie er sich je nach Lichtverhältnis verändert.

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Bemerkenswert ist, wie gut sich die neuen Fenster – ausgeführt von der Werkstatt Hein Derix – in den alten Dom einfügen und ihn zugleich verändern. Ein Lichtraum ist entstanden, den die Kirchengemeinde als österlich empfinden und symbolisch deuten kann: der Auferstandene als das Licht der Welt. Nicht christliche Besucher können sich an dem von Elíasson gewählten Titel der Installation ausrichten: "Fenster für bewegtes Licht". Die christliche und die künstlerische Deutung stehen nicht im Gegensatz oder in Konkurrenz zueinander. Denn Elíassons Konzept ist darin gut romantisch, dass es seinen spirituellen Gehalt nicht in die exklusiv christlichen Bildmotive der kirchlichen Tradition fasst, sondern in ein Licht, das ­allen – wie immer sie weltanschaulich eingestellt sein ­mögen – ­einen "Sinn und Geschmack für das Unendliche" (Friedrich Schleiermacher) schenkt, wenn sie dafür offen und ­bereit sind. Der Glaube, um den es hier geht, lebt aus einer ­außergewöhnlichen Atmosphäre, die gemeinsam durch ein ­modernes Kunstwerk und einen mittelalterlichen ­Kirchraum geschaffen wird.

Dass ein solches Projekt gelingt, ist alles andere als selbstverständlich. In den vergangenen Jahren haben sich mehrere bekannte Künstler an Kirchenfenstern versucht. Angefangen hatte dies eigentlich schon in den 1960er und 70er Jahren mit Marc Chagall. Dann erregte Gerhard Richter 2007 mit seinem Fenster für den Kölner Dom erhebliche Aufmerksamkeit. Im selben Jahr entwarf Neo Rauch Fenster im Naumburger Dom. Es folgte 2009 Sigmar Polke mit einer ganzen Serie von Glaskunstwerken im Zürcher Großmüns­ter oder Leiko Ikemura in der Wunderblutkirche von Bad Wilsnack im vergangenen Jahr. Jedes Mal ist das ­Interesse groß, versprechen solche Auftragsarbeiten doch einen ­intensiven, überraschenden Dialog zwischen Kirche und Kunst, der den Sakralraum und die Gottesdienste, die in ihm gefeiert werden, in einem neuen Licht erstrahlen lässt.

Doch solch ein Engagement prominenter Maler kann Nachteile mit sich bringen. Manchmal nämlich gewinnt man den Eindruck, dass diese sich nicht wirklich auf den Raum, seine Sinngeschichte, rituelle Nutzung und Gemeinde oder die Eigentümlichkeiten der Glaskunst ­einlassen, sondern sich eher dafür interessieren, dem ­eigenen Markenzeichen einen sakralen Rahmen zu verschaffen. Besonders deutlich wird dies bei Künstlern, die ihren Zenit hinter sich haben. Sie scheinen zu fürchten, dass ihre Werke nicht mehr lange hoch gehandelt und prominent in Museen präsentiert werden. Da verheißt ein eigenes Kirchenfenster ein Stück Ewigkeit. Man ­möchte es ihnen gönnen, doch was nutzt es dem Kirchraum, wenn sie sich mit ihm gar nicht richtig auseinandergesetzt ­haben? Das ist eine Frage, auf die man kommen kann, wenn man das neue Fenster von Markus Lüpertz in der Hannoverschen Marktkirche betrachtet.

Wie es anders geht, zeigt ein zweites Projekt aus ­Meck­lenburg-Vorpommern: die "Lichtbogen"-Fenster von ­Günther Uecker für den Schweriner Dom. Intensiv ­hatte der 94-jährige Künstler, der in der Nähe der Landeshauptstadt aufgewachsen ist, den gotischen Bau ­erkundet, seine Struktur und Farbigkeit betrachtet. Drei Jahre brauchte er, bis er nach seinem Besuch im Jahr 2017 der ­Gemeinde endlich seine Entwürfe zeigen konnte. Es sind auf große Tücher aufgetragene blaue Farbflächen, die neben ­weißen Rissen und Löchern helle Bogen zeigen, die je nach ­Betrachtung die Blicke nach oben ziehen oder das Licht ­he­rabregnen lassen. Vier Fenster – ebenfalls ausgeführt von Hein Derix – vor der Vierung und dem Altar, zwei links und zwei rechts, sollten es werden. Zwei auf der nordwestlichen Seite wurden im vergangenen Jahr "in den Dienst genommen", wie man in der Gemeinde sagt. Sie geben schon einen Eindruck des Ganzen.

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Farbe, Form, Licht
Die neuen, künstlerisch gestalteten Kirchenfenster haben mich auf den ersten Blick begeistert. Erst durch ihren Artikel habe ich von dem Projekt „Lichtungen“ der Evangelischen Landeskirche Anhalt erfahren und habe dann im Internet viele weitere Kirchenfenster angesehen, die in diesem Projekt entstanden sind. Wie schön, dass es dieses kreative Projekt gibt. Diese Fenster passen wunderbar in die Kirchenräume und sind wirklich Lichtblicke im direkten und im übertragenen Sinn.

Viele Grüße,

Albrecht Ströle