Literatur
"Ich habe geträumt, dass ich erschossen werde"
Wie sich die Kriegstraumata seiner Eltern auf ihn auswirkten. Und was er verstand, als er darüber schrieb: der Schriftsteller Ralf Rothmann
Frank Rothmann sitzt an einem Tisch
Ralf Rothmann
Dirk von Nayhauß
Dirk von Nayhauß
16.05.2024
3Min

In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

Ralf Rothmann: Wenn ich arbeite, wenn mir etwas gelingt, das sind die schönsten und lebendigsten Momente. Dann bin ich ­meis­tens selbst erstaunt und denke: Mein Gott, wie ist mir jetzt das passiert, woher kommt das? Man kann sich eine Geschichte oder einen Charakter ausdenken, aber diese ­Stellen, die alles aufleuchten lassen, die kommen von irgendwoher – und dann bleibt einem nichts als Dankbarkeit.

Was haben Sie von Ihren Eltern geerbt?

Jahrelang habe ich geträumt, dass ich erschossen werde. Das erzählte ich einem befreundeten Arzt, und der meinte: Das ist wahrscheinlich die Angst deines Vaters im Krieg, man erbt diese Traumata. Mir wurde erst relativ spät klar: Die Traumata meiner Eltern könnten Teil meiner Macken sein. Meine Mutter wurde als 16-Jährige vergewaltigt, ­später hat sie ihre Kinder bis aufs Blut geprügelt. Seltsamer­weise habe ich sie jedoch nie gehasst, vielleicht bin ich auch kein Mensch, der wirklich hassen kann, aber ich hatte natürlich Schwierigkeiten, sie zu lieben. Ihr ­Wesen habe ich erst verstanden, als ich "Die Nacht unterm Schnee" schrieb, in dem Roman wird eine Frau von russischen Soldaten vergewaltigt, ein Leid, das sie oft unempfindlich machte für das Leid, das sie anderen zufügte.

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Sehr geehrtes Leserpostteam,
in dem Interview mit Herrn Rothmann habe ich mich absolut wiedergefunden. Auch meine Eltern waren vom Krieg traumatisiert. Mein Vater von der Ostfront und meine Mutter von einer total zerbombten Stadt.
Mein Vater hatte sich aus dem emotionalen Leben der Familie verabschiedet. Meine Mutter hat bei jeder Gelegenheit auf mich losgeprügelt, oft mit dem Kochlöffel. Trotzdem konnte ich sie nicht hassen und ich habe mich nie unglücklich gefühlt. Auch heute kann ich nicht wirklich hassen und mich nur schwer ärgern.

Mit freundlichem Gruß
Franz Josef Kropp

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Auch ich habe die Kriegstraumata meiner Eltern teilweise geerbt. Vor vielen Jahren habe ich mich bewusst damit auseinandergesetzt und plötzlich verstanden, warum ich bestimmte Ängste und Schwierigkeiten im Leben habe. Dann habe ich mich darangemacht, sie aktiv aufzulösen und bin jetzt befreit. Man sagt, dass Kriegstraumata 4 bis 5 Generationen brauchen, bis sie sich ausgeschlichen haben. Wenn man diese Traumata nicht an die nächste Generation weitergeben möchte, sollte man alles dafür tun, sie selbst aktiv aufzulösen. Das funktioniert aber nur mit Geduld, Mut und Stärke. Und man sollte die Verantwortung für die Gewalttätigkeiten der Eltern auch bei ihnen lassen, nichts schönreden oder entschuldigen. Aber man darf ihnen verzeihen, denn sie konnten nicht anders. Die Kriegszeiten damals waren grausam.

Viele Grüße!

Steffie Haddenga

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Sehr geehrte Damen und Herren,

in Chrismon 05.2024, S. 22, antwortet Ralf Rothmann auf die Frage "Der zweite Weltkrieg und die Gräuel: Immer gegenwärtig?" von Dirk von Nayhauß, sein Vater habe gesagt:"Na klar, jeder hat geschossen.

Das mag womöglich auf SS-Mitglieder, wie seinen Vater, zutreffen. Doch was ist mit anderen der Wehrmacht, die nicht geschossen haben und vor allem denjenigen, die, ohne die Möglichkeit sich zu wehren, erschossen wurden?

"Jeder hat geschossen" sollte man nicht so unkommentiert stehen lassen. Auf Denkmäler zu den Toten des Zweiten Weltkriegs fehlen auch häufig die Opfer der Nazis.

Mit freundlichen Grüßen

Hubertus Killing