chrismon: Sie sind Enkel des NS-Rassenforschers und Humangenetikers Otmar Freiherr von Verschuer. Er war der Mentor des KZ-Arztes Josef Mengele und arbeitete mit ihm zusammen, als Mengele Versuche an KZ-Häftlingen in Auschwitz durchführte. Was für ein Verhältnis hatten Sie zu Ihrem Großvater?
Michael Wörle: Ein gutes, als ich als Kind mit ihm Zeit verbrachte. Ich habe noch Fotos von uns, auf denen bin ich ein kleiner Junge. Ich war zehn Jahre alt, als mein Großvater 1969 starb, deshalb kann ich mich kaum noch an Details erinnern. Nur, dass wir uns eben gut verstanden. Über die Nazizeit sprachen wir nie. Dafür war ich viel zu jung.
Mengele infizierte Kinder, vor allem Zwillinge, mit tödlichen Krankheiten. Wie sah die Zusammenarbeit zwischen Mengele und Ihrem Großvater aus?
Mein Großvater war Direktor des damaligen Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Berlin. Aus den Kaiser-Wilhelm-Instituten wurden nach dem Krieg die Max-Planck-Institute. Mein Großvater war ein Pionier der Zwillingsforschung, schon bevor er Professor wurde. Mengele war sein Schüler, promovierte 1939 bei ihm und wurde sein Lieblingsassistent, was durch die historische Forschung belegt ist. 1943 wurde Mengele Lagerarzt im KZ Auschwitz. Mein Großvater beauftragte Mengele mit Versuchen, etwa für ein Anti-Fleckfieber-Serum - und sorgte dafür, dass die Deutsche Forschungsgesellschaft die Versuche im KZ finanzierte. Experimente, die vorher im Kaiser-Wilhelm-Institut an Kaninchen gemacht wurden, waren im KZ nun auch am Menschen möglich. Mengele infizierte eineiige Zwillinge mit den lebensbedrohlichen Erregern. So konnte er den Krankheitsverlauf und die Widerstandskraft der Kinder unter möglichst ähnlichen Bedingungen erforschen. Die meisten Zwillinge starben bei den Experimenten.
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