Heiko M.,57:
Ich bin geschichtslos aufgewachsen. Meine Eltern sagten mir nichts über die 32 Jahre ihres Lebens vor meiner Geburt 1958. Wenn ich meine Mutter fragte, warum sie keine Verwandten hat, brach sie heulend zusammen. Das dürfe ich nie wieder fragen! Wenn ich sie nach dem Krieg fragte, weinte sie, sagte noch "Krieg ist nicht auszuhalten, ganz schrecklich", dann verstummte sie. Mein Vater antwortete gar nicht, er schaute schweigend aus dem Fenster. Ich fühlte mich schuldig. Es war mir alles unheimlich.
Materiell sorgten meine Eltern gut für mich – meine Mutter stellte in Gaststätten Automaten auf, vermietete Autos, makelte Häuser, mein Vater war Sportlehrer. Emotional aber war Wüste. Meine Eltern dachten, wenn das Dach heil ist, dann ist es auch innen kuschelig. Das war der Irrtum dieser Generation.
Der Vater sollte jemanden erschießen
Nach dem Tod meiner Mutter machte ich mich auf die Suche bei Standesämtern und erfuhr: Meine Mutter war ein uneheliches Kind, wuchs die ersten drei Jahre in einem Säuglingsheim auf, kam dann zu Adoptiveltern, die jedoch starben, als sie 14 war. Sie hatte wohl immer Panik, dass ihre Herkunft rauskommt. Ihr Arbeitsdienst-Pflichtjahr machte sie mit 17 auf einem Hofgut – das war nur zwei Kilometer entfernt von Bergen-Belsen. Dort waren damals russische Kriegsgefangene unter freiem Himmel mit Stacheldraht eingezäunt, Tausende verhungerten. Sie muss das gesehen haben. Da konnte ich nachfühlen, was immer zwischen uns gestanden hat. Ich habe meiner Mutter verziehen.
Bei meinem Vater ging das nicht. Er wollte keine Nähe. Ich bin mit ihm sogar mal in seine alte Heimat gefahren, nach Ostpreußen, zum Haus seiner Familie. Da wohnten jetzt verarmte, warmherzige Russen. Sie hatten noch die Tapeten von damals, den Herd. Mir liefen die Tränen runter – stellvertretend für meinen Vater. Er drehte sich rum, "so, jetzt hab ich das gesehen", ging raus und schnauzte mich an, warum ich weine.
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