Ausgerechnet zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen urteilte das Schweizer Bundesgericht: Wie lange eine Vergewaltigung dauert, kann bei der Urteilszumessung eine Rolle spielen. Wenn eine Frau also "nur" elf Minuten lang vergewaltigt wird, wäre das nicht so schlimm, als würde sie 30 Minuten oder eine Stunde lang missbraucht. Es gibt also einen "Vergewaltigungs-Tarif" für ein lebenslanges Trauma. Ernsthaft?
Marie Kröger
Muss ich jetzt wirklich Studien auspacken, die belegen, dass auch eine gescheiterte Vergewaltigung einen lebenslangen psychischen Schaden bei einer Frau hinterlässt? Am besten wäre es doch, wenn es gar nicht erst zu einer Vergewaltigung kommt!
Ich habe in den vergangenen Jahren im Berliner Brennpunktviertel Neukölln gewohnt, in Kapstadt und vor kurzem in eine der verschrienen Straßen des Frankfurter Bahnhofsviertels gezogen. Ich habe kein Problem, einem Passanten mal eine Ansage zu machen. Ich weiß auch, wann es besser ist, nichts zu sagen.
Was mir wirklich Angst macht, sind die Spaziergänge durch einsame Parkanlangen am hellichten Tag. Sogar wenn ich Joggen gehe, weiß ich als Frau: Jederzeit könnte man mich in ein Gebüsch ziehen. Mein Rückweg vom Fitnessstudio führt über eine 200 Meter lange stillgelegte Straße, die zwar beleuchtet ist, aber auf der ich noch nie eine Person getroffen habe. Ich nehme meinen Schlüssel in die Hand, meine Kopfhörer aus den Ohren, meine Schultern ziehe ich hoch.
Denn als Frau weiß ich: Es kann schnell gehen.
Und dann laufen mir die Schlagzeilen der vergangenen Jahre durch den Kopf. Ich denke wieder an den Mord von Melanie R. aus Berlin Pankow im Jahr 2018. Ihr "Fehler" war es, dass sie sich in der Mittagspause kurz auf einer belebten Grünfläche erholen wollte. Ihr Mörder verlangte erst ihr Handy, dann ihren Körper. Ein wenig mehr "Glück" – aber trotzdem ein lebenslanges Trauma – hatte Anne K. aus Hamburg. Auf ihrem Weg durch ein Wohngebiet nach Hause, streifte sie auf dem Gehweg mitten am Tag einen Kleintransporter, die Tür stand offen. Ein Mann zog sie hinein, verschleppte und vergewaltigte sie für eine Woche.
Es sind Geschichten wie diese, die in meinem Kopf miet-frei weiterleben. Sie erinnern mich, was passieren kann und helfen mir, Gefahren besser einzuschätzen. Zum Beispiel gehe ich nachts nie auf dem Gehweg, der meist im Dunkeln liegt.
Wenn ein Motorradfahrer auf einer kurvigen Landstraße sein Leben verliert, stehen bald ein Kreuz und Rote Kerzen an der Unfallstelle. Überfährt ein Auto einen Fahrradfahrer, stellen Aktivisten ein weißes Fahrrad hin, um zu mahnen und zu erinnern. Diese Idee kommt aus den USA und heißt "Geisterrad".
Doch wenn eine Frau stirbt oder angegriffen wird, nur weil sie als Frau am falschen Ort war, steht dort fast nie ein Mahnmal. Vielleicht, weil wir sonst an der Zahl der Vorfälle erkennen müssten, dass sich wirklich etwas ändern muss? Weil es zu viele sind? Und weil Urteile, wie das in der Schweiz dann nicht mehr möglich wären?
Mahnmale?
Überall Mahnmale gegen den Krieg. Haben sie einen einzigen neuen Krieg verhindert?
Ich plädiere für eine Umbenennung: W a h n m a l e !! Kriege sind doch Wahn, gelle? Und häusliche Gewalt? Wahnsinn!!
Und kommt ein Gott und hilft? Nochmal ein Wahn des Glaubens. Glaubenswahn.
- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können