Ist Jesus für uns gestorben?
Jesus war kein Opfer für eine Gottheit, sondern ein Zeichen der Hingabe Gottes für die Menschen
06.08.2013

Sekunden bevor der Schuss fällt, springt er vor den Popstar – und wird getroffen. Zwar überlebt Frank alias Kevin Kostner im Hollywoodfilm „Bodyguard“ das Attentat auf Rachel alias Whitney Houston, aber es hätte leicht schief gehen können. Dass jemand sein eigenes Leben und seine Gesundheit für den Schutz eines anderen einsetzt, nötigt uns Respekt ab, auch wenn es ausdrücklich zu seinem Berufsrisiko gehört.

Was kann es dem gegenüber bedeuten, dass Jesus, und zwar bereits vor 2000 Jahren, für die Menschen von heute gestorben sei? Diese Auffassung gehört jedenfalls zu den zentralen christlichen Glaubenssätzen. Wörtlich steht im Nizänischen Glaubensbekenntnis: „Jesus Christus wurde für uns gekreuzigt unter Pontius Pilatus, hat gelitten und ist begraben worden.“ Die Vorstellung erregt nicht erst in moderner Zeit Anstoß. Ist nicht jeder für sich selbst verantwortlich? Wieso sollen die Menschen heute Nutznießer eines solchen Todes vor langer Zeit sein? Wie passt das historische Ereignis von damals mit unserer Situation heute zusammen?

Die ersten Christen mussten nach dem Tod Jesu damit fertig werden, dass vieles anders kam, als sie erwartet hatten. Statt Zeugen der Königsherrschaft des wiedergekommenen Messias über Israel zu werden, erlitten sie Verfolgung und Martyrium. Trotzdem ging ihr Glaube an Jesus nicht unter, sondern gewann erstaunlich schnell viele Anhänger. Denn die ersten Christen integrierten den Tod ihres Stifters in ihren Glauben und ihre Lehre: Er wurde als ein Opfer gedeutet, das sich von der Opferpraxis der anderen Religionen deutlich unterschied. Jesus war kein Opfer für eine Gottheit, sondern gerade Zeichen der Hingabe Gottes für die Menschen.

Bei dieser Interpretation ging es nie nur um den Tod Jesu, sondern immer auch um seine Auferstehung. Der Glaube daran, dass Jesus den Tod überwunden hat, wurde in der frühchristlichen Tradition immer mitbedacht. Deshalb ist von Tod und Auferstehung Jesu im Neuen Testament gleichberechtigt die Rede. Sie stehen nicht unverbunden nebeneinander, sondern haben im Kern miteinander zu tun. Der Tod wird nicht durch die Auferstehung aufgehoben, sondern beides bleibt gleichermaßen entscheidend. So heißt es zum Beispiel im Römerbrief des Paulus, dass Jesus „um unserer Sünden willen dahingegeben und um unsrer Rechtfertigung willen auferweckt ist“ (Kapitel 4,25).

Die ausschließliche Betonung des Leidens und Sterbens war und ist ein Irrweg

In späteren Epochen der Kirchengeschichte wurde diese untrennbare Verknüpfung von Tod und Auferstehung aufgelöst und dem Tod Jesu eine übergroße Bedeutung für die Erlösung der Menschen zugemessen. Schon im frühen Mittelalter behauptete Anselm von Canterbury, dass Gott seinen Sohn opfern musste, damit der durch die Sünden der Menschen beleidigten Majestät Gottes Genugtuung widerfährt. Auch in der Reformationszeit wurde das Kreuz Jesu als zentrales Heilsmoment deutlich betont. Davon zeugen zahlreiche protestantische Passionschoräle, wie jener von Paul Gerhardt (1607–1676): Ich bin’s, ich sollte büßen / an Händen und an Füßen / gebunden in der Höll; / die Geißeln und die Banden / und was du ausgestanden, / das hat verdienet meine Seel (Evangelisches Gesangbuch 84,4).

Diese besondere Betonung des Leidens und des Todes verlieh dem Christentum lange Zeit ein düsteres, negatives Image und richtete in den Seelen vieler Menschen Schaden an. Diese ausschließliche Betonung des Leidens und Sterbens war und ist ein Irrweg, wenn man die enge Verknüpfung von Kreuz und Auferstehung, von Tod und Leben in zentralen Passagen des Neuen Testaments ernst nimmt.

Gleichwohl macht die Vorstellung, dass Jesus für uns starb, eine wesentliche Eigenart des Christentums aus – auch und gerade gegenüber anderen Religionen. Denn sie hält fest, dass die Menschen Gott nicht gleichgültig sind, sondern dass Gott ihnen ganz nah war und seither sein will, auch und gerade im Leiden.

Dieser Glaube hat Konsequenzen. Er macht stark gegen Versuchungen der Art: „Setze dich durch mit allen Mitteln und aller Macht! Setze auf das Schöne, das Starke und auf den Sieg!“ Die starke, helle Seite des Lebens ist eben nur die eine. Wer ehrlich ist, kennt auch die andere: Scheitern, Aussichtslosigkeit und Tod.

Es ist sperrig, aber faszinierend, dass die Religion Jesu Christi diese Seite des Lebens nicht leugnet, sondern dass sie gerade Wege eröffnet, das Dunkel auszuhalten und in Licht zu verwandeln. Das ist der Kern der Aussage: „. . . für uns gestorben.“

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Mal abgesehen davon, dass es absolut. k e i n e n. historischen Beleg über die sogenannte Leidensgeschichte eines Mannes aus Nazareth gibt, will ich mal ganz bewusst betonen: ich will nicht von irgend einem Prediger aus Palästina "gerettet" werden.
Außerdem - was unterscheidet diese Geschichte, in deren Namen nicht nur hunderttausende Frauen und Männer verbrannt wurde , von den wahnsinnigen Q-Anon-fakes oder anderen alternativen sogenannten Wahrheiten. Nichts, all diese "Wahrheiten' dienen der physischen und geistigen Knechtung der Menschheit
Mit Besten Grüßen
Rüdiger aus Frankfzrt