Artensterben
Und weg bist du
Wenn einzelne Tierarten aussterben, hat das Folgen. Wie die Welt wohl wäre – ohne Eisbären, Bienen, Feldhamster oder Seeotter?
Der Weltbiodiversitätsrat IPBES schätzt, dass fast jede achte Tier- und Pflanzenart bedroht ist
Der Weltbiodiversitätsrat IPBES schätzt, dass fast jede achte Tier- und Pflanzenart bedroht ist
Christina Gransow
Silke Schmidt-ThröPrivat
Christina GransowPrivat
24.03.2022
6Min

Der Eisbär

Wo lebt er? Arktisregionen von Kanada, USA, Norwegen, Grönland, Russland
"Rote Liste"- Status:
Gefährdet
Wieso? Klimawandel, Umwelt­zerstörung durch Siedlungen und Bergbau, Umwelt­gifte

Den Eisbären schmilzt das lebenswichtige Packeis unter den Pfoten weg. Auf dem Eis wandern sie und jagen nach ­Rob­ben. Schätzungen zufolge gibt es noch 20 000 bis 25 000 Eisbären. Bis zum Jahr 2100 könnten sie durch die globale Erwärmung fast vollständig ausgestorben sein – bis auf den äußersten Norden ihres Verbreitungsgebiets. In der kanadischen ­Hudson Bay haben Wissenschaftler beobachtet, dass Eisbären weniger Ringel­robben jagen. Aber mehr Robben gibt es dadurch nicht. Vermutlich, weil sie ebenfalls vom schmelzenden Eis betroffen sind. Der kanadische Eisbärforscher Andrew Derocher geht davon aus, dass sich durch den Klimawandel verändert, wer wen frisst. So gibt es Hinweise, dass Schwertwale in den zunehmend eisfreien Ge­wässern den Eisbären als Top-Räuber der Robben ablösen. Mit dem Eisbären verschwindet ein Symboltier, ein Sympathieträger, aber tatsächlich ist das ganze Ökosystem betroffen: Schmilzt das Eis, sterben darin und darunter lebende Algen. Dann finden kleine Krebse keine Nahrung, Fische keine Krebse mehr, Robben keine Fische. Und Eisbären (oder Schwertwale) keine Robben.

Wildbienen

Wo leben sie? Nahezu überall, wo etwas wächst
"Rote Liste"- Status: Von über 550 Arten in Deutschland sind 39 ­ausgestorben, 31 Arten vom ­Aussterben ­bedroht und 197 gefährdet
Wieso?
Intensive ­Landwirtschaft, Klimawandel, ­Flächenverlust

Die meisten Nutz- und Wildpflanzen in Deutschland sind auf die Bestäubung von Insekten angewiesen. Den Hauptjob erledigen Bienen, von Imkern gehaltene Honig­bienen und Wildbienen, zu denen auch die Hummeln gehören. "Apfelblüten werden besser durch Hummeln mit kurzem Rüssel und großen Körpern bestäubt als durch kleine Bienen mit langem Rüssel", sagt Alexandra-Maria Klein, Biologin an der Uni Freiburg. Für die Landwirtschaft wäre es nicht entscheidend, wenn eine der etwa 40 Hummelarten in Deutschland ausstürbe. Landwirte können Hummeln oder andere Bienenarten für die Bestäubung anmieten. "Für die Natur sieht das anders aus", sagt Klein. Jeder Wegfall könne sich auf Ökosysteme aus­wirken, und mit den Wildbienen sterben auch die Vögel. Und je ­weniger Wildbienen es insgesamt gibt, ­des­to schwerer wiegt das Verschwinden einer Art. Auf vielen Feldern fliegen heute kaum noch Wildbienen – sind doch vielerorts typische ­Lebensräume wie alte Hecken oder Totholz verschwunden. Langfristig helfen dann auch keine Miethummeln mehr.

Afrikanischer Waldelefant

Wo lebt er? Zentralafrika, vereinzelt in Westafrika
"Rote Liste"- Status: Vom Aussterben bedroht
Wieso? Wilderei, Abholzung, Verlust des Lebensraums

Der Afrikanische Waldelefant lebt versteckt im Regenwald, man hat ihn lange unterschätzt. Er ist kleiner als der bekannte Afrikanische Savannenelefant, ­seine Stoßzähne sind härter und noch begehrter. Man schätzt, dass es in den zentral- und westafrikanischen Regenwäldern höchstens noch 100 000 Waldelefanten gibt – weniger als ein Zehntel der früheren Bestandsgröße. Mit dem Wald-
e­lefanten geht ein wichtiger Ingenieur des Ökosystems verloren. Er düngt den Urwald und verteilt dabei Samen von etwa hundert Arten über weite Strecken, ein "Samentaxi". Damit sorgt er für Pflanzenvielfalt.

Außerdem frisst oder zertrampelt der Waldelefant kleinere Bäume und lichtet den Wald. Das klingt schlecht, ist aber gut: Die übrigen Bäume haben so Raum, um besonders groß zu werden. Viel Biomasse heißt: Der Wald kann viel CO₂ aufnehmen. Ohne Waldelefanten würde sich der Wald so verändern, dass dieser deutlich ­weniger Kohlenstoff speichern kann – so ist es etwa im vergleichbaren süd­amerikanischen Regenwald im Amazonasbecken, wo es schon lange keine großen Pflanzenfresser mehr gibt. Die Corona-Krise verschärft das Problem, meldete die Naturschutzunion IUCN: Durch die Pandemie fehlt afrikanischen Ländern Geld, die Wilderei zu bekämpfen.

Artenvielfalt auf dem Balkon: Wie man auch ohne grünen Daumen insektenfreundliche Oasen schafft

Seeotter

Wo lebt er? Hauptsächlich in den USA, Kanada, Japan, ­Mexiko und Russland
"Rote Liste"- Status: Weltweit stark gefährdet
Wieso? Fischerei, Ölkatastrophen, veränderte Fress­gewohnheiten von Schwertwalen, Krankheiten

Seeotter sind clevere Tiere, sie nutzen Steine, um Muscheln zu knacken. Oder umwickeln sich beim Schlafen mit Seetang, damit die Strömung sie nicht abtreibt. Um 1910 waren sie schon einmal fast ­ausgerottet – wegen ihres Fells. Nun sind sie wieder in Gefahr. ­Vermissen würde die Welt die Seeotter aber nicht nur als Social-Media-Lieblinge. Sie gelten als Schlüsselart: als ­Spezies, die auf viele andere Arten im Ökosystem Einfluss hat. Seeotter, nicht zu verwechseln mit den ­hiesigen Fischottern, ernähren sich unter anderem von Seeigeln.

Weniger Seeotter heißt: mehr Seeigel. Mehr Seeigel ­fressen mehr Seetang, der in großen Wäldern unter Wasser wächst. In ihnen leben viele Arten, zum Beispiel junge Fische. Und: Seetangwälder speichern viel CO₂, können also gegen den Klimawandel helfen. Rund um die Aleuten, eine Inselgruppe vor Alaska, wurde eine solche Ketten­reaktion schon nachgewiesen, dort nagen die Seeigel sogar am Fundament der Tangwälder, den Riffs aus Kalkalgen. Auf Artensterben folgt Artensterben.

Feldhamster

Wo lebt er? Europa, Westasien
"Rote Liste"- Status: In Deutschland und weltweit vom ­Aussterben bedroht
Wieso? Intensive Landwirtschaft, Verlust und Zerstückelung von Lebensraum durch Siedlungen und Straßen

Bei Landwirten war der Feldbewohner früher als Plünderer der Getreideernte verschrien, ­wurde systematisch vergiftet. Dabei ist der Feldhamster nützlich: Er befördert Erde aus zwei Metern Tiefe nach oben, wenn er gräbt. "Er hat genauso wie der Regenwurm einen Anteil an der Umwälzung des Bodens und macht ihn dadurch fruchtbarer", sagt Tobias Erik Reiners, Biologe und wissenschaftlicher Leiter des Schutzprojekts "Feldhamsterland".

Der Nager frisst Getreidekörner, Wildkräutersamen oder Insekten. Monokulturen aus Mais oder Weizen werden meist sehr gründlich und rasch abgeerntet. Zu rasch für den Feldhamster, er kann kaum Wintervorräte anlegen. In Deutschland gibt es noch höchstens 50 000 Exemplare. Was ihm helfen würde: mehr Blühstreifen am Feldrand, ein paar Getreidehalme, die nach der Ernte stehen bleiben, keine Pestizide, weniger Dünger. Schließlich ist er wichtiger Teil der ­Nahrungskette, "als Beutetier, zum Beispiel für Rot­milane", sagt der Biologe Reiners, eine fettere Beute als etwa eine Maus. Der Schutz des Feldhamsters hilft also auch dem bedrohten Greifvogel.

Antarktischer Krill

Wo leben sie? Antarktis
"Rote Liste"- Status: (Noch) nicht gefährdet

Silke Schmidt-ThröPrivat

Silke Schmidt-Thrö

Die Autorin Silke Schmidt-Thrö hat bei der Recherche ­ihre Sympathie für den ­Antarktischen Krill ­entdeckt. Vielleicht ­gerade, weil er keine Massen von Likes in den sozialen Medien sammelt.
Christina GransowPrivat

Christina Gransow

Erst wollte Illustratorin Christina Gransow den Seeotter im Profil zeichnen. Aber sie fand seinen aufgeweckten Blick so niedlich, dass er jetzt die chrismon-­Lesenden direkt anschaut.

Diese kleinen Krebse leben in großen Schwärmen im Südpolarmeer. Sie sind bisher nicht offiziell gefährdet. Bettina Meyer vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven macht sich dennoch Sorgen: "Ich würde den Zustand des Antarktischen Krills nicht als total problematisch ­bezeichnen, aber wir müssen das im Blick behalten." Man weiß wenig über die Anpassungsfähigkeit des Krills an den Klimawandel, zum Beispiel ist seine Kinderstube unter dem Eis, dem aber die Erd­erwärmung zusetzt. Zudem gibt es große Schwankungen von Jahren mit hohem und niedrigem Krill­vorkommen. Jedoch sind die Fangquoten der – immer intensiver werdenden – Fischerei immer gleich.

Wozu Krill gebraucht wird? Fischfutter für Aquakulturen. Oder Krillöl für Nahrungsergänzungsmittel. Der Antarktische Krill ist wichtige Kost für Robben, Fische, Wale, Pinguine – das Büfett der Antarktis sozusagen. Zu wenig Krill kann Folgen für andere Tiere haben. Das kann man in krillarmen Jahren beobachten: "Wir sehen in Gebieten, in denen die Fischerei sehr aktiv ist, Auswirkungen auf einige Pinguinkolonien und ihren Bruterfolg", sagt Bettina Meyer.

Und dann hat der Krill noch eine wichtige Rolle inne als CO₂-Senke: Krill-Exkremente sind kohlenstoffreich. Sie sinken schnell in tiefes Wasser, wo der Kohlenstoff für mindestens 100 Jahre eingelagert wird. Wär doch gut, das wäre weiterhin so.

Gefährdungskategorien der "Roten Liste" der Welt­naturschutzunion (IUCN)

Ausgestorben In der Natur ausgestorben Vom Aussterben bedroht Stark gefährdet Gefährdet Potenziell gefährdet Nicht gefährdet gefährdet

Der Text ist ein Nachdruck aus JS-Magazin, die Evangelische Zeitschrift für Junge Soldaten, für chrismon erweitert und aktualisiert.

Infobox

Fakten zum ­Artensterben

Wie viele Arten sind bedroht? Der Weltbio­diversitätsrat IPBES schätzt: fast jede achte Tier- und Pflanzenart.
Wie geht es einzelnen Arten? Die Rote Liste überprüft weltweit rund 142 000 Arten, mehr als 83 000 davon sind Tiere. Jede dritte Am­phibienart und jede vierte Säugetierart ist ­gefährdet. Die größte Tiergruppe, die Insekten, ist kaum erfasst. Viele Arten wurden bisher noch nicht genau untersucht.
Passt sich die Natur an? Manche Arten könnten umziehen, ihre Ernährung und ihr Verhalten ­umstellen. Wenn eine Art verschwindet, ­übernehmen manchmal andere ihre Rolle im Öko­system. Aber ein Massenaussterben würde ganze Ökosysteme gefährden.
Artenvielfalt sorgt für Nahrung, ­sauberes ­Wasser in Flüssen und Seen, eine ­intaktere ­Natur, Stoffe für neue Medikamente, Klimaschutz. Und Freude.

Infobox

Was tun gegen Artensterben?
Forscherinnen und Artenschützer fordern, den Handel mit Wild­tieren stärker zu beschränken und in der Fischerei die Fangquoten für viele Arten zu verringern. Weniger Ver­packungsmüll und mehr internationale Verbote von Giftstoffen würden die Umwelt und damit den Lebensraum von Tieren schützen.
Um das Artensterben bis 2030 zu stoppen, müssten laut ­Berechnungen mindestens 30 Prozent der weltweiten ­Land­- und Meeresflächen geschützt werden. Nötig sind zudem eine weniger ­intensive Landwirtschaft und ein anderes ­Konsumverhalten bei Nahrungsmitteln. Dazu können wir ­etwas beitragen: mehr Bioprodukte kaufen, öfter auf Fleisch verzichten und ­weniger Lebensmittel wegwerfen.

So banal es klingt, so oft es wiederholt wird: Alles, was die Erd­erwärmung bremst, hilft auch dem Artenschutz, solange dabei kein Land verloren geht. Für den einzelnen Menschen heißt das: weniger Flugreisen, Häuser dämmen, ­weniger Auto fahren und insgesamt weniger konsumieren.

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Ganz grosses Kompliment an die Illustratorin Frau Christina Gransow für die wunderbaren Zeichnungen zu diesem Artikel! Wunderbare fröhliche lebendige Farbkombinationen! Für mich eine grosse Freude! Vielen Dank dafür!
Ulrike Weische, Köln

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ARTENSTERBEN. Erst leben und dann sterben.
Der HOMO Errectus.

WO LEBT ER?
Überall und auch dort, wo es nichts mehr zum Leben gibt.
ROTE LISTE-STATUS
Zu viele, die sich selbst dezimieren.
WIESO?
Weil sie alles verbrannt, verbraucht und vernichtet habe?
PROBLEM LÖSBAR?
Ja, in 1 Mio. Jahren durch eine natürliche Auslese.
WER ÜBERLEBT?
Der am längsten durchhält.

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Rätselhaft, wieso Gott sich seit Beginn der Industrialisierung seine Schöpfung massiv zerstören lässt, obwohl in Offenbarung 11,18 steht "...zu vernichten, die die Erde vernichten". Die wirksamste menschliche Reaktion auf mehrere Umweltprobleme heisst degrowth: Wirtschaftsschrumpfung, Wachstumsrücknahme, Suffizienz, Systemwandel. Dieses seit den 70ern bekannte Konzept wurde schon in zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen detailliert durchdacht: https://timotheeparrique.com/academic-articles/ . Inzwischen gehen auch IPCC und Umweltbundesamt darauf ein. https://timotheeparrique.com/sufficiency-means-degrowth/ https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/vorsorgeorientierte-postwachstumsposition