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Am Anfang steht das Staunen
Ein Blick von außen lehrt uns neu: Der Glaube ist keine verblüffungs­feste Routine, keine gepachtete Wahrheit
Präses der ev. Kirche Westfalen, Annette KurschusBarbara Frommann
14.12.2015

Was ist eigentlich das Gegenteil von ungläubigem Staunen? Abgebrühte Gewissheit, überzeugte Langeweile, verblüffungsfeste Routine? Ich bin sicher: Ein Buch mit einem solchen Titel bliebe ein Ladenhüter, es würde niemanden interessieren.

Anders das jüngste Buch des Islam­wissenschaftlers, Schriftstellers und Journalisten Navid Kermani. Lange schon hält es sich auf den Listen der Sachbuchbestseller zwischen Helmut Schmidt und Peter Scholl-Latour, dem Papst und dem Dalai Lama, zwischen den Krebsbiografien zweier Prominenter und den jüngsten Terror-, Weltende-, Kampf-der-Kulturen-Reißern. Und vermutlich hat es unter manchem Weihnachtsbaum gelegen.

Das Buch heißt „Ungläubiges Staunen“. Der Umschlag zeigt Ornamente, wie man sie dem Orient zuordnen würde, vielleicht der Fassade einer Moschee oder der Kunst des Islams. Aber was von außen wie ein Buch über den Islam und die Kunst des Orients aussieht, ist – so der Untertitel – ein Buch „Über das Christentum“.

Kermani betrachtet und bespricht aus einiger Distanz (deshalb „ungläubig“) und zugleich mit großer innerer Nähe klassische Darstellungen abendländisch-christlicher Kunst – darunter ein Madonnenbild, eine Jesusfigur und einen für ihn als Muslim schwer zu ertragenden Gekreuzigten.

Er erzählt von seinen Kirchgängen und setzt sich dabei auf sehr persönliche, nachdenkliche und kenntnisreiche Art und Weise mit den wesentlichen Inhalten des „fremden“ Christentums auseinander.

Welcher Christ könnte in dieser Fom über den Islam schreiben?

Eine Kolumne ist kein Büchertisch. Aber auch einer Pfarrerin und leitenden Geistlichen einer großen evangelischen Landeskirche geben dieses Buch und sein Erfolg zu denken und zu staunen. Denn offenbar ist und wird Religion auch oder gerade dann interessant, wenn sie genau angeschaut wird. Nicht ohne Herz, aber immer mit Hirn. Mit Gefühl und Argument. Und vor allem, jenseits der weit verbreiteten Schwarz-Weiß-Schablonen, mit ihren Nuancen, mit den Grautönen, mit der ganzen Farbpalette ihrer Bilder und Inhalte.

Ich frage mich, ob es einen christlichen Autor, eine Autorin gäbe, der oder die mit so viel Sachkenntnis und kritischer Sympathie über den Islam zu schreiben vermöchte, wie es der Muslim Navid Kermani über das Christentum, die Christen und die zentralen Inhalte unseres Glaubens tut – und ob ein solches Buch seine Leserschaft fände. Vor allem frage ich mich: Was eigentlich reizt die (wohl zumeist christlichen) Leserinnen und Leser am „Ungläubigen Staunen“? Ist es der fremde Blick auf das Eigene, der es mir ermöglicht, mitzustaunen über das, was ich angeblich immer schon kenne?

Oder wird genau umgekehrt ein Schuh daraus: dass im Blick von außen auch christliche Leser und Leserinnen ihr eigenes Fremdeln, ihre eigenen Zweifel und ihr eigenes Einfach-nicht-damit-Fertigwerden wiederfinden? Wo eigentlich steht geschrieben, dass christlicher Glaube und unser kirchliches Reden vom Glauben als zweifelsfreies Wissen und gepachtete Wahrheit daherkommen müssen?

Zumindest an seinem Anfang – gerade erst haben wir ihn gefeiert – in Krippe und Stall steht doch auch beim Glauben ein gründliches Staunen. Ein Staunen ­übrigens, das gerade der Glaube immer neu wiederholen muss – und sich immer wieder neu holen muss.

Eines meiner liebsten Weihnachtslieder beschreibt dieses Staunen so: „Ich sehe dich mit Freuden an und kann mich nicht satt sehen; und weil ich nun nichts weiter kann, bleib ich anbetend stehen. O daß mein Sinn ein Abgrund wär und meine Seel ein weites Meer, daß ich dich möchte fassen!“ 

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Liebe Frau Präses Kurschus!

Auch mir hat mein Sohn das Buch von Navid Kermani dieses Jahr zu Weihnachten geschenkt. Ich habe schon einige Kapitel darin gelesen. Er staunt über das Christentum was er anhand von Bildern z. T. seltsamer Art charakterisiert. Allerdings bleibt er Muslim, also ungläubig.

Seine ziemlich direkte Art, die Bibel und das Thomasevangelium zu lesen und für bare Münze zu halten finde ich nicht gut. Das ist eine unkritische Lesart und Vermischung der Quellen. Schön ist, daß sich ein bekennender Muslim für das Christentum interessiert. Aber er differenziert zu wenig, zwischen Evangelisch und Katholisch und anderen älteren Christentumsformen.

Die meisten Menschen werden die von ihm ausgewählten Bilder garnicht kennen. Oder sie kennen andere, so wie in Köln es ein Bild gibt, wo der Jesusjunge, dem der Heiligenschein verrutscht ist, von der Mutter übers Knie gelegt wird. Ich bin gegen Versuche, das Leben Jesu nachzuerzählen oder zu verfilmen und damit zu verobjektivieren. Was natürlich immer in den Bildern versucht wurde. Aber gescheitert ist.

Das Göttliche kann man nicht abbilden. Das reformierte Christentum kennt keine Bilder. Nimmt das 2. Gebot noch ernst, schade, daß "das Christentum" das nicht tut.

Klaus Peter Brandl, Pfr. I.R.
 

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Frau Präses Kurschus stellt sich Reaktionen von Muslimen auf Erscheinungen unseres religiösen Lebens wie z. B. ein Bild des Gekreuzigten vor und meint, eine solche Konfrontation müsse zu einer starken Ablehnung führen. Hier projiziert sie m. E. eigenes Unbehagen, das daher rührt, dass der crucifixus uns so viel bedeutet.
 
Bleiben wir nüchtern: Ein Gekreuzigter ist ein Hingerichteter, und zwar ein echter, also von der Staatsmacht legal zu Tode Gebrachter. (Journalisten schreiben auch über Opfer von Erschießungen durch Mitglieder konkurrierender Banden als „regelrecht Hingerichtete“. Als ob es da Regeln gäbe, die von den Banden streng beachtet würden.)
 
Muslime sind Hinrichtungen, z. B. durch Schüsse oder durch das Schwert, gewohnt. Es besteht kein Grund für die von Frau K. angenommene Negativreaktion aus religiösem Zusammenhang. Jesus ist von der Staatsmacht gekreuzigt worden, nicht auf Befehl Gottes „zur Versöhnung und Vergebung unserer Sünden“.
 
Jesus selbst hat zwar in den Einsetzungsworten zum Abendmahl am Gründonnerstag von einem „für euch hingegeben zur Vergebung eurer Schuld“ gesprochen, aber er weist damit auf seine Liebe hin und nicht auf ein Motiv seiner (damals noch bevorstehenden) Hinrichtung. Jesus hat sich auch nicht gegen Muslime gewandt, denn diese gab es damals noch nicht. Muslime halten es nur für eine Anmaßung, einen Menschen als Gottes Sohn zu bezeichnen (weil Gott keine Kinder hat), und sehen in der behaupteten Gotteseigenschaft Jesu in der Trinitätslehre einen Verstoß gegen das Dogma, dass es nur einen Gott gibt.
 
Mit freundlichen Grüßen
Ulrich von Heyl
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"Wo eigentlich steht geschrieben, dass christlicher Glaube und unser kirchliches Reden vom Glauben als zweifelsfreies Wissen und gepachtete Wahrheit daherkommen müssen?" Ich würden bei Jesu Worten "Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich" (Joh 14,6) anfangen. Da scheiden sich die interreligiösen Geister.