Ein Friedenskirchentag sollte es werden, hatte das Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentags vorab angekündigt. Doch dann fehlte es an Mut, sich klar zu positionieren. Die Linksprotestanten haben sich eingerichtet mit ihrem politischen Personal. Keine Demos, keine großen Protestkundgebungen, keine Rebellion. Dafür spendeten sie den Mächtigen viel Applaus, der Kanzlerin oft sogar ohne erkennbaren Grund. Offenbar vertraut man ihr und anderen. „Lasst sie machen, sie machen’s doch gut“, das könnte die Devise sein.
Zum Podium „Die Welt ist aus den Fugen“ kamen Ex-UN-Generalsekretär Kofi Annan und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. Die gigantische Hanns-Martin-Schleyer-Halle füllte sich mit Tausenden Zuschauern – wobei mehr der Promifaktor als das Thema zu ziehen schien. Steinmeier redete erst über Waffenlieferungen an die Kurden im Irak. Dann schob er nach, die Bundesregierung wolle keine Waffen mehr in Krisengebiete liefern. Niemand monierte den Widerspruch. Kofi Annan erinnert später daran, dass man selbst mit den Leuten vom „Islamischen Staat“ reden müsse. Waffen lösen solche Krisen nicht.
Das Thema Frieden sei ihr zu kurz gekommen, sagte dann auch Margot Käßmann. Vor allem wie sich kirchliche Vertreter in dieser Debatte positionierten, dürfte der Reformationsbotschafterin nicht gefallen haben. Vom „Schuldigwerden im Tun und im Unterlassen“ sprach Renke Brahms, Friedens-beauftragter der EKD. Wohl wahr. Von einer „Friedensethik angesichts von Terror und Gewalt“ sprach EKD-Ratsvorsitzender Heinrich Bedford-Strohm, um dann auszuführen: „Manchmal ist die militärische Lösung die einzige, um Menschen zu schützen.“ Auch wahr. Aber oft kommen solche Argumente einfach viel zu schnell.
Kriegsgewalt könne niemals Ultima Ratio sein, behauptete Markus A. Weingardt von der Stiftung Weltethos. Mit 33 Milliarden Euro sei das Budget für militärische Krisenprävention rund tausendmal höher als das der zivilen: „Als würde man sich ein Auto für 30 000 Euro kaufen, 30 Euro in Bus und Bahn investieren und dann behaupten, man hätte ja alles für den öffentlichen Nahverkehr getan!“ Weingardt forderte eine „Armee ziviler Konfliktlöser rund um den Globus“. Steckt darin nicht der Ansatz für eine konsensfähige kirchliche Position?
Der Stuttgarter Kirchentag hat gezeigt: Der Linksprotestantismus ist weniger kampfbetont als früher. Politisches Agenda-Setting wie einst – eine neue Ostpolitik, Protest gegen den Nachrüstungsbeschluss, der Konziliare Prozess – geschieht hier schon lange nicht mehr.
Ihrer teils recht kritischen
Ihrer teils recht kritischen Berichterstattung in chrismon Heft 7 möchte ich hiermit gern eigene Erfahrungen und Eindrücke entgegensetzen:
Klüger als zuvor? Von Cleverles und Christus-Fans - Eindrücke vom Kirchentag in Stuttgart
Als „ganz normaler Teilnehmer“ war ich vom 3.-7. Juni auf dem 35. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Stuttgart. Einmal geistlich auftanken, mit vielen anderen Christen über Gott und die Bibel nachdenken, sich auf neue Gedanken und Formen einlassen… es ist einfach wunderbar! Unter dem Motto „damit wir klug werden“ (Psalm 90, Vers 12) gab es an diesen Tagen wieder über 2500 Veranstaltungen von Bibelarbeiten und Gottesdiensten, Konzerten und Diskussionen bis hin zu Vorträgen zu Themen der Zeit und der Präsentation von hunderten verschiedenen Gruppen und Initiativen. Da kann man immer nur einen winzig kleinen Ausschnitt für sich heraussuchen, und dann gibt es auch noch diese häßlichen Schilder „Halle überfüllt“ – zu deutsch: Ich muß draußen bleiben. Denn wo sich über 100.000 Menschen auf den Weg machen, kann es schon mal eng werden.
Auf Kirchentagen spielt immer auch der „Promi-Faktor“ eine Rolle. Natürlich waren Bundespräsident Gauck da und Kanzlerin Merkel, dazu Heiner Geißler und fast das gesamte Bundeskabinett. Es ist schön, solch Menschen auch einmal als Privatpersonen zu erleben, die ganz persönlich Dinge über ihren Glauben preisgeben. Aber auch Menschen wie Samuel Koch, der seinen Humor nicht verloren hat und das geplante neue Buch vorstellte, Eckart von Hirschhausen, der zeigte, daß eine Bibelauslegung auch humoristisch sein kann, Anselm Grün oder Heinz Rudolf Kunze dürfen nicht fehlen. Auch unser Landesbischof Ralf Meister war mit von der Partie, aber unbestrittener Star ist immer noch Margot Käßmann, die mit ihrer Bibelarbeit spielend 10.000 Menschen anlockt.
Besonders beeindruckt hat mich Christian Wulff, der offen über die Umstände seines Rücktritts vom Amt des Bundespräsidenten sprach, Krisen und Fehler einräumte und seine Großmutter mit den Worten zitierte: „Alles ist für etwas gut. Und alles hat zwei Seiten, auch aus der Niederlage läßt sich etwas lernen.“ Mit einem spitzbübischen Lächeln erzählte er, daß der australische Botschafter ihm einst Manschettenknöpfe mit Känguruhs geschenkt habe, denn Känguruhs können nur nach vorn laufen. Die Annahme dieses Geschenks sei „bislang noch nicht aufgedeckt“, sagte er mit einem Seitenhieb auf die manchmal unbarmherzige Presse. Immer wieder aufstehen, vorangehen, ganz unbeirrt – und in Krisenzeiten nicht den Glauben verlieren, das habe er gelernt.
Auf das schwül-heiße Wetter reagierte die Kirchentagsleitung spontan, indem sie etliche Zapfstellen einrichtete, an denen man sich erfrischen und kostenlos Wasser in Flaschen abfüllen lassen konnte. Sie waren ständig umlagert, der Bodensee muß fast leer sein… Und der rote Kirchentagsschal mutierte bei den pfiffigen Straßenverkäufern zum „original schwäbischen Schweißtuch“. Es waren bis zu 34° C im Schatten, allerdings gab es kaum Schatten. Dafür einen fröhlichen und bewegenden Schlußgottesdienst mit rund 95.000 Teilnehmern (wer immer die zählt). Ich bewundere jedes Mal die Organisation, mit der so ein Großereignis abläuft und genau 90 Minuten dauert bis zum Ende der Fernsehübertragung. Nur ein paar Zahlen: 1.200 Menschen teilen von 108 Altären, die über den ganzen Platz verteilt sind, das Abendmahl aus; dafür wurden 104.000 Oblaten bereitgestellt und 648 Flaschen Traubensaft. Neun Minuten sind für die Austeilung vorgesehen… Und alle werden (geistlich) satt!
Es waren wieder schöne, beeindruckende Tage, die leider viel zu schnell vorübergegangen sind. Am Ende standen, wie immer, Einladungen: zum Katholikentag vom 25. bis 29. Mai 2016 in Leipzig sowie zum nächsten Evangelischen Kirchentag zum Reformationsjubiläum vom 24. bis 28. Mai 2017 in Berlin und Wittenberg – „so Gott will und wir leben“.
Frank Hasselberg
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Nur der Wandel ist sicher.
Aha, der Linksprotestantismus ist also etwas weniger präsent. Nun ja, 1989 war ja auch für die lieben Brüder im Geiste, die Sozialisten und Kommunisten, ein Trübsaljahr. Außerdem, die Verdauung und Lehre von Schicksalsschlägen braucht Zeit. Nachdem Links nicht so richtig wollte, kann man es ja seit ca. 20 Jahren mit GRÜN versuchen. Hauptsache, der Idealismus hat neben den himmlischen Zielvorgaben auch eine praktische Seite mit dem Ziel eines irdischen Paradieses. Oh, Kirche! Wie weit hast Du Dich von Deinen Zielen und Inhalten entfernt!
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Die Watte-Kirche. Warum nicht
Die Watte-Kirche. Warum nicht noch leiser?
13 Bischöfen der derzeitigen Synode haben an den Pabst einen Brandbrief geschrieben. Sie befürchten eine zu liberale Entwicklung in der katholischen Kirche. Zitat aus dem Brief:
"Wer sich nur an die Seelsorge anpasse, ohne bei Schlüsselfragen des Glaubens hart zu bleiben, DER KÖNNE AM ZUSAMMENBRUCH DER MODERNEN LIBERALEN PROTESTANTISCHEN KIRCHE SEHEN, WOHIN DAS FÜHRE".
Ist das Urteil der "Konkurrenten" richtig? Ich fürchte, ja! Die evangelischen Kirchen sind zu phrasenhaften Watte-Religionen verkommen. Kennzeichen:
Sie sind wie Watte von außen schön, aber widersprüchlich bis zur Konturlosigkeit. Sie saugen Alles und Jeden auf. Bei Belastung verändern sie ihre Inhalte und Form je nach Belieben und wollen Allen gerecht werden. Um niemand zu verlieren, frönen sie jedem Zeitgeist und verändern je nach gesellschaftlicher oder politischer Witterung sich selbst bis zur Unkenntlichkeit. Wenn der Watte ihr Inhalt nicht mehr passt, sucht sie sich neue Inhalte (Zahl der Einzelkirchen).
Zu allem Überfluss haben sie sich auch noch mit der Politik vermählt. Der verbrämte grün/rote Linksprotestantismus hat bis zur letzten Kanzel Einzug gehalten. Pfarrer, die der CDU angehören, sind Exoten. Als Christ und als CDU-Mitglied ist unter diesen Kanzeln kein Platz mehr. Eine Differenzierung findet nicht mehr statt.
Und warum ist das so? Weil sich besonders die ev. Amtskirche, die Grünen und die Linken in dem Ziel verbündet haben, das unsere Welt am deutschen Wesen genesen sollte. Auch die typisch deutsche Naturseligkeit wurde damit als eine Ersatz-Pseudoreligion auf Erden verquickt. So haben sich die Ansprüche von Kirche und Politik angeglichen. Wurde schon bemerkt, dass sich die katholische Kirche mit allen politischen Aussagen zurück hält? Den Katholiken wurde vermutlich diese Allianz zu heikel. Dagegen will unbeirrt die ev. Amtskirche unbedingt in idealer irdischer Vorbereitung auf das Jenseits (Calvin lässt grüßen) den ökologischen und möglichst auch den ökonomischen Glückszustand erreichen. Eine Illusion. In idealer Ergänzung dazu wollen in brüderlicher Einigkeit, aber ohne den religiösen Hintergrund (Pfarrer bei den Grünen!), die Grün/Linken ebenfalls in absehbarer Zeit den göttlichen Zustand einer vollkommenen irdischen Gerechtigkeit erreichen. Beide Ziele decken sich. Es ist fatal und ein Zeichen der eigenen Glauben-Ohnmacht, das sich eine Kirche von politischen Parteien und Ideologien missbrauchen lässt, um auf Erden „glaubwürdig“ zu sein.
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