"Der Verein hat mir so viel gegeben, jetzt gebe ich etwas zurück"
Jennifer Simmons
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Nun muss Jennifer Simmons los, es ist noch ein knapper Kilometer zu gehen. Nicht bis Old Trafford, wo Manchester United spielt, sondern in ein zugiges, kleines und nur zur Hälfte überdachtes Stadion im Vorort. Dort treffen die Red Rebels gleich auf Marine AFC. Die roten Rebellen, das sind die Spieler des FC United of Manchester, gegründet vor zehn Jahren, weil frustrierte Fans lieber in der untersten Liga spielen wollten, als ihre Seele an einen Geschäftsmann zu verkaufen.
FC United of Manchester
Auf der Homepage des FCUM ist der Grundsatz des Vereins zu lesen: "FC United of Manchester is a community football club owned and democratically run by its 3894 members."
Glazer hatte einen Mythos gekauft. Am 6. Februar 1958 war ein Propellerflugzeug in München über die Startbahn hinausgeschossen und an einem Wohnhaus zerschellt. An Bord war die Mannschaft von Manchester United. 23 Menschen starben, unter ihnen acht Spieler. Das Unglück hat – zu einer Zeit, als das Fernsehen gerade erst in die Wohnzimmer kam – die Wahrnehmung des Klubs verändert. Nach München kannte jeder Engländer den Klub – auch die, die von Fußball keine Ahnung hatten. Die "Busby Babes", benannt nach ihrem Trainer Matt Busby, wurden zum Kultteam und holten noch viele weitere Titel.
Auch Steve Mills macht sich auf den Weg zum Spiel. Noch muss auch er dafür in den Vorort Ashton-under-Lyne. Nach seiner zweiten Scheidung ist er vor ein paar Jahren in eine Wohnung in Newton Heath gezogen, dem Stadtteil, wo damals alles begann mit Manchester United und wo die Straßen heute die Namen der Opfer von "München" tragen. Steve war Fan, seit er denken kann; Newton Heath ist für ihn heiliger Boden. Seine neue Liebe zieht bald in den Nachbarstadtteil. Von seiner Wohnung wird er nur elf Minuten zu Fuß brauchen, handgestoppt. Die neue Liebe ist keine Frau – es ist Broadhurst Park, der erste Stadionneubau im Norden von Manchester seit fast einhundert Jahren, die neue Heimat von Steve und Jennifer und den anderen 3800 Mitgliedern des FC United of Manchester.
"Fußball ist Fan sein, das gibt Halt – gegen den Rest der Welt"
Steve Mills
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Das hat den Medienunternehmer Rupert Murdoch angezogen, der die Fernsehrechte an den Spielen erwarb. Die Vermarktung konnte sich aber nur rechnen, wenn die Spiele nicht mehr zur gleichen Zeit stattfinden würden. Heute kommt es vor, dass sich der Spieltag auf zwei Tage verteilt, mit fünf unterschiedlichen Anstoßzeiten.
Das Spiel des FC United gegen Marine fängt um 3 pm an, Samstagnachmittag um 15 Uhr, wie früher. Die ersten Spielminuten hat Steve verpasst, weil er Lose verkauft hat, für den Stadionneubau. Nun steht er an einer Eckfahne. Wenn auf dem Platz eine Aktion gelingt, schreit er: "Well done, United!" Wie früher. Der Name ist geblieben, die Farben auch, die Spieler spielen in roten Trikots und weißen Hosen, wie Manchester United. Aber der Gegner heißt Marine AFC und nicht Chelsea FC. "Manche Spieler in der Premier League verdienen 200 000 Pfund in der Woche, dafür muss ich acht Jahre lang arbeiten. Für mich ist das nicht zu rechtfertigen."
Der FC United of Manchester - mehr als nur Fußball
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Fangesänge und zusätzliche Bilder finden Sie unter chrismon.de/manchester
Die meisten Mitglieder beim FC United sind ehrgeizig. Angefangen hat der Verein mit vielen Erfolgen und sehr guten Zuschauerzahlen – aber dann hat die Mannschaft vier Mal den Aufstieg verpasst. Nun wollen sie hoch in die nächste Liga. Steve ist unsicher. Im Fußball geht es darum, Spiele zu gewinnen, klar. Aber mit einem Aufstieg würde es wieder losgehen mit den Restriktionen, mit einem festen Kontingent für Auswärtsspiele zum Beispiel. Das habe doch mit dem Spiel nichts zu tun. Was Fußball für ihn, Steve, bedeutet? "Es geht ums Fansein, die Gemeinschaft, das gibt Zusammenhalt, auch ein bisschen gegen den Rest der Welt."
Dass die Welt es nicht immer gut meint mit den roten Rebellen, haben sie in Moston, ihrer künftigen Heimat, schon erfahren. Es gab viele Gerüchte in der Nachbarschaft. Wenn das Stadion kommt, parken die Fans alles zu und pinkeln in die Gärten! Die Grundstücke werden an Wert verlieren! Sie haben deshalb an jeder Tür in der Nachbarschaft geklingelt und jedes Gerücht zu widerlegen versucht. Der Verein hat eine Art Grundgesetz, ein Leitsatz lautet: Es geht nicht nur um Fußball, es geht auch um Nachbarschaftshilfe. Es gibt FC-United-Mitglieder, die in Altersheime gehen. Oder ins Obdachlosenhaus. Sie wollen Menschen rausholen aus der Isolation.
Am Morgen nach dem Spiel gegen Marine guckt Steve an der Zufahrt zum neuen Stadion den Leuten vom "FC Digger" zu. Das sind Freiwillige, die das Gelände rund um Broadhurst Park mit Heckenscheren, Schaufeln und Hacken verschönern – zur Befriedung der Nachbarn. An der Straße gucken schon die Narzissen raus, das sieht schön aus im Frühling, besser als vor dem Bau. Ein Hobbyimker kommt vorbei, auch er ist FC-Mitglied und hat einen Kilometer entfernt seine Bienenstöcke. "Die Narzissen sind nutzlos für Bienen, aber ich hätte Ideen für Pflanzen, die sie lieben. Wir könnten FC-United-Honig haben." Steve, der ehemalige Kammerjäger aus Manchester, nickt.
"Der FC United fühlt romantisch, ist aber sehr professionell"
Taffy Jones
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Taffy hat ein Auge für gute Spieler. Eine Weile beriet er sogar Manchester United als Scout. Fast wäre seine Ehe daran zerbrochen, weil er den Sommerurlaub absagte, um Talente zu sichten. Seit vier Jahren ruft ihn aber niemand mehr an. Er sagt das ohne großes Bedauern. Ist nun mal so. Er hat den Wandel im englischen Fußball miterlebt. Der Samstag, erzählt Taffy, war immer der entscheidende Spieltag, auch in den unteren Ligen. Aber es gab auch den Sonntag. Da spielten die "lads", die Kumpel, untereinander. Und danach ging es in den Pub, Kuchen essen, Bier trinken, reden. Taffy coachte beide, Samstags- und Sonntagsmannschaften. Er hatte Spieler, die das Zeug zum Profi hatten, die samstags wichtige Spiele bestritten – und sich sonntags die Knochen kaputt hauen ließen, nur um mit ihren "lads" zusammen zu sein. Romantisch war das, sagt Taffy, und gefährlich, wegen der Verletzungen, die man sich holen konnte.
Früher wuchs auf den Sportplätzen in Taffys Nachbarschaft im Sommer kein Gras mehr, so wurde da gebolzt. "Heute ist es überall grün, das sagt doch auch was aus." Den Sonntag als "lads"-Tag gibt es in Manchester kaum noch – wieder so ein Stück Fußballkultur, das verloren ist. Heute sieben die Jugendakademien der großen Klubs die Talente. "Die haben ein Niveau, von dem wir damals nur träumen konnten!"
Solche Akribie begeistert ihn. Taffy hatte viele Berufe, und was Neues kam immer nur infrage, wenn er zu 110 Prozent davon begeistert war. 20 Jahre lang hat er mit seiner Frau einen "Fish and Chips"-Shop betrieben, sie wurden "North West Chippy of the Year", der beste Laden im Nordwesten! Heute überführt er Autos, quer durch England. Ein "working class hero", und deshalb mag er Menschen, die ihre Idee durchziehen.
Jennifer Simmons hatte Staus erwartet, aber nun fließt der Verkehr, trotz der Feierabendzeit. Immer dienstags kommt sie in das alte Industriegebäude, von denen es in Manchester viele gibt. Heute sind hier keine Arbeiter mehr, sondern Hipster, die in Fotostudios und Werbeagenturen jobben. Jennifer will unbedingt pünktlich am Stadion sein, sie will die Einnahmen aus den Eintrittskassen zählen und verbuchen. Sie macht das ehrenamtlich. "Der Verein hat mir so viel gegeben, so kann ich was zurückgeben."
"Ich kenne keine Jungs, die so zusammenhalten wie meine"
Karl Marginson
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Sie hat sich entschieden, mit ihrem Mann Tony. Zumindest das Neue mal anschauen – das musste doch gehen. Gleich beim ersten Spiel waren sie gefangen. Fußball wie früher! Von Manchester United konnten sie trotzdem nicht lassen. Ein alter Freund, der ebenfalls konvertiert war, brach einen Streit los: "Du musst deine Dauerkarte an Man United zurückgeben, du kannst doch nicht die Glazers verdienen lassen!", forderte er. Es dauerte Jahre, bis sie sich bei einem Bier versöhnten.
Tony hat das alles nicht mehr erlebt. Nach einem Stadionbesuch im November 2006 setzte Jennifer ihn an einem Pub ab. Sie wollte zu Hause noch ein Spiel im Fernsehen schauen. Plötzlich standen zwei Polizisten vor ihrer Tür. "Ihr Mann ist tot, er ist an der Bushaltestelle kollabiert."
Ihre Töchter kümmerten sich um sie, aber sie leben beide weit weg. Jennifer Simmons ist in vielen Vereinen, das hat sie abgelenkt. Nur: Die Vereine machen alle Sommerpause, und Fußballspiele gab es auch keine. 18 Monate nach Tonys Tod, im Sommer, als alle fröhlich waren, kam das große Loch. Sie erinnerte sich an den herzlichsten Beileidsbrief, den sie bekommen hatte. Andy Walsh war der Absender, der Vereinschef der Red Rebels. Klar, sie hatte darum gebeten, dass die Beerdigungsgäste das Geld dem Klub spenden, da war so ein Dank natürlich angebracht. Und doch: "Der Brief war einer der schönsten, die ich je bekommen habe." Sie bedankte sich bei Andy Walsh. Und er sagte: "Wenn es dir hilft, uns zu helfen, finden wir eine Aufgabe für dich." Einmal die Woche hilft sie in der Buchhaltung. Dafür fährt sie 60 Kilometer, eine Strecke. Und bei jedem zweiten Heimspiel zählt sie das Geld.
Andy Walsh fiebert mit auf der Tribüne, im Spiel geht es um viel; der Gegner hat den Red Rebels schon einmal den Aufstieg versaut. Es steht noch 0:0, und beide Mannschaften spielen verkrampft, als die Fans zum ersten Mal ihr Selbstvergewisserungslied anstimmen.
This is our club, belongs to you and me //
We’re United! United FC! //
We may never go home, but we’ll never feel down //
When we build our own ground, When we build our own ground
"Demokratie muss man lernen – und richtig streiten auch"
Andy Walsh
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"Deutschland, das gelobte Fußballland"
###drp|pQZZuHuSQvCpjfYgaug1HmYB00094314|i-40|Stuart Roy Clarke|### Hat das, was die Fans in Manchester bewegt, mit der Bundesliga nichts zu tun? Nein! Der jünste TV-Vertrag setzt den europäischen Fußball unter Druck. Warum und wie lesen Sie hier: Ein "Deutschland, das gelobte Fußballland"
Das Spiel an diesem Abend gewinnt der FC United mit 3:0. Jennifer hatte viele Helfer, sie musste die Einnahmen nicht allein zählen und hat alle drei Tore gesehen. Taffy musste morgens ein Auto nach London bringen, er hat es gerade noch rechtzeitig zurück geschafft und muss wieder lange warten, bis Karl Zeit hat. Und Andy Walsh? Weiß er eigentlich, dass er den freundlichsten Brief geschrieben hat, den Jennifer je bekommen hat? "Nein, aber es bedeutet mir viel." Er geht weiter, er hat viele Hände zu schütteln auf dem Weg nach oben, aber dann bleibt er noch mal stehen und dreht sich um. "Es bedeutet mir wirklich sehr viel."
Inspirierendes Beispiel
Die Story ist unter Fans schon länger bekannt - die Reportage ist aber sehr lesenswert!! Gut zusammen gestellt und sehr inspirierend geschrieben. Vielen Dank an die Autoren!
Leidenschaft für Fußball, Identifikation, Zusammengehörigkeitsgefühl, Einsatz für andere und letztlich für die Gesellschaft. Das waren noch nie vorrangige Ziele von Fußballvereinen, zumal im Profifußball. Aber mit der zunehmenden Kommerzialisierung (international extrem mit der Transformation von Europapokal zu Championsleague) stehen diese Werte natürlich noch viel weiter hinten an. Vor diesem Hintergrund bildet der FCUM ein interessantes Experiment ab.
Beispiele wie die Gründung der Hamburger FC Falken nach der Profi-Ausgliederung beim Hamburger SV mögen andere Hintergründe haben, auch wenn die Initiatoren den FCUM als Vorbild betrachten. Bei der Frage wie Menschen dazu zu bringen sind sich miteinander zu engagieren, kann man aber von beiden lernen - als Verein, Kirche oder in der Kommunalpolitik. Es geht am besten, einfachsten und nachhaltigsten über Begeisterung und Identifikation. Geht das verloren, mag das Spiel weiter funktionieren. Wer damit nicht einverstanden ist, muss aber nicht gleich die Sportart wechseln. In HH nimmt man sich evtl. künftig auch schließlich ein Beispiel an der Beschriebeben Versöhnung zwischen den United-Fans: so kann man Samstags den HSV supporten und Sonntags mit den "lads" abhängen. Wünschen würde ich es ihnen.
Nochmals danke für die tolle Reportage!
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Bishop's visit to football club
I am the Bishop of Manchester. I was very glad to visit this club recently. Thank you for also visiting them, and for writing about this very good story.
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Thank you for your kind words
Thank you for your kind words!
It was interesting for me to see what football is about in England and Manchester - and what we are about to risk if we simply follow the path of commercialization. The circumstances in England and Germany still do differ a lot, but it is inspiring to get to know the answers FCUM-owner have given to what they call modern football.
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