Tillmann Franzen
Darf man mit der Bibel Politik machen?, fragt Nikolaus Schneider. Es kommt darauf an, was man unter Politik versteht
Foto: Tillmann Franzen
20.03.2014

Sterbehilfe. Zuwanderung. Rassismus. Afghanistaneinsatz. Waffenhandel. Soziale Gerechtigkeit. Globale Wirtschaft. Umweltschutz: Wenn politische Entscheidungen und Gesetzesprojekte anstehen, macht sich unsere Kirche einen Kopf, ob und wie sie dazu beitragen kann oder muss. Als „Politik mit der Bibel“ mag das dem einen erscheinen, vor allem wenn ihm die Haltung der Kirche nicht gefällt. Für einen anderen kann die Kirche gar nicht deutlich genug Position ergreifen.

Darf man Politik mit der Bibel machen? Die Bibel ist Grundlage und Korrektiv unserer Theologie und unserer persönlichen Gottesbeziehung, aber sie ist keine ethische Grundsatzschrift und kein zeitloser moralischer Tugend- und Lasterkatalog. Sie enthält auch keine Parteiprogramme und ist auf keine Staatsform festgelegt. Gleichwohl ist die Bibel von unschätzbarem Wert. Sie bindet uns an Jesus Chris­tus, den wir auch heute als lebendig und gegen­wärtig erfahren.

Ja, die Bibel ist politisch von großer Bedeutung. Dass wir uns an sie als Wort Gottes binden, kann wie ein starkes Wertefundament sein, auf dem wir Christen politische Verantwortung üben. Und das hat Auswirkungen in alle Lebensbereiche hinein. Aber die Bibel gibt oft keine eindeutigen Handlungsanweisungen. Damit bleiben unsere aktuellen politischen Wertungen und Entscheidungen, auch wenn wir sie nach bestem Wissen und Gewissen aus dem Evangelium ableiten, immer relativ und ambivalent.

Deshalb können wir mit der Bibel nicht unmittelbar Politik machen, aber die Bibel macht eine menschenfreundliche Politik möglich. Sie wirkt wie ein Kompass, nicht wie ein Navi. Das gilt für unser Engagement wie auch das der Politiker, mit denen wir im Gespräch sind. Auf unserem Kompass können wir ein paar Orientierungswerte ablesen. Erstens: Das biblische Menschenbild respektiert den grundsätzlichen Unterschied zwischen Gott und Mensch. Wir Menschen sind nicht die Herren über Leben und Tod, und unsere Erkenntnisse sind nicht das Maß aller Dinge. Gott ist der Schöpfer von Zeit und Raum und allem Lebendigen. Wir Menschen sind Geschöpfe, von Gott zur Verantwortung gerufen, aber im Handeln immer begrenzt und fehlbar. Das betrifft alle in der Gesellschaft, auch und gerade die politischen Eliten.

Die Leitfrage: "Was würde Jesus dazu sagen?"

Zweitens: Alle in unserem politischen Entscheiden und Handeln als christlich ­erkannten Werte sind auf das Leben, ­Glauben, Reden und Handeln des Juden Jesus von Nazareth zu beziehen. Zwar sind inzwischen 2000 Jahre vergangen und unsere konkreten Vorstellungen von Kultur, politischer Ordnung und ökonomischen Strukturen haben sich wesentlich ver­ändert. Doch weist das Attribut „christlich“ immer wieder auf die eigentlich schlichte Leitfrage: „Was würde Jesus dazu sagen?“

Drittens: In der Bibel geht es nicht allein um das individuelle Seelenheil. Gottes ­Weisung zielt auf die ganze Gesellschaft. Wenn sich unsere Kirche für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung einsetzt, erschöpft sich das  nicht in Einzelhilfe und Einzelaktionen, sondern sie ist auch um gerechte Strukturen und eine an Nachhaltigkeit orientierte Gesetzgebung besorgt.

Unsere „Politik mit der Bibel“ besteht nicht im Auftischen immer neuer, immer detaillierterer Forderungen an Politikerinnen und Politiker. Wir wollen wache Beobachter sein für eine menschenfreundliche, lebensdienliche Politik. Genau deshalb hat die evangelische Kirche strenge Regeln gefordert, die die Hilfe zum ­Suizid nicht zu einem Geschäftsmodell oder Gegenstand organisierten Handelns werden lässt.

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Unter 2. heißt es in dem Artikel "Was würde Jesus dazu sagen?". Müsste es nicht besser heißen: "Was hat Jesus gesagt?" Dann weiß ich, was von mir, der Politik, den Naturwissenschaften und der Technik gefordert ist, um die angerissenen Fragen zu bearbeiten. Wache Handelnde sind gefragt, nicht nur wache Beobachter.
G. Ackermann.

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Die Bibel ist Grundlage und Korrektiv unserer THEORIE und unserer persönlichen Gottesbeziehung. So hört sich das besser an.
Die Bibel ist bekanntlich eine zusammengeschusterte Geschichte, so abgefasst, wie sie den Gläubigen am besten in den eigenen Kram passt. Und Politik geht da nicht anders.

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Herr Schneider und weitere Funktionäre der evangelischen Kirche befürworten u.a. Vorhaben wie die Ausweitung der Mütterrente und den flächendeckenden Mindestlohn. Erstere wird entscheidend mit zur Zerrüttung unserer Staatsfinanzen beitragen,der Letztere wird einen spürbaren Rückgang der Beschäftigung mit sich bringen.
Was hat dies mit gerechten Strukturen, nachhaltiger Gesetzgebung ( was immer das sein mag ...), geschweige denn mit einem christlichen Menschenbild und der der Botschaft Jesu zu tun ?

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Es reicht nicht, auf die Nöte eines Menschen ein seelsorgerliches Pflaster zu kleben, sondern die Kirche als Ganze muss ihre Stimme erheben, wo solche Nöte politische und gesellschaftliche Ursachen haben.
Damit will ich die Seelsorge gar nicht abwerten, im Gegenteil, ich erlebe immer wieder, dass Pfarrerinnen und Pfarrer, die in ihren Gemeinden die Seelsorge pflegen, besonders gut und menschennah predigen.
Und natürlich gibt es unzählige Gemeinden, wo vor Ort gemeinsam geholfen wird, viel mehr, als man in Chrismon abdrucken könnte.
Aber der Zusammenhang zwischen Kriegen in Afrika (und anderswo) und deutschen Rüstungsexporten, der muss eben benannt werden, oder der Zusammenhang zwischen dem Reichtum weniger und der Armut vieler (und da tut mir die neueste Denkschrift zur sozialen Frage lange nicht genug).
Und zu solchen Aufrufen liefert eben die Bibel, das Neue Testament mehr als das Alte, reichlich Stoff genug!
Margarete Burkhardt