Monika Höfler
So weit kommtʼs noch. Warum denken wir eigentlich, dass wir uns ständig und für alles rechtfertigen müssen?
18.09.2013

Olaf ist am Ende seiner Kräfte. Trotz allen Bemühens hat er seinen Auftrag nicht fristgemäß erledigt. Jetzt muss er sich vor dem Chef rechtfertigen. Als er vorhin ins Büro raste, hat ihn die Polizei angehalten und ihm einen Strafzettel verpasst. Natürlich hat er versucht, sich zu rechtfertigen: „Dringende Termine!“ Heute Abend wird Olaf sich vor seiner Freundin rechtfertigen, weil er bis in die späten Abendstunden arbeitet. Morgen muss er die ­Eltern an­rufen, die sicher eine Erklärung von ihm verlangen, ­warum er lange nicht zu Besuch war. Die Liste der Rechtfertigungen, die einem täglich abgenötigt werden, ist endlos: Weshalb hast du nicht aufgegessen, warum machst du deine Hausaufgaben nicht gleich, warum kommst du so spät, warum haben Sie nicht angerufen, weshalb schaust du mich nicht an...?

Susanne Breit-Keßler findet es toll, wie die Bibel und Luther uns in unserem Selbstwertgefühl stärken.


Rechtfertigung, das wunderbare lutherische Wort, hat in der Umgangssprache wenig Ermutigendes. Es wirkt eher bedrohlich – verdammt, schon wieder muss man sich angesichts einer Latte von Anklagen und Vorwürfen erklären, muss Schuldzuweisungen verhindern oder entkräften. Schade, wenn die Freiheit eines Christenmenschen so verloren geht. Wie wäre es damit: im Monat der Reformation das eigene Lebensgefühl beherzt zu reformieren? Es in Stein meißeln, auf den Tisch schreiben oder an die Wand neben den Spiegel hängen: Weder muss noch ­brauche oder kann ich mich wirklich selber rechtfertigen. Ich bin gerechtfertigt vor Gott, allein aus Gnaden. Es hat ein Ende damit, dass ich meine eigene Existenz begründen muss. Es hat ein Ende damit, dass andere bestimmen, ob ich recht bin. Rechtfertigung, so verstanden, ist das Ende der Zwänge, die Leben einengen und Menschen fügsam machen sollen.

Einfühlungsvermögen und Respekt - das gehört dazu

Leider Gottes triumphiert der Zwang zur Rechtfertigung immer noch und überall – trotz Luthers Einsichten. Wie könnte es aussehen, wenn Olaf seinen persönlichen Exodus aus Enge und Angst erlebt? Dazu muss er mit den anderen reden. Muss benennen, wo er gefangen ist in Strukturen, die ihn kaputt machen. Er könnte mit seinem Chef abklären, wie viel Arbeit in welcher Zeit gut geschafft werden kann. Er könnte mit seiner Freundin besprechen, welchen Raum jeder für sich, für seine Aufgaben und für das Miteinander braucht. Dazu gehören auf beiden Seiten Einfühlungsvermögen und Respekt – Respekt vor sich selber und vor dem Gegenüber, jeder sollte wissen, was jeder braucht. Wenn einer den anderen stattdessen bloß mit Vorgaben „beglückt“, erklärt er letztlich selbstherrlich Gott und seine Rechtfertigung für unzureichend.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Von einem unkritischen Umgang miteinander ist nicht die Rede. Es kann sein, dass ein Freund Olaf mal sagen muss, dass er zu viel arbeitet, dass es gesünder ist, wenn er seine Sonntage frei hält, dass die Begegnung mit den Eltern notwendig ist. Aber vor jeder noch so heilsamen Idee, erst recht vor jeder Art von Kritik, ist es ­wichtig, den anderen mit seinen Zwängen, mit kleinen und großen Fluchten und Überlebensstrategien wirklich zu akzep­tieren. Wenn einer erzählen kann, wie er wurde, dann kann er mit der Zeit entdecken, dass seine Lebensgeschichte ihren inneren Sinn hat. Und dass es schön ist, nicht dabei stehenzu­bleiben, sondern sich weiterzuentwickeln. Der Herzton der Reformation ist die Rechtfertigung, die bedingungslose Bejahung eines jeden Menschen. Allein aus Gnade – aus himmlischer.

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"Entschuldige bitte, dass ich lebe"

Der Artikel von Frau Breit-Keßler spricht mir aus der Seele.
Schuldgefühle haben sicherlich ihre Grundlage in dem Wissen, nie jedem und allem gerecht werden zu können. Mit diesem Wissen können einige Menschen, wie meine Freundin Martina, sehr gut umgehen, nämlich aufgrund des Wissens, bedingungslos geliebt zu werden. Bei mir löste das erstere Wissen das "ich-mache-es-allen-recht" - Syndrom aus. Ich glaube man nennt es das Helfersyndrom. Darauf hat sich meine Familie auch immer sehr gut ausruhen können. Fast 37 Jahre lang. Ich muss wohl geahnt haben, dass dahinter eben nicht bedingungslose Liebe der Familie steht, sondern dass klare, egoistische Bedingungen daran (ich mag es jetzt gar nicht Liebe nennen) geknüpft waren. Seit ich endlich selbstbewusst geworden bin, mein eigenes Leben lebe und nach einer Therapie angefangen habe, eigene Bedürfnisse und Wünsche zu erkennen und versuche, diese zu verwirklichen, hat sich das Rad "furchtbar" gedreht.
Vor allem mein Vater hat mich verlassen, den Kontakt abgebrochen, mich wüst beschimpft und aggressiv beleidigt. Puuuhh, das hat Kraft gekostet. Aber hinter dieser harten Schale kommt jetzt die Erkenntnis hervor, mich befreit zu haben von Menschen, die mich nie wirklich geliebt haben. Und 37 Jahre ist ja gar nicht sooo alt, um noch mal zu beginnen.
Ein solcher Prozess macht doch sehr feinfühlig für die Hintergründe dieser Schuldgefühle und dem Gefühl, sich ständig rechtfertigen zu müssen.
Vielleicht muss erst ein so harter Bruch folgen, um endlich zu lernen, für sich selbst einzustehen.
Danke für den Artikel:-)

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Traurig, dass es keine andere Lösung zu geben scheint, als Trennung, aber es geht wohl nicht anders. Als ich vor Jahren eine Therapie machte, wurde ich gedemütigt, beleidigt, entmündigt. Ich lernte, mich zu behaupten, aber ich hatte kaum eine Chance, weil unsere Gesellschaft nur diese eine Lösung kannte. Wozu Trost und Rechtfertigung? Ich bin, gerechtfertigt vor Gott, richtig ! Aber, verdammt, warum rechtfertigt er die, die mir weh tun? ! Die Therapie war Schrott, und mögen ihre Vertreter und deren Helfershelfer, sich selbst in Grund und Boden vernichten. So helfe mir Gott ! Die Reformation und Luther dagegen mögen stark werden und leben! Ich bin nicht schwach, aber sehr verzweifelt.

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Guten Abend, Frau Breit-Keßler,

ich hoffe es tut mir gut wenn ich mich bei Ihnen äußern darf was rechtfertigen betrifft. Ich beschäftige mich seit ich Kinder habe (7Jahre) mit der Impfproblematik und habe mich gegen dieses entschieden. Die Entscheidung fundiert auf unaufhörliches Lesen, recherchieren, Vorträge hören und doch kann man mir immer noch Angst einjagen - meine Tochter ist nun in der Schule und ich setze mich verstärkt wieder damit auseinander - speziell natürlich -medienbedingt- mit Masern. Ich habe Schuldgefühle gegenüber anderen die vielleicht angesteckt werden, vor Beschimpfungen, vor sozialem Ausschluss - wie kann ich nur.... doch ich will meine Tochter vor diesem Cocktail bewahren und weiß von den Nebenwirkungen die oft Jahre später erst auftreten wenn längst kein Zusammenhang mit der Impfung erwogen wird.
Ich spreche ohnehin mit fast niemanden darüber da Impfkritiker schon als sehr exotisch und verantwortungslos angesehen werden - doch die Meisten schwimmen mit der Masse und informieren sich nicht.
Fazit: Dieses Thema löst bei mir Schuldgefühle aus weil ich mich damit so alleine fühle.