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Immer wieder höre ich es bei meinen Vorträgen zum Thema „Reformation und Toleranz“. In der Diskussion fällt der Satz: „Aber die sind doch nicht tolerant, ganz anders als wir.“ „Die?“ Das sind die Muslime. „Wir“ die Christen.
Nach dem Christentum ist der Islam inzwischen in Deutschland die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft. Rund fünf Prozent der Menschen in Deutschland sind muslimischen Glaubens, das sind rund vier Millionen. Knapp die Hälfte davon sind deutsche Staatsangehörige. Vielen Muslimen ist Deutschland zur Heimat geworden.
Seit 2008 gibt es in Osnabrück ein Zentrum für Interkulturelle Islamstudien. Aus ihm wurde ein Institut für Islamische Theologie, das inzwischen einen Masterstudiengang Islamische Religionspädagogik anbietet. An der Universität Tübingen gibt es seit 2011 ein Zentrum für Islamische Theologie. In einer Reihe von Instituten werden Studierende ausgebildet, die später islamischen Religionsunterricht erteilen oder als Imame arbeiten.
Religionsunterricht für 700000 Muslimische Schüler und Schülerinnen
Das ist ein großer Fortschritt. Es ist wichtig, dass die rund 700 000 muslimischen Schülerinnen und Schüler Unterricht in ihrer Religion erhalten – und zwar wie im christlichen Religionsunterricht nicht als Mission, sondern mit der Möglichkeit, kritisch zu fragen, den eigenen Glauben zu reflektieren. In einem Land beheimatet man sich eben auch durch seine Religion. Und es ist gut, wenn Imame deutsch sprechen, die deutsche Kultur kennen, an deutschen Universitäten ausgebildet werden. Nur so kann doch ein deutscher Islam entstehen, demokratiefähig, die Werte von Freiheit und Gleichheit vertretend, die für unsere Gesellschaft so wichtig sind.
Für Bildungsgerechtigkeit und Bildungsteilhabe haben sich schon die Reformatoren eingesetzt. Glaube war für sie gebildeter Glaube, nicht aus Konvention und nicht aus spiritueller Erfahrung allein, sondern dadurch, dass sie die befreiende Botschaft des Evangeliums bewusst bejahen.
Gerade die Evangelischen sollten sich daher für islamische Theologie einsetzen. Nur gebildeter Glaube kann den Versuchungen des Fundamentalismus widerstehen. Das wissen wir doch auch als Christinnen und Christen. Wenn etwa Fundamentalisten meinen, Charles Darwins Evolutionslehre dürfe im Unterricht nicht gelehrt werden, sondern nur der Kreationismus, also die biblische Schöpfungslehre: Wie angstbesetzt ist das?
Unterricht nach einem anerkannten Lehrplan
Ich freue mich, dass Lehrerinnen und Lehrer für Islam in Deutschland ausgebildet werden, die dann nach einem anerkannten Lehrplan und in deutscher Sprache unterrichten. Nach Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes wird Religionsunterricht „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft“ erteilt. Doch so lange „der“ Islam gegenüber dem Staat nicht mit einer Stimme spricht, müssen Kompromisse gefunden werden, zum Beispiel durch Verträge mit einzelnen muslimischen Institutionen – als wichtiger Schritt zu jenem gebildeten Islam, der sich dem Fundamentalismus entgegenstemmt.
Und ich freue mich nicht weniger, dass endlich auch wieder jüdische Theologie an deutschen Universitäten gelehrt wird. Im März dieses Jahres wurde an der Universität Potsdam eine Schule für jüdische Theologie eingerichtet, um Rabbiner und Kantoren auszubilden. Dass das in Deutschland heute möglich ist, dafür können wir nach dem Holocaust nur dankbar sein.
Es gibt kein „wir“ und „die da“! Es gibt Menschen mit ihrem Glauben, die in diesem Land leben. Dieser Glaube darf und muss reflektiert weitergegeben und unterrichtet werden. Alles andere wäre ein Irrweg.
Echte Partnerschaft
Es ist schön und gut, was Frau Dr. Käßmann in ihrer Eloge zur Ausbildung von Imamen und Rabbinern in unserem Land feiert. Im Gegenzug hätte ich allerdings die deutliche Aufforderung zu einer ebensolchen Behandlung von Christen beider Konfessionen in Ländern wie z.B. der Türkei, Irak, Iran und China erwartet. Dort sind christliche Minderheiten z.T. großen Repressalien ausgesetzt. Beide Kirchen sollten sich dieses Themas engagiert annehmen. Wenn Deutschland allein auf diese Menschen zugeht ohne eine ebenbürtige Reaktion in den angesprochenen Ländern, kann von echtem partnerschaftlichem Verhalten auf Augenhöhe nicht die Rede sein und es bleibt ein bitterer Geschmack zurück.
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