Zurzeit denke ich darüber nach, eine Straße zu adoptieren. So eine Adoption kostet kein Geld, nur einige Mühe. Viermal im Jahr müsste ich die Ränder meines Straßenstückes inspizieren und dabei Zigarettenkippen, Teppichreste, Schuhe, vergammelte Kaffeebecher und halbe Stühle aufsammeln. Das jedenfalls sind so Dinge, die ich am Straßenrand liegen sehe, wenn ich im Stau stehe. Und in der Gegend von Washington DC steht man viel im Stau.
Würde ich eine Straße adoptieren, bekäme ich vom Straßenverkehrsamt eine orangefarbene Sicherheitsweste, einen Helm, ein Video über sicheres Müllsammeln und ein Bündel Plastiksäcke. Und es würde ein mir gewidmetes Adopt-A-Road-Schild aufgestellt.
Nun frage ich mich allerdings, warum ich Müll aufklauben soll, obwohl ich Benzinsteuern bezahle, die unter anderem dafür gedacht sind, dass der Staat die Straßen in Schuss hält. Daran sieht man gleich, dass ich eine Deutsche bin. Amerikaner finden nämlich nicht, dass ihr Engagement für die Gesellschaft mit dem Bezahlen von Steuern erledigt ist. Etwas für die Gemeinschaft zu tun, ist hier so selbstverständlich, wie zweimal am Tag die Zähne zu putzen. Freunde und Nachbarn bringen Essen
Ob man eine Straße adoptiert, ein paar Millionen für Museen stiftet, beim Marathon gegen Hirntumore mitläuft oder ehrenamtlich am Infostand des Flughafens mithilft, ist dabei fast egal. Hauptsache, man gibt etwas von sich, jeder nach seinen Möglichkeiten. Als meine Freundin Debbie ihr drittes Kind bekam, brachten Freunde und Nachbarn ihr Essen. Kein Mensch erwartete, das Baby zu sehen. Stattdessen wurde ihr eine Schüssel Spaghettisauce reingereicht, die mindestens für drei Tage genügte, um es ihr möglichst bequem zu machen.
Weil unsere Straße im vergangenen Winter so eingeschneit war, dass tagelang keine Räumfahrzeuge durchkamen und wir kaum mehr die Haustür öffnen konnten, schob unser Nachbar Ed stundenlang gebückten Rückens seinen kleinen benzinbetriebenen Schneepflug durch das Unwetter. Er räumte die gesamte Straße. Er räumte sie dreimal. Im Sommer griff mich im Wäldchen am Ende unserer Straße ein Wespenschwarm an und brachte mir sieben Stiche bei. Nachbar Tom entfernte noch am selben Abend das Nest, damit nicht noch jemand in der „Community“ unserer Straße Schaden nähme.
Eine amerikanische Community ist einfach da
Community ist eines der amerikanischen Zauberwörter. Der Durchschnittsamerikaner fühlt sich mindestens einer Gemeinschaft zugehörig, sei es die Nachbarschaft, sei es die Schule der Kinder, sei es die religiöse Gemeinschaft oder gleich die Nation. Die Deutschen erleben vielleicht ein ähnliches Zusammengehörigkeitsgefühl in einem ihrer 600 000 Vereine. Es gibt allerdings einen wichtigen Unterschied zwischen deutschen Vereinen und amerikanischer Community. Ob man im Blutwurstverein oder bei der freiwilligen Feuerwehr Mitglied sein möchte, sucht man sich aus. Eine amerikanische Community ist einfach da, man müsste sich schon sehr anstrengen, um ihr zu entgehen.
Als ich mit meiner Familie vor gut zwei Jahren in ein kleines Haus am Stadtrand von Washington zog, stand am zweiten Tag der neunjährige Sohn unserer Nachbarin Evelyn mit einem Begrüßungskuchen vor der Tür. Am vierten Tag brachte Nachbarin Sharon selbst gemachte Karamellbonbons, Nachbar Alex schenkte unseren Kindern einen Basketball. Freunde in Deutschland hatten mich vor diesem Begrüßungsritual regelrecht gewarnt: Das sei nur oberflächlich, die Amerikaner meinen das gar nicht so, tiefere Freundschaften kannst du nicht erwarten. Erstens stimmt das nicht, und zweitens ist ein Kuchen als sozialer Kitt hervorragend geeignet. Wir fühlten uns in der Straße willkommen geheißen. Und unsere Nachbarn konnten gleich ein bisschen abklopfen, was wir für Leute sind. Das war wichtig für sie, weil nur eine gepflegte Gegend mit vernünftigen Mietern die Hauspreise hoch und die Straßenkriminalität fernhält.
Ein Relikt aus der Zeit der Einwanderer
Das Kuchenbegrüßungsritual dient aber nicht nur der süßen sozialen Kontrolle, sondern ist auch ein Relikt aus der Einwandererzeit. Es gibt wenige Amerikaner, deren Vorfahren nicht irgendwann in den USA ein neues Leben aufgebaut haben. Zwischen 1820 und 1913 kamen allein 5,5 Millionen Deutsche. Sie hatten meist nicht viel mehr dabei als den unbedingten Willen, ihr Glück zu machen, und weil es keine staatliche Unterstützung gab, waren sie ganz auf die Hilfe ihrer neuen Landsleute angewiesen. Diese Kultur, anderen zu helfen, hat sich bis heute gehalten.
Ein College verpflichtet seine Studenten zu Sozialstunden im Obdachlosenheim. Friseure sammeln Haare und fertigen daraus Perücken für kranke Kinder. Handwerker kümmern sich ehrenamtlich um den Wiederaufbau von Häusern unschuldig in Not Geratener. Zehnjährige Schüler helfen mit ihrer Klasse einmal im Monat in einem Verein, der sich für arme Familien einsetzt. Meine Kinder stecken jeden Freitag stolz ein paar Dollar in die Sparbüchse in ihrem Kindergarten. Mal braucht ein Waisenhaus in Vietnam eine neue Waschmaschine, dann fehlen Medikamente in Pakistan oder Schuhe für die Erdbebenopfer von Haiti.
Woher kommt diese hohe Bereitschaft zu Spenden?
Es mag dieses soziale Engagement auch in Deutschland geben, es ist die Menge und Allgegenwart, die mich überrascht. Zu teilen, was man besitzt, hat hier einen höheren Stellenwert als in Deutschland, und Kinder werden buchstäblich im Sandkasten darauf eingeschworen. Während eine deutsche Mutter auf dem Spielplatz ihren Nachwuchs durchaus einmal bestärkt, die Sandkuchenförmchen für sich allein zu behalten, ruft eine amerikanische Mutter: „No, Sweetie, you have to share!“ Keine Diskussion. Und es funktioniert. Sweetie teilt.
Sandförmchen, Schneepflüge, Spaghettisauce und Geld. Ziemlich viel Geld sogar. Im Jahr 2009 spendeten die Amerikaner pro Kopf 741 Dollar und kamen so insgesamt auf 227,91 Milliarden Dollar oder 1,63 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Deutschen spendeten 5,3 Milliarden Euro im Jahr 2009. Das entspricht pro Kopf 65 Euro und 0,22 Prozent der Wirtschaftsleistung. Addiert man die Kirchensteuer, gab jeder Spender 179 Euro, das sind 0,6 Prozent der Wirtschaftsleistung (siehe Interview). Amerikaner spenden also in guten wie in schlechten Zeiten ein Vielfaches dessen, was in Deutschland üblich ist. Wie kommt das? Sicher zeigt die hohe Spendenbereitschaft eine andere Lebensphilosophie: Amerikaner entscheiden lieber selbst, wen sie mit ihrem Geld unterstützen, als Steuern in einen anonymen, von Beamten verwalteten Staatstopf zu geben.
Der Staat belohnt Großzügigkeit
Vielleicht fällt es aber auch manchem so schwer wie mir, Nein zu sagen, wenn wieder das Telefon klingelt und die Feuerwehr, die Polizei, Soldatenvereinigungen oder Krebsforschungsinstitute um Geld bitten. Mich klopfte die Dame von der Feuerwehr weich, weil sie so nett daran erinnerte, ich möge nicht vergessen, die Batterien in den Brandmeldern auszutauschen. Versuche, mir ein schlechtes Gewissen zu machen („Aber unsere Soldaten haben 1945 doch Ihr Land befreit, wie können Sie da nicht an unsere Kriegsveteranen spenden!“), fruchteten allerdings weniger.
Mehr als das telefonische Geldeintreiben öffnet aber das amerikanische Steuersystem die Geldbeutel der Menschen. Der Staat belohnt Großzügigkeit. Gemeinnützige Organisationen bezahlen keine Steuern und werden oft bis zu einem Drittel mit Subventionen unterstützt.
Reichtum verpflichtet
Privatpersonen können Geldspenden bis zu einer Höhe von 50 Prozent ihres Bruttoeinkommens abziehen. Wer viel gibt, halbiert also im besten Fall sein zu versteuerndes Einkommen. Durch die steuerlichen Vorteile sind großzügige Spenden in Amerika besonders für Großverdiener attraktiv, und es trifft sich, dass in den Vereinigten Staaten die meisten Milliardäre weltweit leben, nämlich 400. Sie heben den Gesamtspendenwert natürlich an.
Reichtum verpflichtet. Zumindest ist das heute so. Anfang des 19. Jahrhunderts gaben die Reichsten in New York nur ein bis zwei Prozent ihres Geldes für gute Zwecke. Erst in der späten Mitte des 19. Jahrhunderts traten große Spender wie Astor, Vanderbilt, Rockefeller und Carnegie auf den Plan. Stahlmagnat Andrew Carnegie brachte es für sich auf den Punkt: „Wer reich stirbt, stirbt in Schande.“
Vorbilder aus Europa
Jüdische Geschäftsleute in Berlin zeigten sich übigens schon Jahrzehnte früher großzügig, sie gaben ein Viertel bis ein Drittel ihres Vermögens für wohltätige Zwecke. Vor 1850 gab es in Amerika sogar nur drei große Spenden, eine davon ist das Smithsonian Institute in Washington, was mit das Großartigste ist, was Amerika zu bieten hat. Es gehören 19 Museen mit zum Teil landesweit gezeigten Ausstellungen dazu, ebenso der Washingtoner Zoo und diverse Parks. Überall ist der Eintritt gratis, damit jeder sich weiterbilden kann, egal ob arm oder reich. Drolligerweise war James Smithson, der Gründer, ein Brite, der nie auch nur einen Fuß nach Amerika gesetzt hatte. Es ist nicht überliefert, warum er ausgerechnet Menschen eines Landes bedachte, das er selbst nie besucht hatte.
Nicht selten dienten Europäer den gemeinnützigen Institutionen in Amerika als Vorbild. Die Idee einer Heilsarmee und die Ausbildung in Pflegeberufen kamen aus England, die Etablierung katholischer Wohlfahrtseinrichtungen aus Frankreich und die des Roten Kreuzes aus der Schweiz. Die Vorbilder für die ersten Forschungsuniversitäten, für handwerkliche Berufsschulen sowie Wissenschafts- und Technikmuseen stammen aus Deutschland. Heute gibt es in Amerika 1,8 Millionen gemeinnützige Organisationen. Allein die 76 545 Stiftungen verwalten ein Vermögen von 622 Milliarden Dollar.
Mitleid macht mildtätig
Regelmäßig Geld für Stiftungen oder andere gemeinnützige Organisationen zu sammeln gehört für Privatleute ebenso wie für amerikanische Firmen zum guten Ton. So haben sich Firmen wie Ford, Yoplait und die Bank of America verpflichtet, jedes Jahr eine Million Dollar an die Susan-G.-Komen-Stiftung zu geben, die sich dem Kampf gegen Brustkrebs verschrieben hat. Meine Freundin Juliet, Anwältin in der Kanzlei Jones Day, spendete mit ihren 200 Kollegen 54 000 Euro an die Kriegsveteranenorganisation Wounded Warriors. „Wir gaben ein Drittel mehr als sonst, wohl weil wir jeden Tag sahen, was es bedeutet, ein Kriegsveteran zu sein“, erzählt sie. Der Praktikant, der die Aktion organisiert hatte, sitzt im Rollstuhl. Eine ferngezündete Miene hat ihm als Soldat im Irak beide Beine zerfetzt.
Mitleid macht mildtätig. Um sich in die Not anderer einfühlen zu können, muss man aber auch erst einmal davon erfahren. Dafür ist gesorgt. Während in Deutschland besonders in der Vorweihnachtszeit die Werbetrommel für Sozialprojekte gerührt wird, geschieht das in Amerika das ganze Jahr. Ich müsste schon als Eremit leben, um dem zu entrinnen. Informationen zu Wohltätigkeitsprojekten und Bitten um Geld- oder Sachspenden sind täglich präsent. In Zeitungs- und Fernsehberichten, durch Telefonanrufe und Postwurfsendungen, auf Infozetteln an Supermarktkassen, mit Aufklebern auf Streichkäsepackungen, durch Schul- und Kindergarteninitiativen, durch Mundpropaganda.
Amerikaner spenden viel Geld, aber auch Zeit
Dazu kommt das alltäglich sichtbare Elend. Bettler stehen bei 40 Grad Sommerhitze stundenlang an Straßenkreuzungen und warten, bis jemand eine Dollarnote aus dem Auto reicht. In den ärmsten Washingtoner Wohnvierteln leben Menschen in bruchbudenartigen Häusern. Die Drogenabhängigkeit ist hoch, Bandenkriminalität ebenfalls. Jedes zweite afroamerikanische Kind lebt in Washington in Armut. Die Kinder an 99 von 123 städtischen Schulen bekommen darum ein freies Frühstück und Mittagessen.
Das bezahlt der Staat. In anderer Hinsicht ist das staatliche Netz weitmaschiger. Und das ist ein weiterer Grund, warum Amerikaner so viel spenden – Geld, aber auch Zeit. Meine Freundin Sharon ist Ärztin und arbeitet regelmäßig ehrenamtlich in einer „Free Clinic“. In diesen Kliniken werden Menschen ohne Krankenversicherung behandelt, die einen Arztbesuch nicht aus eigener Tasche bezahlen können, aber auch zu viel verdienen, um in der staatlichen Armenversicherung Medicaid aufgenommen zu werden. Tatsächlich schützt eine Krankenversicherung nicht vor hohen Arztrechnungen, denn die meisten Versicherungen begrenzen ihre Leistungen.
In Deutschland würde das Sozialamt einspringen
So kam es, dass in Thurmont der zehnjährige Shane für seinen Freund Quentin Geld sammelte. Der Stachel eines Stachelrochens war in Quentin’s Leber gelangt, darum brauchte er eine aufwendige medizinische Behandlung. Die Krankenversicherung bezahlte nicht alles, und Quentins Familie hatte nichts auf der hohen Kante. Daraufhin sammelte Shane Geld für seinen Freund.
In Deutschland würde in einem solchen Fall das Sozialamt einspringen, hier tun es die Bürger. Wenige regen sich darüber auf. Sharon sagt nur schulterzuckend: „Honey, dafür zahlt ihr ja auch mehr Steuern als wir.“ Wie so viele Amerikaner sieht auch sie einen politischen Vorteil darin, das soziale oder kulturelle System mit Geldspenden zu stützen. Amerikaner ticken in diesem Punkt ganz anders als Deutsche. Sie wollen die Gesellschaft über den Gang zur Wahlurne hinaus mitgestalten. Und das tun sie unter anderem, indem sie ihr Geld direkt geben – wer ein Museum schätzt, spendet dafür. Wenn einem dessen Arbeit nicht mehr passt, wird der Geldhahn zugedreht.
Der Druck, Spenden ergattern zu müssen
Das kann die Existenz eines Museums bedrohen. Kulturinstitutionen finanzieren sich hier üblicherweise zu 23 Prozent aus Spenden, zu einem Drittel mit staatlichen Geldern, und eigene Einnahmen wie Eintrittsgelder machen 47 Prozent aus. Im Schnitt gehen nur vier Prozent aller Spenden an Kunst und Kultur. Bei etwa 8000 großen Museen, 7000 Amateurtheatern und 1800 Symphonieorchestern liegt es auf der Hand, dass der Wettbewerb um dieses Geld heftig ist. Unkonventionelle Kunstprojekte haben es da schwer. Der Druck, Spenden zu ergattern und eigene Einnahmen zu erwirtschaften, begünstige kommerzialisierte und marktgerechte Kulturangebote, sagt Kevin V. Mulcahy, Professor für Politologie an der Louisiana State University in Baton Rouge.
Häufig nähmen die Museen Gelder durch projektgebundenes Sponsoring ein, und Firmen seien leichter als Geldgeber für populäre Massenausstellungen mit Konzepten wie „Die Schätze der...“ zu interessieren als für solche, die „schwierige“ Werke in den Mittelpunkt stellten. Eine philanthropische Spende, die einer Kultureinrichtung als Institution gegeben wird, kann aber ebenfalls ihre Tücken haben. Spender stellen häufig eine Reihe von Bedingungen, die nicht unbedingt im Sinne des Empfängers sein müssen. So können gerade Großspenden im amerikanischen Kultursystem leicht eine gesellschaftspolitische Dimension bekommen, und der Gönner muss nicht immer Ziele verfolgen, die mehrheitsfähig sind.
Spender wollen Einfluss nehmen
Vor einigen Jahren gingen der Smithsonian-Gesellschaft darum 38 Millionen Dollar durch die Lappen. Die Millionärin Catherine B. Reynolds wollte eine Ruhmeshalle amerikanischer Helden finanzieren – unter zwei Bedingungen. Erstens: Die Halle sollte ihren Namen tragen, woran niemand Anstoß nahm. Zweitens: Sie wollte die Mehrzahl der Kuratoren bestimmen, welche die zu ehrenden Personen aussuchten. Diese befanden nun unter anderem, die Talkshow-Moderatorin Oprah Winfrey gehöre ebenso in die Heldengalerie wie Martin Luther King. Es entbrannte ein Streit darüber, ob eine Mischung, die auch auf prominente Stars ausgerichtet sei, nicht besser zu Disneyworld als zur wichtigsten öffentlichen Kulturinstitution des Landes passen würde. Die Smithsonians verzichteten schließlich auf die Ruhmeshalle, und Miss Reynolds zog ihr Angebot ebenfalls zurück.
Nicht jede gut gemeinte Idee wird also umgesetzt, aber trotzdem ist es beeindruckend, wie intensiv Amerikaner sich für die Gesellschaft engagieren. Gegenwärtig nehmen sie darum im World Giving Index den fünften Platz ein. Die Deutschen landen auf dem 18. Platz, was bei 153 in der Studie untersuchten Ländern der Charities Aid Foundation auch nicht schlecht ist. Vor den USA liegen ganz knapp Australien, Neuseeland, Irland, Kanada und die Schweiz.
Hilfsbereite Amerikaner
Interessanterweise sind das alles Länder, in denen der Staat sich vergleichsweise wenig in die Wirtschaft einmischt. Bei der Berechung des World Giving Index wird neben dem Spendenaufkommen auch das Ausmaß ehrenamtlicher Arbeit erfasst, und es wird gefragt, ob man Fremden geholfen oder selbst Unterstützung durch einen unbekannten Menschen erfahren hat. 39 Prozent der Amerikaner übten ein Ehrenamt aus, und knapp zwei Drittel bejahten letztere Frage.
Das wundert mich nicht. Amerikaner sind ausgesprochen hilfsbereit – wenn man nicht gerade etwas bei der Führerschein- oder Steuerbehörde zu erledigen hat. Als ich unlängst einen geplatzten Reifen wechseln musste, kniete innerhalb von zwei Minuten ein junger Mann neben mir und packte mit an. Einmal wollte meine damals zweijährige Tochter im Supermarkt ihren Joghurtbecher selbst tragen und hielt ihn so fest, dass er platzte. Es eilte nicht nur sofort ein gut gelaunter Mitarbeiter herbei, um die Sauerei aufzuwischen, er zog auch noch Aufkleber aus der Schürze, um Nina zu trösten. In einer ähnlichen Situation in Frankfurt am Main raunzte mich mal ein anderer Kunde an: „Sie haben den Joghurt kaputtgemacht! Sie müssen ihn bezahlen!“
Nehmen ist gut, zurückgeben Pflicht
Spontane Nettigkeiten sind natürlich dem Zufall überlassen. Viele tun ihrem Nächsten aber organisiert Gutes. Häufig haben religiöse Gemeinschaften Listen, in die sich einträgt, wer für andere einkaufen gehen oder kochen will. Junge Mütter, aber auch Trauernde und Kranke oder von einem Umzug gestresste Eltern im jüdischen Kindergarten meiner Kinder bekommen so komplette Abendessen nach Hause gebracht. Später kochen sie dann für andere. Nehmen ist gut, zurückgeben Pflicht.
Dieses ungeschriebene Gesetz wird so ernst genommen, dass seine Schattenseiten nicht verborgen bleiben. Meine Freundin Lila traut sich kaum noch in ihre Kirchengemeinde. Diese ist auf Spenden angewiesen, weil es keine Kirchensteuer gibt – nicht umsonst gehen um die 30 Prozent aller Spenden an religiöse Gemeinschaften. Lila hat aber so wenig Geld, dass sie nicht viel geben kann, und für ehrenamtliches Engagement fehlen ihr Zeit und Energie. Jetzt hat sie ein schlechtes Gewissen: „Wir leben doch in einer Kultur des Gebens.“
Die Woche der Selbstverpflichtung
Mir geht es ähnlich mit meinem Lieblingsradiosender National Public Radio. Es gibt keine Rundfunk- und Fernsehgebühren in Amerika, und auf einen Dollar bekommt der Sender nur sieben Cent staatliche Förderung. Zur Zeit ist darum Pledge-Week, Woche der Selbstverpflichtung. Wann immer ich das Radio einschalte, bittet ein Moderator: „Wenn Sie das Gefühl haben, etwas von uns zu bekommen, dann geben Sie JETZT etwas zurück.“
So kam es also, dass ich an einem Montag zahlendes Mitglied des Radiosenders wurde. Am Dienstag holten die Kriegsveteranen Kleider und ein Kinderbett bei uns ab. Am Mittwoch gab ich im Supermarkt einen Dollar für die Gründung einer Schulsalatbar in der Region. Am Donnerstag bekam die Feuerwehr 20 Dollar. Am Freitag lud der Zoo zum Dinner mit Tickets zwischen 2000 und 5000 Dollar, da musste ich passen, aber ich brachte einer neuen Nachbarin einen Marmorkuchen. Am Samstag füllte ich den Briefkasten mit Lebensmitteln, die der Postbote einsammelte und zu einer Armentafel brachte. Am Sonntag spendete ich Blut. Es ist nicht schwer, in Amerika ein besserer Mensch zu werden. Eine Straße adoptiere ich trotzdem nicht.
Amerikanische Spendenbereitschaft
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Leider nur zu wahr
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Würdevolle Dürftigkeit
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Grundfreundlichkeit
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Spendenzwang
Es erstaunt und verwundert zugleich, dass Sie als christlich-evangelisches Magazin die sogenannte amerikanische Spendenbereitschaft als leuchtendes Beispiel und als Aufmacher auf Ihrer Titelseite geradezu euphorisch herausstellen. Abgesehen von den beschriebenen historischen Hintergründen gibt es nämlich eine Fülle von Gründen, die die beschriebene Spendenbereitschaft geradezu notwendig erscheinen lassen.
In einem der reichsten Länder dieser Erde leben Millionen von Menschen unterhalb der Armutsgrenze. Die Unterstützung vom Staat wird längstens sechs Monate gewährt, von einer Krankenversicherung ganz zu schweigen. Viele dieser Menschen leiden Hunger, die Kriminalitätsrate ist hoch, frei verfügbare Schusswaffen vergrößern das Elend. Selbst die eigenen Kriegsveteranen bedürfen privater Hilfe. Und dies angesichts des größten Rüstungsetats in der Welt (Russland und China folgen abgeschlagen auf den Plätzen) sowie seit zehn Jahren geführter Kriege (und weiterer Kriegen nach Ende des zweiten Weltkrieges), welche gigantische Kosten, die jegliche menschliche Vorstellungskraft sprengen, zur Folge hatten und haben. Dass in diesem Umfeld die soziale Komponente auf der Strecke bleibt ist naheliegend.
Seien wir daher dankbar, dass wir in Deutschland andere soziale Verhältnisse haben, wo in eine Notlage geratenen Menschen vom Staat geholfen wird. Hierfür zahle ich gerne meine Steuern. Auch bei uns wird übrigens gespendet und das nicht nur zur Weihnachtszeit, wenn auch nicht im Umfang wie in Amerika. Ihre Lobpreisung der amerikanischen Spendensammler geht fehl.
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Selbstkritik
@Rolf Z :
In Amerika wird die Unabhängigkeit groß geschrieben, In Deutschland die Abhängigkeit, so gesehen ist also Ihre Selbstzufriedenheit verständlich.
Selbstkritik erübrigt sich dann wohl offensichtlich?
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Geschuldete Dankbarkeit?
Rolf Z (nicht überprüft) schrieb am 8. November 2011 um 14:53: "wo in eine Notlage geratenen Menschen vom Staat geholfen wird."
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Der Staat sorgt mit seinen Gesetzen und seiner Politik dafür, dass laufend in großem Stil Dürftigkeit und Elend erzeugt wird. Diesem Staat soll jetzt also auch noch Dankbarkeit geschuldet sein wegen der Art, wie er diese miesen Zustände verwaltet? Es trifft leider zu, dass die Liebhaber des Sozialstaates diese perfekte Untertanengesinnung für das Normalste von der Welt halten.
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Zitat: "Seien wir daher dankbar, dass wir in Deutschland andere soziale Verhältnisse haben".Sowohl normale Amis wie auch gewöhnliche westeuropäische Sozialstaatsinsassen hätten allen Grund, sich in ziemlich grundlegende Opposition zu ihren jeweiligen Staatsgewalten zu begeben. Statt dessen sollen die Unterschiede in der Methode, das jeweils erzeugte Elend staatsnützlich zu managen, Grund für eine Parteinahme für den jeweiligen Staat sein, von dem man abhängig ist. Diese Tour wird von den amerikanischen Staats- und Gesellschaftsliebhabern genau so beherrscht. Das klingt dann so: "Seien wir daher dankbar, dass wir in den USA andere soziale Verhältnisse haben, wo in eine Notlage geratenen Menschen von freien Bürgern geholfen wird und sie nicht auf Behördenalmosen angewiesen sind, die sie sich oft ohne Erfolg vor Gerichten zu erstreiten versuchen müssen."
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Amerkikanische Spendenbereitschaft
Eignetlich ist das meiste zum Thema durch die anderen Kommentare bereits gesagt, an Zustimmung wie auch an Kritik. Ich möchte unterstreichen, dass wir uns die -bislang noch im Ansatz vorhandene- Möglichkeit bewahren sollten, "würdevoll" Hilfe zu erlangen. Nicht auf die Spendierfreudigkeit der anderen direkt angewiesen zu sein.
zu bedenken geben möchte ich noch den Aspekt von Hilfe und Spende, der nicht auf die Menschen im eigenen Land beschränkt bleibt wie in dem Artickel. Ich möchte nicht nach 10 Aufforderungen zu Geldspenden der Freiheit beraubt sein, mein eigenes Engagement lieber den Menschen zukommen zu lassen, deren Lebensgrundlage durch unsere Wirtschaft, unsere Lebensweise zerstört wird.
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Beziehungsnetz statt Zuständigkeit
Mit einer Prise Humor und einer guten Beobachtungsgabe hat Sabine Laerum die amerikanischen Spendenkultur karikiert. Sehr treffend! :-) Interessant dabei: durch Spenden und Empfangen entsteht ein Netzwerk aus Beziehungen. Manchmal direkt zwischen Spender und Empfänger, manchmal über Menschen bzw. Organisationen, die vermittelnd dazwischen sitzen.
Auch bei uns gibt es das, aber schnell steht die Frage von "Zuständigkeiten" im Mittelpunkt. Diese institutionelle (amtliche / kirchliche / ...) Zuständigkeit ist eine wertvolle, soziale Errungenschaft. Als Kehrseite lähmt sie aber persönliche Verantwortlichkeiten, denn es gibt fast immer jemand, der "zuständig" ist ("Warum sollte ich dem Obdachlosen helfen, er kann doch zum Sozialamt gehen...!").
Hier erlebe ich uns Deutsche als orientiert an Strukturen und Hierarchien (mit allen Stärken und Schwächen eines strukturierten Denkens und Handelns). Im Leben suchen wir "unsere Anstellung" (unsere Einordnung in die Gesellschaft) und statt zu Spenden haben wir ein hochgerechtes, (kirchen-) steuerfinanziertes System der Zuständigkeiten geschaffen.
In den USA habe ich "die Amerikaner" wider alle Oberflächlichkeitsvorurteile als sehr beziehungsorientiert erlebt. Mich hat fasziniert, wie es bereits in der Schule darum geht, Gestalter des eigenen Lebens zu werden seinen "Traum" zu formulieren und zu verwirklichen, statt sich einzuordnen in ein Gesellschaftssystem - mit allen Vorteilen und Exzessen. Aber jemand, der seinen Traum umsetzt, reißt andere mit und große Dinge werden möglich...
Was könnten wir gemeinsam erreichen, wenn wir selbst (gerne ZUSÄTZLICH zu unserem sozialen Netz! ;-) ) etwas Großartiges aufbauen? Vielleicht eine richtig lebendige Kirchengemeinde? Oder ein neues, kreatives Hilfsprojekt? Oder eine verrückte, globale Idee wie www.kiwa.org? Oder... ? Wofür schlägt Ihr / Dein Herz? Diese motivierende Kraft, Teil einer sdelbst gewählten, großartigen Sache zu sein (und dafür gerne (!) zu spenden), vermisse ich manchmal bei uns. Woran liegt das? Wissen wir nicht, was uns wirklich begeistert? Oder reglementiert ein scharf analysierender, energieschluckender Kritiker im Kopf stets unser Träumen und dämpft unsere Begeisterung?
Also: laßt uns doch danach schauen, was wir von den Stärken anderer lernen können, bevor wir uns in der deutschen Tugend des Kritisierens üben! ;-)
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Spender sind Helden
Heldengalerie der Spender!
Der Spender möchte jedoch die Namen der Helden bestimmen!
Ein Held ist eine Person (meistens keine Frau) mit besonders herausragenden Fähigkeiten, die ihn zu besonders hervorragenden Leistungen, sogenannten Heldentaten, treiben. Die Taten des Helden können ihm entsprechenden Heldenruhm bescheren.
Das Gegenteil ist ein knickriger feiger und sparsamer Hund!
Der spendet auch nix!
Und wird folglich auch niemals in der Heldengalerie einen Platz erhalten.
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Hilfsbereit oder devot und unterbezahlt?
" Wie putzig" Die kleine Tochter der Autorin lässt in einem amerikanischen Supermarkt einen Joghurtbecher fallen.
Sofort eilt ein gut gelaunter Mitarbeiter herbei und wischt die "Sauerei" weg. Um die Zweijährige zu trösten zieht er noch einen Aufkleber aus dem Kittel.
Das würde ihr in Frankfurt nie passieren.. Ich sage nur " Gott sei Dank" Hilfsbereitschaft ist eine gute Sache, devotes Verhalten zu einem vermutlichen Hungerlohn, eine schlechte.
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Definitiv keine amerikanischen Verhältnisse!
Zu Ihrer Frage am Schluss des Artikels: ich möchte definitiv keine amerikanischen Verhältnisse!
Ich finde es würdevoller, wenn Menschen in einer Notlage einen Rechtsanspruch auf Hilfe haben, als wenn sie vom Mitleid und der Spendierlaune ihre Mitbürger abhängig sind, evlt. noch von Wohlhabenden, die sich dann als "ethische Superhelden" verstehen.
Außerdem scheinen die recht positv dargestellten "amerikanischen Verhältnisse" auch nicht ganz zu funktionieren, da es in den USA tausende Irak- und Afganisthan-Veteranen gibt, die ihre Gesundheit für ihr Land und die Befriedigung der patriotische Gefühle ihrer Landsleute geopfert haben und die jetzt zuhause, inmitten der gigantischen Hilfs- und Spendenbereitschaft, den Kampf gegen die Armut führen müssen.
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Lachhaftes Loblied auf die USA
Darf ich herzlich lachen?
Ein Loblied auf amerikanische Verhältnisse zeigt eine ungeheure Ignoranz der tatsächlichen Lage.
Es gibt keine soziale Absicherung, die Menschenrechte werden mit Füßen getreten (z. B. Todesstrafe! – selbst bei mangelhafter Beweislage und neuen Entlastungsaussagen), Turbokapitalismus, durchschnittlich sehr schlechte Bildungslage für die Normalbevölkerung, weitgehend kritiklose Annahme der Gentechnik, Irakkrieg (mit Lügen begonnen und leider auch von einem großen Teil der Bevölkerung gutgeheißen),
Ausbeutung der Umwelt durch Ressourcenverschwendung, u.s.w. Die Spenden sind ein Tropfen auf den heißen Stein und bei der ungerechtern Einkommenslage nicht mehr als recht und billig. Leider bewegt sich Deutschland in Richtung Amerika. Früher konnte man bei uns von seiner Arbeit leben, was jetzt für viele nicht mehr möglich ist. Wunderbar, vielleicht ziehen ja jetzt Spender nach. Lieber einigermaßen gerechte Einkommen und keine Spender!
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Spenden- und Stiftungspraxis ist außerhalb jeder demokratischen
In der Titelgeschichte preisen auch Sie wieder einmal das Spenden. Ich tue es selbst, aber ich bin sehr skeptisch:
War es Luther, der sagte, der Pfennig der armen Witwe sei mehr wert als der Taler des Kaufmanns? So ist es doch: wer viel hat, kann gut spenden. Klar kann ein Bill Gates mal ein paar Milliarden spenden, ein Milliardär bleibt er auch mit dem "Rest" seines Vermögens. Kommt er deshalb ins Himmelreich?
Gespendet und gestiftet wird nicht unbedingt für Zwecke, die der Gesellschaft, der Menschheit oder der Natur gut tun. Gespendet wird für das, was dem Spender wichtig ist und/oder womit er sein eigenes Ego hochheben kann - wird er doch vielleicht dann eingeladen, "erkauft" sich das Bundesverdienstkreuz oder wenigstens einen Artikel in der Zeitung...
Gespendet wird fast immer im Hinblick auf die Steuerersparnis - oder wer setzt seine Spenden nicht bei der Steuer ab?
Damit aber wird der allgemeine Steuerzahler mit ins Boot geholt! Wenn ein deutscher Millionär mit einem Spitzensteuersatz von z.B. 40 % spendet, heißt das: Du und ich als normaler Steuerzahler geben 40 % dazu, und das erzwingt der noble Spender ganz ohne unsere Mitwirkung oder gar Zustimmung unserer gewählten Vertreter ! Das Haushaltsrecht ist der Kern der parlamentarischen Demokratie - aber die Spenden- und Stiftungspraxis ist völlig außerhalb jeder demokratischen Kontrolle. Ich als Steuerbürger finanziere so z.B. den Schützenverein oder den Karnevalsverein mit, obwohl ich meine, dass die Steuereinnahmen viel eher für Bildung verwendet werden sollte.
Also hören Sie bitte auf mit der Beweihräucherung von Spenden und Stiftungen - oder setzen Sie sich dafür ein, dass Spenden und Stiftungen nicht mehr steuerlich absetzbar sind - dann zeigen sich die wahren "edlen Spender", die dann noch übrig bleiben !
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