Es waren zwei Frauen, die mich im Glauben erzogen, die mich beten lehrten, mich mit Marienliedern in den Schlaf sangen, mir vom heiligen Franz von Assisi und der heiligen Clara erzählten: meine Mutter und deren Mutter, meine geliebte Oma.
Oma, in Eichstätt geboren, praktizierte eine tiefe und sehr barocke Marienfrömmigkeit. Meine Mutter, zeitweise Redakteurin einer katholischen regionalen Wochenzeitung, verehrte Dom Hélder Câmara, den Bischof von Olinda und Recife in Nordostbrasilien, einen der Begründer der Befreiungstheologie. Ich nahm als kleiner Junge wahr, wie sehr meine Eltern, auch der eher zurückhaltende Vater, auf das II. Vatikanische Konzil hofften und im Laufe der frühen siebziger Jahre ihrer Enttäuschung Herr werden mussten, dass sich aus dem, was so großartig von Papst Johannes XXIII. angestoßen worden war, kaum spürbare Veränderung gewinnen ließ.
Was genau hatte Jan Hus getan?
Zu Hus kam John Wyclif, den man in Konstanz dreißig Jahre nach seinem Tod ebenfalls zum Ketzer erklärte, seine Schriften verdammte und beschloss, seine Gebeine auszugraben und zu verbrennen. Mit roten Ohren lag ich auf dem Bett und nahm auf, dass Wyclif den Priestern absprach, Hostien und Wein tatsächlich in Leib und Blut Christi verwandeln zu können. Ich war sehr froh darüber, als zwölf-, dreizehnjähriger Knabe zu erfahren, dass die Evangelischen in der benachbarten Kreuz- oder in der Pauluskirche neben meinem Gymnasium die Worte Jesu „Das ist mein Leib / mein Blut“ nicht wortwörtlich nahmen. Und noch mehr begeisterte mich, dass bei den Protestanten Leute gemeinsam zum Abendmahl gingen, die durchaus unterschiedliche Vorstellungen von der Bedeutung des Mahles hatten. Die einen nahmen Brot und Wein zum Gedächtnis an Christi Erlösungstat, die anderen nahmen die verwandelte Substanz Christi in sich auf.
Joseph Ratzinger wies den neuen Weg
Als ich nach einer Predigt des Kurienkardinals Joseph Ratzinger und in den Wirren der Kölner Sedisvakanz, also des verwaisten Bischofsstuhles, nach dem Tode Joseph Kardinal Höffners 1987 mit meiner Geduld am Ende war, empfahlen mir diese katholischen Weggefährten, höchstens aus der katholischen Kirche auszutreten. Wer austritt, sagten sie, kann zurückkommen; wer die Kirche wechselt, ist ein für alle Mal weg. Ich kam mir vor wie ein DDR-Dissident, der einen Ausreiseantrag gestellt hatte. Man nannte mich zwar nicht wortwörtlich Kameradenschwein, aber manch einer meiner Freunde empfand im Stillen so: Man macht sich nicht einfach leicht vom Acker um sein individuelles Glück zu finden; man hält stand, bleibt sich und den Seinen treu im Kampf um eine erneuerte Kirche.
"Ab morgen zahle ich die Kirchensteuer bei deinen Leuten!"
Der Tag, an dem ich beschloss, dem Evangelischen in mir Raum zu geben, hatte mit einem Ratzinger-Wort zu tun, das inzwischen der wohl bekannteste Beitrag des heutigen Papstes zur Definitionsdebatte der römischen Kirche ist: die Diktatur des Relativismus. Die rhetorische Scheindialektik des Mannes aus Rom – hie die dem Zeitgeist hinterherhastenden, kurzatmigen Modernisten, dort die fest in Glauben, Lehre und Tradition die Nachfolge Jesu Christi verteidigende eine heilige römische Kirche – hatte mich so erzürnt, dass ich meiner evangelischen Frau sagte: Ab morgen zahle ich meine Kirchensteuer bei deinen Leuten.
Einen Journalistenkollegen, von dem ich wusste, dass er ordinierter Pastor war, fragte ich: „Was muss ich gelesen haben, wenn ich zu euch kommen möchte?“ Er antwortete: „Gelesen haben ‚müssen‘ gibt es nicht. Aber ich empfehle ‚Die Sache mit Gott‘ von Heinz Zahrnt. Und wenn einer der Theologen, von denen in diesem Buch die Rede ist, Sie besonders interessiert, dann nichts wie ran.“
Mitglied wird man in einer Gemeinde - und dann in der Kirche
Mein Anruf im Büro der kleinen Gemeinde in der Umgebung der damaligen Bundeshauptstadt Bonn, wo ich als politischer Korrespondent für Tageszeitungen arbeitete, erreichte einen freundlichen Vikar, der mich zu einem Gespräch einlud. Ein, zwei Tage später saß ich bei ihm und quoll über von neuen theologischen Erkenntnissen. „Schön, schön“, unterbrach er mich lächelnd, „ich würde gerne mit Ihnen das weitere Verfahren der Aufnahme in unsere Gemeinde besprechen.“ Ich war einigermaßen enttäuscht, als ich feststellte, dass ich nicht schon morgen, per Stempel und Unterschrift des Vikars in einer Urkunde, auf meiner Lohnsteuerkarte „ev.“ eintragen lassen konnte. Die rheinische Kirche, erklärte er mir, sei presbyterial verfasst. Ich würde also Mitglied der Gemeinde und dadurch Mitglied der Kirche. Bei den Katholiken und, soviel er wüsste, auch bei den Lutheranern werde man Mitglied der Kirche beziehungsweise der Landeskirche und dann einer Gemeinde zugewiesen. Nachdem ich unmittelbar an der Grenze zur Schweiz aufgewachsen war, leuchtete mir das ein: Auch Schweizer konnte man nicht werden, man erhielt das Bürgerrecht einer Gemeinde und damit des Kantons sowie der Eidgenossenschaft.
Nach meiner ersten Irritation offenbarte sich mir ein neues, ein der reformatorischen Tradition entstammendes Kirchenverständnis. Nicht der Vikar, der Pfarrer, entschied, sondern die Gemeinde, vertreten durch ihren Vorstand. Kirche ist Gemeinde, keine abstrakte Größe, sondern konkrete Gemeinschaft. Das gefiel mir. Das gefiel mir sehr. Leichter wurde der Vorgang dadurch indes nicht. Drei würdige Damen des Presbyteriums wollten mit mir sprechen, sich vom ordnungsgemäßen Zustand „meines Glaubensgerätes“ überzeugen, wie eine Freundin witzelte. Als wir zum ersten Mal telefonierten, lud ich die Presbyterinnen auf ein Glas Wein zu mir nach Hause ein. „Trinken Sie regelmäßig Alkohol?“, fragte mich die Frauenstimme streng. Und ohne meine Antwort abzuwarten, fügte sie hinzu: „Nein, wir treffen uns besser im Gemeindebüro.“
Ich wollte da rein, in diese Kirche!
Das Gespräch war dann sehr knapp und weder unfreundlich noch besonders herzlich. „Sachlich“ wäre wahrscheinlich das richtige Prädikat. Oder „nüchtern“. Frau F., offenbar die Anführerin des Trios, schlug mir eine Art Probephase vor. Ich sollte beim nächsten Basar der Gemeinde einen Verkaufsstand übernehmen und an einem Bibelgesprächskreis teilnehmen.
Gerne, sagte ich, welches Thema der Gesprächskreis denn behandle? Den Galaterbrief. Super, rief ich. Das ist einer meiner Lieblingstexte im Neuen Testament. „Christus hat uns von dem Fluch des Gesetzes losgekauft...“, begann ich, um gleich zurechtgewiesen zu werden: „Sie sollen zuhören und nicht erzählen in dem Gesprächskreis.“ Das fand ich, um es vorsichtig auszudrücken, nicht sehr einladend. Und meine evangelische Frau meinte, als ich davon erzählte: Bleib doch einfach weg, das musst du dir doch nicht gefallen lassen. Ich aber wollte da rein, in diese Kirche!
Das ist zwar wenig spontan und zugewandt, wahrscheinlich aber nicht gänzlich unvernünftig. Ich fühlte mich jedenfalls nicht vereinnahmt, sondern skeptisch beäugt. Die Aufnahme in die Gemeinde ein paar Monate später empfand ich als sehr feierlich. Der Vikar segnete mich und stellte mich der Gemeinde vor. Mein Gelöbnis sprach ich laut und deutlich. Nach der Konversion brachen keine wunderbaren Zeiten für mich an. Auf mich wirkte die Atmosphäre der Gemeinde pragmatisch und alltagsgrau.
Im lutherischen Hamburg änderte sich wieder vieles
Das änderte sich, als ich ins lutherische Hamburg kam. Dort traf ich in einer Stadtrandgemeinde Menschen an, mit denen ich mich bis heute verbunden fühle. „Jubilate“ hießen Gotteshaus und Gemeinde. Zu Recht. Der Kantor: ein Ass! Seine Kantorei, schätzungsweise 30 Leute, sang mindestens einmal im Monat im Gottesdienst. Und immer wurden die Menschen in den Bänken animiert, mitzusingen und mehr als nur Auditorium zu sein: „Singen Sie laut mit, auch wenn es mal falsch rauskommt!“ Der Pastor: ein Ass! Verständliche, humorvolle Predigten, immer darauf ausgelegt, den Weg zwischen Text und Gemeinde so kurz wie möglich zu machen. Noch mehr zu loben: sein Sinn für Liturgie. Gottesdienste, die tatsächlich „gefeiert“ wurden, von allen. Erst jetzt wurde mir klar, was ich in den katholischen Messen so oft vermisst hatte. Ich empfand die Hochämter an Weihnachten oder Ostern als „Holy Horror Picture Shows“. Priester und ein Dutzend Ministranten lieferten eine Inszenierung ab. Die Gemeinde blieb bis auf ein paar Lieder, Glaubensbekenntnis, Vaterunser und Fürbitten auf die Rolle des Publikums reduziert. Hier war der Liturg und Prediger ein Brückenbauer, ein Öffner, ein Einbezieher. Niemand zog seine leitende Funktion in Zweifel. Alle wussten: Das ist einer, den wir als Kirche besonders haben ausbilden lassen, damit er für uns da ist. Und nach dem Gottesdienst im Kirchencafé wurde diskutiert, gestritten, erzählt, wie Lesungen und Predigt auf die Gemeinde gewirkt hatten.
Alle gehörten dazu. Auch der Berber.
Am ersten Sonntag, an dem meine Frau und ich den Fuß in diese Kirche setzten, waren wir aufgenommen, gehörten wir dazu. Christentum auf Augenhöhe. Das galt auch für Harry, den Berber, der üblicherweise in der U-Bahnstation vor der Kirchentür Platte machte. Sonntags kam er in die Kirche und ging zum Abendmahl, reichte seinen Nachbarn links und rechts zum Friedensgruß die Hand. Mancher rümpfte die Nase, im wortwörtlichen Sinne. Denn Harry roch manchmal wirklich streng nach Schweiß, Zigaretten und Bier. Doch er gehörte eindeutig zu uns, wie Herr L., der ständig vor sich hin brabbelnde Rentner, wie die Hochschulprofessorin, der geschiedene Künstler und all die Lehrer, Lehrerinnen und Journalisten. Zum ersten Mal war ich im Hause des Vaters wirklich zu Hause.
Ich liebe die Offenheit und Pluralität
In der Zeit meiner Konversion hatte ein mir nahestehender Protestant gespottet: „Einmal katholisch, immer katholisch. Ihr braucht doch den Papst! Die einen, um ihn zu verehren, die anderen, um sich gegen ihn zu wehren.“ Spätestens in Hamburg registrierte ich, dass das für mich nicht stimmte. Ich liebe die Offenheit und Pluralität meiner neuen Heimat. Manchmal, wenn sich ihre behördliche Struktur in den Vordergrund drängt, kann diese Kirche grauenhaft grau sein, ich rede dann von der „öffentlichen Glaubensverwaltung“. Aber ihre synodale Struktur und ihr reformatorisches Grundbekenntnis, Menschenwerk zu sein, macht sie, Gott sei Dank, kritikfähig und veränderbar. Martin Luthers Wort „ecclesia semper reformanda“ (die Kirche muss immer wieder reformiert werden), verbunden mit dem Eingeständnis vom bedingten und vorläufigen Sein selbst des frömmsten Anliegens und der Anerkenntnis allein Gottes als des Unbedingten, wie der evangelische Theologe Paul Tillich formulierte, bezeichnet für mich die Kirche der Freiheit. Eine Kirche, die sündigte, etwa als sie sich mit dem Nationalismus in Deutschland verband und zum guten Teil mit dem Nationalsozialismus. Aber eine Kirche, die endlich auch zum Stuttgarter Schuldbekenntnis fähig war. Menschen irren und sündigen. Sie tun es oft genug gerade dann, wenn sie sich als Kirche eins wähnen mit dem Heilsplan Gottes. Dies zu sehen und auszusprechen, ist für mich der Quell evangelischer Identität.
Aus menschenferner Distanz kann keine Hilfe kommen.
Es gibt in meinem Bekanntenkreis genug katholische Christen, die dies alles unterschreiben. Wenn ich sie frage, warum sie meinen Weg nicht auch gehen wollen, geben sie sehr unterschiedliche Antworten. Manche fragen zurück: „Vermisst du denn gar nichts, in dieser kargen und spröden Kirche?“ Ein Vorurteil.
Was ich jedenfalls nicht vermisse ist eine überzogene, vergötzende Marienfrömmigkeit, einen Reliquien- und Heiligenkult, die seltsame Logik, dass man im Gespräch mit Gott Heilige als Fürsprecher benötige. Das bedeutet entweder, dass dieser Gott nicht in der Lage ist, die Not der Betenden selbst wahrzunehmen, oder dass er, der Unbedingte, gewisse Bedingungen erfüllt sehen will. Beides ist gottlose Relativierung.
Ich vermisse auch die Ohrenbeichte nicht. Wenn wir bereuen und uns im Gottesdienst gemeinsam der Gnade Gottes anempfehlen, ist die Sündenschuld bei Gott aufgehoben, ohne dass es eines vermittelnden Lossprechers im Beichtstuhl bedürfte.
Die römische Kirchen-idee vom unfehlbaren Lehrgebäude des Papsttums, die gottlob von den katholischen Christen an der Basis täglich ad absurdum geführt wird, steht außerhalb des Lebens wie der Leuchtturm außerhalb des Ozeans. Christsein heißt: mit im Boot sitzen, gemeinsam mit den anderen nach Lösungen suchen, die Ruder ergreifen, die Pinne halten, besonders dann, wenn der Sturm aufkommt. Das Schiff, das sich Gemeinde nennt, braucht kluge und erfahrene Leute an Bord. Sie sollten in der Lage sein, konkret und rasch auf die ständig wechselnden Herausforderungen im Wogengang des Hier und Jetzt zu reagieren. Es geht nicht um abstrakte Exempel, sondern um teilnehmende Hilfe, um liebenden Rat. Um ein aktuelles Beispiel zu nennen: Eine Frau und ein Mann, die über Präimplantationsdiagnostik nachdenken, brauchen konkrete Menschen an ihrer Seite, mit denen sie sprechen können, Seelsorger also, und keine dogmatischen Verlautbarungen von der Sorte „absolut verwerflich“.
Streiten? Das ist besser, als wie ein Schaf hinterherzutraben
An ihnen verzweifeln aufgeklärte Katholiken. Warum nimmt der römische Apparat das in Kauf? Warum spielt er die Karte der Abgrenzung und hetzt immer deftiger gegen die Protestanten? Zwei mögliche Antworten:
Die aus Sicht Roms von der Nachbarschaft mit reformatorischen Kirchen infizierten und von der Diktatur des Relativismus bedrohten katholischen Diözesen, in denen der Priestermangel weite Landstriche gemeindlich verödet, sollen einer Art Gottesurteil unterworfen werden: Entweder dieser Teil des Kontinents wird weiter entkatholisiert oder es geschieht ein Wunder und die Schäflein kehren in den Pferch der einzig wahren Kirche zurück.
Oder: In Rom hat man tatsächlich verstanden, dass ein mit der Moderne versöhnter Glaube entweder reformatorisch oder unmöglich ist. Aus der berechtigten Sorge, die europäische und nordamerikanische Entwicklung könnte in Südamerika, Asien und Afrika Schule machen, hat man eine Theologie des Unmöglichen entwickelt, um dem reformatorischen Element standzuhalten. Der globale Glaubenskonzern gibt Mittel- und Westeuropa auf, um in anderen Weltgegenden fundamentalistischen Entwicklungen mit rabiatem Konservativismus standhalten zu können.
Es geht in Europa längst nicht mehr um evangelisch oder römisch. In der Alltäglichkeit der Gemeinden hat das evangelische Modell, sich der Moderne zu stellen, die katholische Kirche längst in der Tiefe erfasst. Nicht im organisatorischen Handeln, viel wichtiger: im Glaubensbewusstsein selbst derer, die sich für treue Söhne und Töchter ihrer Kirche halten.
Deshalb schätze ich Luthers Aufforderung, „die Geister lasset aufeinanderprallen, die Fäuste haltet stille“. Als Konvertit habe ich gelernt, dass Protestantismus und Streit eine wichtige Beziehung zueinander haben. Und es ist gut so! Das Gottesvolk ist unterwegs. Und es hat die Heilige Schrift als Reiseführer und Atlas bei sich. Da die Wahrheit Gottes aber größer ist als unser Erkenntnisvermögen, müssen wir als Weggenossen manchmal darüber beraten, was der Unendliche und Unbedingte meint und wie wir Endlichen und Bedingten damit umgehen sollen. Und manchmal geraten wir eben dabei in Streit. Das ist besser, als sich als Schaf zu fühlen und einem Oberhirten hinterherzutraben, der allein zu wissen beansprucht, wo es hingehen soll.
Kritik wirkt wie ein verzweifeltes Festhalten der Türklinke
Es ist ein eigenartiges Phämonen: Äußert ein protestantischer Christ, eine protestantische Christin Kritik an der katholischen Kirche, an Äußerungen, Verlautbarungen oder dem Verhalten katholischer Würdenträger, so stößt dies oftmals auf Verständnis, Interesse oder Gesprächsbereitschaft bei katholischen Christen.
Aus den eigenen Reihen jedoch wird dann Kritik laut – das dürfe man nicht so sagen, das sei sicher nicht in dieser Schärfe gemeint, viele Katholiken würden ja sowieso anders denken usw. Und vor allem: Man würde mit solchen Äußerungen die fragile Ökumene zwischen den beiden Konfessionen gefährden und habe sie deshalb zu unterlassen!
In einem der Leserbriefe ist von der „ohnehin nicht eben weit geöffneten Tür“, die damit zugeschlagen wird, die Rede. Um in diesem Bild zu bleiben - auf mich wirkt das beschwichtigende Einwirken vieler protestantischer Christinnen und Christen auf ehrlich und fundiert geäußerte Kritik an der katholischen Kirche bzw. ihrer Lehre und ihrem Selbstverständnis häufig wie ein verzweifeltes Festhalten der Türklinke, um zumindest den (derzeit eher kleiner werdenden) Türspalt unbedingt zu sichern – koste es an Selbstverständnis, was es wolle.
Ich würde mir stattdessen wünschen, dass sich auf der protestantischen Seite dieser Türe mehr und voller Selbstbewusstsein darauf besonnen wird, was protestantischer Glaube bedeutet: Ein Leben in Unmittelbarkeit zu Gott, und darin ein Ringen um Wahrheit und Freiheit.
Das bedeutet Verhandeln, Abwägen, Irrwege einräumen und auch damit leben können, dass es eben keine klare protestantische Lehrmeinung zu vielen Themen unseres Daseins gibt. Dass dies nicht immer einfach ist, ist unbestritten. Nicht nur die Menschen an der protestantischen Basis, auch die Funktionsträger protestantischer Kirchenleitungen tun sich mitunter schwer, wenn dies ein Aufstehen gegen den Mainstream, ein Aussprechen unangenehmer Dinge oder gar Konsequenzen in der eigenen Außenwirkung zur Folge hat.
Ich bin als praktizierend evangelisches Kind, als theologisch interessierte Jugendliche im katholischen Umfeld Regensburgs in den 70er und 80er Jahren aufgewachsen und daher sicher empfindlicher für Verletzungen durch Äußerungen oder Handlungen der katholischen Kirche als manche andere. Unabhängig davon ich jedoch bin überzeugt, dass nur ein Protestantismus, der sich seiner Werte bewusst ist, diese verteidigt und dies auch einzelnen zugesteht, auf Dauer so attraktiv sein kann, dass Ökumene zwischen den Konfessionen auch für die katholische Kirche erstrebenswert ist.
Dass sich der Türspalt dann ein bisschen weiter öffnet, das mag man (zumindest für die kommenden Jahre) vielleicht dem Bereich der Illusionen zuordnen.
Einem Dialog auf Augenhöhe jedoch würde es in jedem Fall dienen.
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